Falsche Schlüsse (223): Honorar für magische Kräfte (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 23.12.2022, 21:17 (vor 701 Tagen) @ H. Lamarr

Eine Wahrsagerin ist als Selbständige mit Gewerbeanmeldung tätig und bietet Lebensberatung ("life coaching"), wobei sie ihre Ratschläge anhand der durch Kartenlegen gewonnenen Erkenntnisse erteilt. Eine durch Beziehungsprobleme ausgelösten Lebenskrise führt im September 2007 einen Mann zu der Wahrsagerin. In der Folgezeit legte sie ihm am Telefon in vielen Fällen zu verschiedenen - privaten und beruflichen - Lebensfragen die Karten und gab Ratschläge. Hierfür zahlte der Beklagte im Jahr 2008 mehr als 35'000 €. Im Januar 2009 erbrachte Leistungen über 6'723,50 € aber wollte der Mann nicht mehr bezahlen. Die Wahrsagerin zog vor Gericht. Landgericht und Oberlandesgericht haben den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Klägerin mit der Begründung verneint, dass die versprochene Leistung auf den Gebrauch übernatürlicher, magischer Kräfte und Fähigkeiten gerichtet und damit objektiv unmöglich sei, so dass der Anspruch auf die Gegenleistung (Entgelt) entfalle.

Die Klägerin zog weiter vor den Bundesgerichtshof (BGH). Aus dessen Sicht folgt aus der objektiven Unmöglichkeit der versprochenen Leistung nicht zwingend, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB* entfällt. Die Vertragsparteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung wirksam vereinbaren, dass eine Seite sich - gegen Entgelt - dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, sondern nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvollziehbaren Haltung entsprechen. "Erkauft" sich jemand derartige Leistungen im Bewusstsein darüber, dass die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist, so würde es Inhalt und Zweck des Vertrags sowie den Motiven und Vorstellungen der Parteien widersprechen, den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten zu verneinen. Nach den Umständen des Falles liegt die Annahme nicht fern, dass die Klägerin nach dem Willen der Parteien die vereinbarte Vergütung ungeachtet des Umstands beanspruchen konnte, dass die "Tauglichkeit" der erbrachten Leistung rational nicht nachweisbar ist.

Kurz gesagt: Wer so dämlich ist, einer Wahrsagerin widerstandslos 35'000 € Honorar für eine objektiv unmöglich zu erbringende Leistung zu zahlen, verwirkt damit den Anspruch, eine Restforderung der Wahrsagerin über rd. 6700 € nicht zu begleichen.

Quelle: Bundesgerichtshof zum Anspruch auf Vergütung für Kartenlegen

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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