Unter Handystrahlung lenken Autofahrer schlecht (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.02.2009, 13:05 (vor 5583 Tagen) @ H. Lamarr

K.o.-Argument: "Achtung! Bis zu 10 Minuten nach Ihrem letzten Handy-Telefonat stehen Sie unter erhöhtem Unfallrisiko," behauptet Dr. med. J. Mutter. Ein gewisser Prof. Dr. Colin Blackmore von der Universität Oxford habe festgestellt, die hohen Unfallzahlen wegen Handygebrauch während einer Autofahrt lägen an der Strahlung der Handys, nicht an der Ablenkung durch das Gespräch! (Quelle: YouTube-Video-Sechsteiler, Vortrag von Dr. med. J. Mutter, 2006, Freiburg, Teil 4 von 6, Zeitstempel: 7:30 min).

Die Tatsachen
: Diese Behauptung geht zurück auf eine Zitatsammlung des Baubiologen W. Maes. Aus dieser dubiosen Sammlung, bei der an der fraglichen Stelle überhaupt nicht erkennbar ist, wer was gesagt haben soll, schöpfen auch andere Frontleute wie Dr. med. H.-C. Scheiner gerne vermeintlich Dramatisches für ihre Vorträge.

Tatsächlich heißt der zitierte Wissenschaftler jedoch nicht Colin Blackmore, wie bei Maes, sondern Colin Blakemore. Dass der Schreibfehler im Namen sich von Maes über Scheiner bis zu Mutter und diverse Websites durchzieht, legt den Verdacht nahe, nach Maes hat sich keiner mehr die Mühe gemacht, die Richtigkeit der Angaben zu prüfen, um ggf. Missverständnisse und Fehlinterpretationen auszuschließen.

Eine solche Prüfung wäre aber dringend ratsam gewesen, denn Prof. Blakemore hat nie behauptet, die Strahlung von Handys hätte auch noch nach Beendigung des Gesprächs unsicheres Autofahren zur Folge. Dies ist eine reine Erfindung von Dr. Mutter. Ein Blick in die Originalarbeit von Blakemore aus dem Jahr 2000 lässt daran keinen Zweifel: The only established health hazard cited by the independent group comes from the use of mobile phones while driving. The risk of an accident increases with age and is equivalent (when braking times are measured) to a blood alcohol level of 0.05%. The risk is the same when the phone is used “hands free” (via a loudspeaker), implying that it is due to the distraction caused by the conversation.

Blakemore warnt also mit keinem Wort vor einer Strahlungswirkung von Handys auf Autofahrer, sondern mahnt lediglich die unbestrittene Ablenkung des Fahrers durch ein Telefongespräch an, egal ob es mit oder ohne Freisprecheinrichtung geführt wird.

Mit seiner verzerrten Interpretationen von Blakemore ist Dr. Mutter freilich nicht der Erste. Schon im Jahr 2000 hat sich Blakemore gegen Fehldeutungen seiner Ausführungen zur Wehr gesetzt. Seinerzeit stellte er klar, er hätte nach Handytelefonaten nie Kopfschmerzen und bestätigte noch einmal, dass das Risiko beim Fahren die Ablenkung des Fahrers durchs Handytelefonat sei. Auch seine Empfehlung, Handytelefonate nur sparsam zu führen - ein gefundenes Fressen für die Dramatiker unter den Mobilfunkkritikern - schrumpfte auf die simple Erklärung zusammen, solche Telefonate seien lästig für Umstehende und noch dazu teuer.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Diagnose-Funk, Maes, Blakemore, Volksverdummung, Auto, Scheiner, Verkehr, Freisprecheinrichtung


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