von Stephan Schall, IZgMF
Elektromagnetische Felder (EMF), die von Funkmasten ausgehen, bereiten überzeugten “Elektrosensiblen” gesundheitliche Probleme. Doch diese Probleme sind unspezifisch und entziehen sich so einer treffsicheren Diagnose. Eine Arbeitsgruppe von Medizinern, die sich zu einer European Academy for Environmental Medicine (EUROPAEM) zusammengeschlossen haben, will mit einer “EMF-Leitlinie” vor allem Ärzten Hilfestellung bei der Diagnose EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten geben. Ein edles und lobenswertes Unterfangen, möchte man meinen. Doch vor dem Bundesamt für Strahlenschutz findet die Leitlinie keine Gnade: Das Papier nutze weder Ärzten noch Patienten, sagte das Amt dem IZgMF (11.06.2017).
Die “EMF-Leitlinie” von EUROPAEM (Verein niedergelassener Umweltmediziner) wurde von einer Arbeitsgruppe erstellt und am 9. August 2016 vom Vereinsvorstand angenommen. Nach Darstellung von EUROPAEM vermittelt die Leitlinie auf mehr als 50 Seiten Konzepte für die Diagnose und Behandlung von Elektrosmog-bedingten Gesundheitsproblemen, nennt Hinweise zur Verbesserung oder sogar Wiederherstellung des individuellen Gesundheitszustands Betroffener und gibt Tipps für die Prävention. Aus Sicht des Vereins repräsentiert die Leitlinie den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaften. Mit dem Papier möchten die Initiatoren Ärzte aller Fachrichtungen adressieren sowie Zahnärzte, Gesundheitsbehörden, Gesundheitsverwaltungen und Sachbearbeiter. Die sogenannte Kompetenzinitiative, ein in Kempten (Allgäu) eingetragener Anti-Mobilfunk-Verein, bejubelt die EMF-Leitlinie als “Meilenstein für die medizinische und gesundheitspolitische Diskussion”.
Doch im Mai 2017 ergab eine Internetrecherche im IZgMF-Forum: Erwähnung findet die “EMF-Leitlinie” weder bei Ämtern und Behörden, noch bei deutschen Ärztekammern. Stattdessen stieß man auf insgesamt 37 teils irritierende Treffer, die u. a. zu Anti-Mobilfunk-Vereinen führen, besonders häufig jedoch zu Seiten, deren Betreiber “Angst vor Elektrosmog” als Geschäftsmodell nutzen. Es ist offensichtlich: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit der “EMF-Leitlinie” liegt ein tiefer Graben.
Die ernüchternde Internetrecherche war für das IZgMF der Anlass, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nach dessen Einschätzung der “EMF-Leitlinie” zu fragen:
IZgMF: Auf der Website des BfS gibt es bislang keinerlei Erwähnung der "EMF-Leitlinie". Ist dem Amt dieses Papier überhaupt bekannt?
Bundesamt für Strahlenschutz: Die genannte Publikation ist dem BfS bekannt. Sie wurde von einer Gruppe von Autoren veröffentlicht, die der “European Academy for Environmental Medicine (EUROPAEM)” angehören. Der Name erweckt den Eindruck, dass es sich um ein offizielles internationales (europäisches) Gremium handelt. EUROPAEM ist ein in Würzburg registrierter gemeinnütziger eingetragener Verein, Mitglieder sind deutsche und internationale Ärzte, Umweltmediziner und Therapeuten/Heilpraktiker. Obwohl im Namen “Academy” steht, besteht kein Anschluss zu einer Universität oder Hochschule. Ebenfalls gibt es keine offizielle Zusammenarbeit mit der EU oder WHO. Kooperationen bestehen mit mehreren deutschen und europäischen umweltmedizinischen Gesellschaften.
Beabsichtigt das BfS auf seiner Website eine Stellungnahme mit einer kritischen Bewertung der "EMF-Leitlinie" zu veröffentlichen?
Seitens des BfS besteht kein Bedarf, eine kritische Stellungnahme zu erstellen. Bisher hat das BfS keine Anfragen zu diesem Thema erhalten, weder von Ärzten noch von Patienten. Die Leitlinie basiert zu einem erheblichen Teil auf dem Bioinitiative Report 2012. Dazu gibt es auf den Internetseiten des BfS eine Stellungnahme. Eine aktuelle, im Auftrag des BfS durchgeführte Datenerhebung hat gezeigt, dass die Risikobewertung durch die Bioinitiative Group deutlich von den Bewertungen anderer wissenschaftlicher Organisationen abweicht.
Wie schätzt das BfS den Nutzwert der "EMF-Leitlinie" ein, a) für Behandler und b) für Patienten, die unspezifische körperliche Beschwerden auf Elektrosmogeinwirkung zurückführen?
Das BfS ist der Ansicht, dass die “EMF-Leitlinie“ keinen Nutzwert besitzt. Es besteht weitestgehend ein wissenschaftlicher Konsens, dass die subjektiv auf elektromagnetische Felder zurückgeführten Beschwerden mit diesen nicht ursächlich zusammenhängen (WHO 2005, SCENIHR 2015). Eine Leitlinie, die einen ursächlichen Zusammenhang annimmt und die als Behandlung die Reduzierung der Exposition empfiehlt, entspricht demzufolge nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft.
Die Bundesärztekammer betrachtete 2012 mit Sorge die Ausübung der Umweltmedizin in Arztpraxen, die "vielfach durch dubiose Diagnoseverfahren neue Umweltprobleme und -belastungen erst generieren ...". Sieht das BfS in der "EMF-Leitlinie" möglicherweise schädliche Nebenwirkungen, z.B. die systematische Entfremdung von Patienten gegenüber fachärztlicher psychotherapeutischer Behandlung, etwa mit einer kognitiven Verhaltenstherapie?
Das BfS gibt keine Empfehlungen zu Therapien, dies ist die Aufgabe des Gesundheitsministeriums und der Ärztekammer. Es gibt Publikationen, die zeigen, dass subjektiv empfundene Elektrosensibilität einen psychischen Hintergrund haben kann (Dieudonne 2016) und dass eine Verhaltenstherapie hilfreich sein kann (Rubin 2006). Es gilt allerdings auch, mögliche organische Ursachen der Beschwerden und den möglichen Einfluss anderer Umweltnoxen zu prüfen. Dies ist die Aufgabe von Medizinern, die dann auch über eine entsprechende Therapie entscheiden müssen. Wenn ein Verdacht besteht, dass Umwelteinflüsse ursächlich für die Beschwerden sind, sollte dies in einer umweltmedizinischen Beratungsstelle überprüft werden. Eine Übersicht solcher Beratungsstellen stellt das Umweltbundesamt zur Verfügung.
Welche seriösen Informationsangebote kann das BfS ersatzweise zu der "EMF-Leitlinie" Ärzten empfehlen?
Zu den einzelnen in der Leitlinie erwähnten Erkrankungen gibt es Informationsangebote auf den Internetseiten des BfS:
Wissenschaftlich diskutierte Wirkungen niederfrequenter Felder: Neurodegenerative Erkrankungen, Kindliche Leukämie, Elektrosensibilität.
Wissenschaftlich diskutierte biologische und gesundheitliche Wirkungen hochfrequenter Felder: Elektrosensibilität, Krebs, Fruchtbarkeit.
Informationen speziell für Ärzte bietet das IZMF (Informationszentrum Mobilfunk) an, eine Vereinigung der Netzbetreiber, die 2015 ihre Tätigkeit eingestellt hat. Das Informationsmaterial wurde von externen Experten erstellt und ist online verfügbar. Bis 2015 hat das IZMF auch eine durch die Bundesärztekammer zertifizierte Ärztefortbildung angeboten.
Für das BfS antwortete PD Dr. Blanka Pophof
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