Interphone-Studie Dänemark:
Über Hörnervtumoren und Verharmlosung

Was ist nur mit der deutschsprachigen Medienlandschaft los, will denn keiner mehr mit eigenen Recherchen gegen die Vorbeter in den Nachrichtenagenturen antreten? Das ist geschehen: Der Ende Januar 2004 publizierte dänische Teil der Interphone-Studie führte zu einem Schwall an Berichten, die unisono allein die entwarnenden Aspekte der Studie deutlich machen. So als hätte die Studie nicht auch entdeckt, dass Hörnervtumoren bei Handytelefonierern signifikant größer sind als bei anderen. Dieser kritische Aspekt aber wird in den Berichten geflissentlich verschwiegen, im Deutschen Ärzteblatt sogar auf den Kopf gestellt. Da machen wir nicht mit. Lesen Sie hier, was die Interphone-Studie wirklich herausgefunden hat und warum Mobilfunkgegner den Medien berechtigtes Misstrauen entgegenbringen dürfen.

Im Oktober 2000 begann die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem großen multinationalen Projekt Interphone, das das Ziel verfolgt, mögliche Zusammenhänge zwischen Tumoren im Kopf- und Halsbereich und der Nutzung von Handys zu erforschen. Das Augenmerk richtet sich dabei auf Hörnervtumoren, Gliome, Meningeome und Ohrspeicheldrüsenkrebs. Forschungsorganisationen in 13 Ländern erforschen diese Tumoren mit nationalen Fallkontrollstudien, die sich wegen gleichartiger Protokolle am Schluss zu einer Gesamtaussage auf breiter Datenbasis zusammenführen lassen. Für die Koordination dieses weltweit größten Krebsforschungsprojekts ist die WHO-Unterorganisation IARC im französischen Lyon verantwortlich (International Agency for Research on Cancer). Die Datenerhebungen für die Studien wurden Ende 2003 abgeschlossen, doch wird es voraussichtlich bis Anfang 2005 dauern, bevor die letzte der Fallkontrollstudien ausgewertet und das Gesamtergebnis veröffentlicht worden ist. Noch im Jahr 2004 ist jedoch mit der Veröffentlichung der meisten nationalen Fallkontrollstudien zu rechnen.

Warum der Hörnervtumor überhaupt untersucht wird

Den Reigen der nationalen Veröffentlichungen begannen Ende Januar 2004 die Dänen im American Journal of Epidemiology (AJE),  Band 159, Ausgabe 3. Thema der dort vorgestellten Fallkontrollstudie ist das Risiko, einen Hörnervtumor (Akustikusneurinom) aufgrund von Handynutzung zu bekommen. Dieser Tumor ist gutartig, kann mit zunehmender Größe jedoch auf benachbarte Gehirnregionen Druck ausüben und dann lebensbedrohlich sein. Wir werden später noch auf die offensichtlich nicht unwichtige Größe der Tumoren zu sprechen kommen.

Das Auftreten von Akustikusneurinomen – so heißt es in der Studie – hat in den vergangenen 20 Jahren zugenommen: Derzeit bekämen von einer Million Menschen zwischen 1 und 20 diesen Tumor. Wenngleich die beobachtete Zunahme möglicherweise besseren Diagnoseverfahren (Kernspintomographie) zuzuschreiben sei, stehen Handys im Verdacht, den Hörnervtumor auszulösen. Der Verdacht beruht auf der physikalischen Tatsache, dass die Mobilfunkstrahlung eines Handys etwa 4 cm bis 6 cm in den Kopf eindringt und der Hörnerv innerhalb dieser Wirkungszone liegt. Nach ca. 5 cm ist die Strahlung bereits um 90 % abgeschwächt, d. h. in Wärme umgewandelt worden.

Forschungsteam gibt 5-mal Entwarnung

Das dänische Forscherteam um Dr. Helle Collatz Christensen (mit Dr. Joachim Schüz, Uni Mainz, war auch ein Deutscher an der Studie beteiligt) befragte zwischen Ende 2000 und August 2002 genau 106 an Akustikusneurinom erkrankte Personen u. a. nach ihren Telefoniergewohnheiten. Die willkürlich aus der Bevölkerung herausgegriffene Kontrollgruppe war mit 212 Personen doppelt so groß. Die statistische Auswertung aller dieser Interviews ergab folgende Resultate:

Wie schwierig es ist, mit einer derartigen Studie verlässliche Resultate zu bekommen, zeigt die von den Autoren der Studie am Rande vorgetragene Überlegung, dass Betroffene wegen des mit der Tumorenentwicklung einhergehenden Hörverlusts ihre Telefoniergewohnheiten möglicherweise ändern. Solche Personen würden dann wegen der Erkrankung kürzere Telefonate führen und beim Telefonieren häufiger das Ohr wechseln. Beides sind Störfaktoren, die einen vorhandenen Zusammenhang zwischen Akustikusneurinom und Handygebrauch verdecken könnten.

Alle Veröffentlichungen blasen prompt ebenfalls Entwarnung

Die oben genannten entwarnenden Resultate lassen sich im wesentlichen auch in der englischen Zusammenfassung der Studie beim American Journal of Epidemiology nachlesen. Wer die komplette Studie lesen möchte, muss dafür 35 Dollar bezahlen, nur die Kurzfassung ist kostenlos einzusehen. Dies ist möglicherweise der Grund dafür, dass in der Publikumspresse praktisch ausnahmslos die genannten entwarnenden Resultate veröffentlicht wurden (Beispiel hier), obwohl die Studie durchaus mehr zu bieten hat. Doch selbst das angesehene Deutsche Ärzteblatt haute diesmal in dieselbe Kerbe und stellte, wie wir gleich zeigen werden, mit dem Satz “Handybenutzer hatten auch nicht die größeren Tumoren” eine absolut falsche Behauptung auf. Die Studie selbst sagt dazu nämlich glatt das Gegenteil! Die Fehlleistung des Ärzteblattes ist um so erstaunlicher, da im medizinisch-wissenschaftlichen Redaktionsteam mit Prof. Dr. Maria Blettner eine Epidemiologin und frühere SSK-Vorsitzende sitzt, die für den deutschen Teil des Interphone-Projekts die Leitung innehat.

IARC stellt fest: Bei Handynutzern sind Hörnervtumoren signifikant größer

Sitz der IARC in Lyon, Frankreich. Foto: IARCDass in der dänischen Interphone-Fallkontrollstudie tatsächlich auch ein warnendes Resultat enthalten ist, davon kann sich jeder auf der Website der Krebsforschungsagentur IARC überzeugen. In der dortigen IARC-Studienzusammenfassung ist nachzulesen “The average size of tumours was significantly higher, however, for regular users than for non-users”. Auf deutsch heißt dies: Bei Personen, die regelmäßig mit einem Handy telefonierten, sind die Tumoren durchschnittlich signifikant größer als bei Personen, die kein Handy benutzen. In absoluten Volumenwerten ausgedrückt sieht das Verhältnis so aus: Bei Handytelefonierern waren die Tumoren durchschnittlich 1,66 cm³ groß, bei den anderen nur 1,39 cm³. Halten wir also den feinen aber wichtigen Unterschied bei den Studienresultaten fest: Die Studie fand keinen Zusammenhang zwischen der Dauer des Handygebrauchs und der Größe der Tumoren (keine nennenswert größeren Tumoren bei Langzeitgebrauch). Doch wenn bei den Teilnehmern an der Studie Tumoren diagnostiziert wurden, so waren diese bei Handytelefonierern größer als bei denen, die kein Handy verwendeten. Eine Interpretation dieses Sachverhalts könnte lauten: Handys verursachen keine Hörnervtumoren, kommt es aus anderen Gründen zu einem solchen Tumor, fördern Handys jedoch dessen Wachstum.

Mitautor der Studie bestätigt: Darstellung der IARC ist richtig

Und noch eines ist festzuhalten: Die IARC-Studienzusammenfassung bringt den kritischen Aspekt der Tumorgröße zur Sprache, während auf der Website des American Journal of Epidemiology die AJE-Studienzusammenfassung lediglich die unkritischen Aspekte erwähnt. Warum dies so ist, haben wir nicht weiter untersucht. Auf keinen Fall kann der IARC jedoch nachgesagt werden, sie habe irgendetwas vertuschen wollen. Dies ist für die Glaubwürdigkeit der Organisation nicht unerheblich. Um jedoch eine denkbare, wenn auch unwahrscheinliche, Fehlinterpretation seitens der IARC auszuschließen, fragten wir bei Sitz der Organisation in Lyon nach, ob zwischen den beiden Zusammenfassungen der Studie nicht einen Widerspruch herrsche. In der Antwort (siehe Textkasten unten links) wurde dies Verneint, denn das Original der Studie würde die unterschiedlichen Tumorgrößen bestätigen. Auch Dr. Joachim Schüz, Mitautor der Studie bestätigte uns auf Anfrage, dass die Darstellung der IARC richtig ist (siehe Textkasten unten rechts). Zur Verdeutlichung: Beide Anfragen waren notwendig, weil wir zu diesem Zeitpunkt den Originaltext der Studie noch nicht in Händen hatten.

 

Antwort der IARC

Dear Sir,

Following your e-mail message, there is no contradiction. The paper does state the difference in size of tumours between regular and non-regular users (this information is not picked up on their abstract however); there is, however, no correlation between the size and the pattern of use (presumably number of years of use).

With best wishes

Elisabeth Cardis

Antwort von Dr. J. Schüz

Sehr geehrte Frau Schall,

das Ergebnis zur Tumorgröße ist dem Artikel korrekt entnommen, allerdings geht in der Kürze der Darstellung Information verloren. Zum einen ist nicht klar, ob der zwar statistisch signifikante aber doch geringe Unterschied im Tumorvolumen eine klinische Relevanz hat.

Zweitens zeigt sich im Tumorvolumen kein Zusammenhang zur Nutzungsdauer, d.h. Patienten mit langer Handy-Historie haben keine größeren Tumoren als die, die erst kürzer vor Diagnosestellung mit dem mobil telefonieren begonnen haben. Wir haben dieses Ergebnis in unserem Artikel als Befund einfach mal zur Diskussion gestellt, zumal es bisher in keiner anderen Arbeit berücksichtigt wurde, und hoffen, dass nachfolgende Studienzentren aus der Interphone-Studie ähnliche Auswertungen machen können.

Mit freundlichen Grüßen

Joachim Schüz

Und was lernen wir diesmal daraus?

Der Aspekt der beobachteten rd. 20 % größeren Hörnervtumoren bei Handynutzern ist zweifellos nicht dazu angetan, die in Richtung Entwarnung gehende Trendaussage der dänischen Interphone-Studie ins Gegenteil zu verkehren. Aber: Mit der IARC hat kein geringerer als der Auftraggeber der Studie das Augenmerk auf die Auffälligkeit bei der Tumorgröße gelenkt. Wir Mobilfunkgegner haben uns dieser kritischen Sichtweise der IARC lediglich angeschlossen. Dass die deutschsprachige Medienlandschaft den kritischen Aspekt einfach nicht zur Kenntnis nimmt und totschweigt, ist beinahe schon ein Skandal. Uns ist bis jetzt (8. Februar 2004) kein einziges Publikumsmedium bekannt, das den kritischen Aspekt der dänischen Interphone-Studie nennt. Und dieser Aspekt bleibt keinem verborgen, der sich der Mühe unterzieht, auf Seite 281 der Originalveröffentlichung nachzulesen. Bei dieser Gelegenheit hätte man auch gleich darüber staunen können, dass von den 106 befragten Erkrankten nur 45 angaben, regelmäßig ein Handy zu benutzen, 61 sagten, sie benutzten es selten oder nie. Die noch dünne Datenbasis soll im Laufe des Interphone-Projekts übrigens durch andere Fallkontrollstudien auf voraussichtlich 1000 an Akustikusneurinom Erkrankte ausgedehnt werden.

Die Erklärung für die Monotonie in den Medien dürfte in den wenigen Primärquellen für diesbezügliche Berichte zu suchen sein. Wenn sich die Redaktionen von Nachrichtenagenturen wie dpa und APA irren, irren scharenweise auch deren Kunden. Ein Ruhmesblatt für die Medienlandschaft ist dies nicht. Jedenfalls nicht bei einem so kontrovers diskutierten Thema wie dem Mobilfunk. So darf sich jedenfalls niemand wundern, wenn sich unter Mobilfunkgegnern die abenteuerlichsten Verschwörungstheorien breit machen. Als wenn Mobilfunkgegner nicht schon von genug Zweifeln geplagt würden! Und jetzt haben sie wegen der nachweislich tendenziösen Berichterstattung über die dänische Interphone-Studie einen guten Grund mehr, die Medienberichte zum Reizthema Mobilfunk mit berechtigtem Misstrauen zu beäugen (8.2.04-ll).

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Zweite Interphone-Veröffentlichung (Schweden): Langzeittelefonierern droht Hörnervtumor

Dritte Interphone-Veröffentlichung (Schweden): Kein Indiz für höheres Hirntumorrisiko

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