»Hier stellt das BfS eine
ausdrücklich unwahre Behauptung auf«

Bundesamt für Strahlenschutz entgegnet dem Vorwurf eines Europaabgeordneten

von Stephan Schall, IZgMF

Wenn in Vereinen organisierte Mobilfunkgegner dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Klüngelei mit der Mobilfunkindustrie vorwerfen, lässt sich dies wahlweise mit Desinformation, Geschäftsinteresse oder blinder Wut schlüssig erklären, zuweilen auch mit allen drei Motiven zusammen. Was aber, wenn mit Klaus Buchner ein gewählter Europaabgeordneter der Kleinpartei ÖDP das BfS öffentlich der Lüge bezichtigt? (09.03.2020)

Anlass für Buchners Attacke auf das BfS ist dessen Umfrage "Was denkt Deutschland über Strahlung?". In der zwölfseitigen Präsentation der Ergebnisse, die im November 2019 vorgestellt wurden, heißt es auf Seite 9:

Quelle dieser Aussage ist das Antwortverhalten der Deutschen auf eine Frage, die unten der Screenshot zeigt. Wer sich die Frage aufmerksam ansieht, kann dort einen kleinen Fehler erkennen. Gefragt wird, welche von vier Aussagen zu ionisierender Strahlung richtig oder falsch sind. Drei der Aussagen passen widerspruchsfrei zur Fragestellung, ausgerechnet die Aussage zu den Erbgutschäden aber steht quer. Denn Mobiltelefone haben mit ionisierender Strahlung nichts zu tun, sie senden und empfangen ausschließlich nicht-ionisierende Strahlen.

Warum beinahe jeder zweite Deutsche, – teilt er die Ansicht, die Strahlung von Handys könne das Erbgut schädigen, – auf dem Holzweg ist, begründet das Amt in dem Papier nicht. Auf seiner Website bietet das BfS verstreut auf mehrere Stellungnahmen zwar gute Informationen über den Stand des Wissens zu Erbgutschäden infolge der Einwirkung elektromagnetischer Felder an, nicht aber eine zusammenfassende Übersicht zu diesem vital wichtigen Thema. Wer sich schneller informieren möchte findet im EMF-Portal der RWTH Aachen was er sucht, die Übersicht dort ist gegenwärtig allerdings nicht auf aktuellem Stand.

BfS-Umfrage Grafik Erbgut02

Auszug aus der BfS-Umfrage »Was denkt Deutschland über Strahlung«. Hervorhebung (gelb) durch IZgMF.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grafik: Bundesamt
für Strahlenschutz

Der Europaabgeordnete Klaus Buchner (79) hat in Physik promoviert und unterrichtete die letzten 30 Jahre vor seiner Pensionierung Studenten an der TU München im Fach Mathematik. Der Münchener war Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) und hält seit mindestens 20 Jahren Vorträge über angebliche Risiken des Mobilfunks.

Klaus Buchners Anschuldigungen gegenüber dem BfS

In einer öffentlichen Stellungnahme vom 28. November 2019 greift Buchner die oben zitierte Aussage aus der BfS-Umfrage an und begründet seinen Vorwurf. Der Fehler in der Fragestellung (ionisierende Strahlung) kümmert ihn nicht, der Mathematikprofessor steigt gleich in die Zellbiologie ein. Buchner schreibt:

Wahlkampf in BayernTermine_Buchner

Würde ein aufgebrachter Molkereifachwirt aus einem baden-württembergischen Dorf dies dem Bundesamt öffentlich entgegen schleudern, man könnte getrost darüber hinwegsehen. Buchner aber ist ein anderes Kaliber. Zwar ist sein Ruf als Mobilfunkgegner alles andere als gut und wissenschaftlich hat er keinerlei Bedeutung, doch Laien kann er mit seinen Ausführungen stark verunsichern. Maßgeblich helfen ihm dabei seine akademischen Statussymbole, in denen Laien fälschlicherweise geballte Fachkompetenz in Sachfragen der Mobilfunkdebatte erkennen.

So organisieren Kreisverbände der ÖDP für ihren ehemaligen Bundesvorsitzenden fließbandartig mobilfunkkritische Veranstaltungen (siehe Terminkalender rechts), auf denen er bevorzugt als Prof. Dr. Dr. habil. Klaus Buchner angekündigt wird und seine fachlich grenzwertigen oder irreführenden Ansichten über das “Risiko Mobilfunk” verbreitet, um Wählerstimmen für seine Partei zu gewinnen. Buchner ist mitten im Wahlkampf der Bayerischen Kommunalwahlen (15. März 2020) und ÖDP-Mitglieder werben, ihre Partei sei die einzige, welche die Interessen überzeugter Mobilfunkgegner vertritt.

Die Faktenferne Buchners dürfte der Grund dafür sein, warum das BfS auf seiner eigenen Website nicht auf den Angriff reagiert. Das Amt hätte einen Populisten damit ungewollt aufgewertet. Der Europaabgeordnete teilt damit das Schicksal anderer radikaler Außenseiter, etwa Politiker der AfD, die in etablierten Kreisen der Politik häufig auf tiefe Ablehnung stoßen. Doch ebenso wie die AfD stößt der ÖDP-Politiker in der Bevölkerung auf Resonanz. Denn auch er befeuert subjektiv empfundene Ängste, nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen Mobilfunk. Ängste aber sind ein guter Nährboden für fest gefügte irrationale Meinungen, deren Ursprung die Betroffenen später nicht mehr wissen. Aus diesem Grund darf aus Sicht des IZgMF auch der erste und einzige Europaabgeordnete der Ökologisch-Demokratischen Partei nicht unwidersprochen Desinformation verbreiten, so er dies überhaupt tut.

Erwiderung des Bundesamt für Strahlenschutz

Ob Buchner mit seinem Angriff auf das Bundesamt für Strahlenschutz vom 28. November 2019 desinformiert, muss jeder selbst beurteilen. Das IZgMF kann lediglich die Voraussetzung dafür bereitstellen. Dazu pickten wir aus Buchners Stellungnahme fünf Behauptungen heraus und baten das Amt um Auskunft, was es auf diese Äußerungen des Europaabgeordneten zu erwidern hat.

IZgMF: Ist es aus Sicht des BfS zutreffend, dass viele wissenschaftliche Arbeiten eindeutig zeigen, Mobilfunkstrahlung könne Erbschäden und dadurch auch Krebs und Missbildungen hervorrufen?

BfS: Das unter anderem vom Bundesumweltministerium mitfinanzierte EMF-Portal (www.emf-portal.org) der Uniklinik RWTH Aachen ordnet aktuell über 4.000 wissenschaftliche Artikel dem vom Mobilfunk genutzten Frequenzbereich zu, davon etwa 1.600 Artikel, die experimentelle oder epidemiologische Studien betreffen. Diese Studien werden laufend vom Bundesamt für Strahlenschutz für eine Risikobewertung herangezogen.

Es trifft nicht zu, dass Studien eindeutig zeigen, dass hochfrequente elektromagnetische Felder zu Erbschäden führen. Es gibt Studien unterschiedlicher Qualität, die darauf hindeuten, andere Studien bestätigen es aber nicht. Weiterhin führt eine Schädigung des Erbgutes (DNA) nicht zwangsläufig zu Krebs oder Missbildungen. Um solche Folgen zu belegen, müsste es übereinstimmende Ergebnisse aus Laborstudien an Zellkulturen, Tierstudien und Humanstudien geben, die Wirkmechanismen und Folgen eindeutig beschreiben. Dies liegt nicht vor.

Entscheidend für die wissenschaftliche Bewertung ist für das BfS, dass die Ergebnisse der Studien reproduzierbar sind und fachliche Kriterien eingehalten werden, die unabhängig von 5G/Mobilfunk gelten. Dazu gehören unter anderem gute Laborpraxis bei experimentellen Studien, nachvollziehbare Dosimetrie, Anwendung der richtigen statistischen Methode, adäquate Kontrollen, nach Möglichkeit [aber nicht unbedingt] ein plausibler Wirkmechanismus etc. Anhand dieser Anforderungen werden alle vorliegenden Studien bewertet und in Beziehung zum bereits vorhandenen wissenschaftlichen Kenntnisstand gesetzt.

Das Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Risks (SCENIHR) hat im Januar 2015 eine umfassende Literaturbewertung zu potentiellen gesundheitlichen Risiken durch Felder aller Frequenzbereiche veröffentlicht. Zu genotoxischen Wirkungen heißt es dort zusammenfassend (S. 101): “A large number of in vitro studies pertaining to genotoxic as well as non-genotoxic endpoints have been published since the last Opinion. In most of the studies, no effects of exposure at permissible levels were recorded, although in some cases DNA strand breaks and spindle disturbances were observed.” Seit der letzten Stellungnahme wurde eine Vielzahl von In-vitro-Studien zu genotoxischen und nicht-genotoxischen Endpunkten veröffentlicht. In den meisten Studien wurden keine Auswirkungen der Exposition bei zulässigen Werten festgestellt, obwohl in einigen Fällen DNA-Strangbrüche und Spindelstörungen beobachtet wurden.

All dies fließt in die Risikobewertung des BfS ein.

Gibt es aus Sicht des BfS eine biologisch plausible Erklärung dafür, dass EMF nicht alle Arten von Zellen schädigt, sondern beispielsweise bei Skelett- und Muskelzellen sowie Lymphozyten keine schädlichen Wirkungen beobachtet wurden?

Zellen unterschiedlicher Gewebe haben unterschiedliche physiologische Eigenschaften und können deswegen auf Strahlung unterschiedlich reagieren. Aus dem Bereich der ionisierenden Strahlung sind empfindliche und weniger empfindliche Zelllinien bekannt, bei hohen Strahlendosen werden aber alle Zellen geschädigt. Da bei hochfrequenten elektromagnetischen Feldern mit Ausnahme der Wärmewirkung kein Wirkmechanismus eindeutig beschrieben ist, ist es schwierig einzuschätzen, welche Eigenschaften eine besonders empfindliche Zelllinie haben müsste. Besonders wärmeempfindlich sind zum Beispiel Nervenzellen.

Wie beurteilt das BfS die Behauptung, wissenschaftliche Studien würden im Interesse eines widersprüchlichen Forschungsstands gezielt mit Zellen durchgeführt, bei denen von vornherein klar ist, dass sie keine Schäden bekommen können?

Im Bereich der ionisierenden Strahlung gelten Lymphozyten als ein etabliertes Modellsystem. Deswegen wurden im Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramm zunächst Lymphozyten untersucht [1], [2], mit einem negativen Ergebnis. Da es später Hinweise gab, dass Fibroblasten möglicherweise empfindlicher sein könnten, wurde auch eine Studie an Fibroblasten durchgeführt [3], ebenfalls mit negativem Ergebnis. Auch in einem anderen Labor konnte die genotoxische Wirkung auf Fibroblasten nicht bestätigt werden [4]. Als besonders wärmeempfindlich und deswegen gute Kandidaten um Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder zu untersuchen gelten Nervenzellen.

Eine häufig verwendete Linie sind SH-SY5Y Neuroblastom-Zellen, auch hier konnten (beispielhaft in einer Studie) keine erbgutschädigenden Wirkungen gefunden werden [5]. Insbesondere an Nervenzellen gibt es aber auch (qualitativ hochwertige) Studien, die Wirkungen zeigen. Dabei geht es nicht um genotoxische Wirkungen, sondern z.B. um minimale Wirkungen auf Mitochondrien unter besonderen Randbedingungen [6]. Solche Effekte sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesundheitsrelevant, können aber helfen Wirkungen zu verstehen. Die hier genannten Studien gelten als Beispiele. Es ist wichtig, einzelne Studien unter Berücksichtigung der Qualität zu bewerten und in ein Gesamtbild einzuordnen. Das Aufzählen einzelner Studien – mit oder ohne Effekt – ist nicht zielführend. Zwei umfassende Übersichtsarbeiten [7], [8] wurden kürzlich veröffentlicht. Fazit: Falls es Effekte gibt, sind diese gering. Je besser die Studienqualität, umso geringer das Ausmaß der Effekte.

Ist es zutreffend, dass das BfS in seinen Räumen (in München-Neuherberg) dem Verein ICNIRP e.V. mietfrei Räumlichkeiten zur Verfügung stellt?

ICNIRP wurde und wird vom BfS ein Büroraum mietfrei zur Verfügung gestellt. Direkte finanzielle Unterstützung von Seiten des BfS gab und gibt es darüber hinaus nicht, so werden z.B. auch die Postgebühren, Homepage, etc. von ICNIRP selbst getragen. Weitere Informationen finden Sie im ICNIRP-Jahresbericht 2017 und auf der ICNIRP-Seite Funding & Governance.

Die leitende BfS-Mitarbeiterin Frau Dr. Gunde Ziegelberger ist wissenschaftliche Sekretärin von ICNIRP. Unter der Annahme, dass Frau Ziegelberger diese Tätigkeit während ihrer Arbeitszeit ausführt: Vergütet ICNIRP dem BfS diese Dienstleistung und damit einhergehende Aufwendungen (z.B. Reisen) finanziell oder auf andere Weise?

Frau Dr. Gunde Ziegelberger ist ehrenamtlich als Wissenschaftliche Sekretärin für ICNIRP tätig. Die rein ehrenamtliche Tätigkeit wird von ICNIRP nicht vergütet. Reisekosten zu den ein bis zwei Kommissionstreffen pro Jahr werden von ICNIRP übernommen.

Quellen

[1]

Untersuchungen zu Wirkungsmechanismen an Zellen unter Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern der Mobilfunktechnologie C. Funktionen (Link).

[2]

Untersuchung möglicher genotoxischer Effekte von GSM-Signalen auf isoliertes menschliches Blut (Link).

[3]

Einfluss hochfrequenter Felder auf menschliche Fibroblasten (Genotoxizität; Link).

[4]

Speit, G, P Schutz and H Hoffmann (2007). Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMF) in cultured mammalian cells are not independently reproducible. Mutat Res 22(1): 69-74.

[5]

Su, L, X Wei, Z Xu and G Chen (2017). RF-EMF exposure at 1800 MHz did not elicit DNA damage or abnormal cellular behaviors in different neurogenic cells. Bioelectromagnetics 38(3): 175-185.

[6]

von Niederhausern, N, A Ducray, J Zielinski, M Murbach and M Mevissen (2019). Effects of radiofrequency electromagnetic field exposure on neuronal differentiation and mitochondrial function in SH-SY5Y cells. Toxicol In Vitro 61: 104609.

[7]

Vijayalaxmi and TJ Prihoda (2019). Comprehensive Review of Quality of Publications and Meta-analysis of Genetic Damage in Mammalian Cells Exposed to Non-Ionizing Radiofrequency Fields. Radiat Res 191(1): 20-30 (Link).

[8]

Vijayalaxmi and TJ Prihoda (2019). Funding Source, Quality of Publications and Outcome in Genetic Damage in Mammalian Cells Exposed to Non-Ionizing Radiofrequency Fields. Radiat Res. 192(4): 353-362 (Link).

 

  Nicole_Meßmer

Für das Bundesamt für Strahlenschutz
antwortete am 3. Februar 2020 Pressereferentin Nicole Meßmer.

 

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