Von Stephan Schall, IZgMF
Das Internet brachte uns das Informationszeitalter. Wie schön. Jeder kann heute mit Suchmaschinen vom Sofa aus in kürzester Zeit Antworten auf beliebige Fragen recherchieren, die ihm gerade durch den Kopf schießen. Doch wer wegen fachlicher Unkenntnis die Kunst nicht beherrscht, Information von Desinformation zu unterscheiden, wird leicht Opfer von Geschäftemachern, Populisten und Demagogen. Gut zu beobachten ist dies, wenn aus friedlichen Bürgern über Nacht Wutbürger werden, nur weil in ihrem Dunstkreis ein angeblich Tod und Verderben bringender Mobilfunksendemast geplant ist. Eine Parabel aus der bayerischen Provinz (04.06.2019).
Obertrubach ist eine in Oberfranken gelegene Gemeinde mit 16 Ortsteilen, der Kernort heißt ebenfalls Obertrubach. Bislang versorgen die rd. 21 km² große Flächengemeinde und daran angrenzende Gebiete nur zwei Mobilfunksendemasten. Zu wenig, befand 2018 die Deutsche Telekom, denn die Gemeinde liegt in der landschaftlich reizvollen "Fränkischen Schweiz", dem bekannten Touristenmagnet Frankens, und die vielen Besucher verlangen nach Netz und Datenübertagungskapazitäten. Ein dritter Sendemast sollte her. Schnell war den Funknetzplanern der Telekom klar, der Suchkreis für den neuen Standort muss im Norden der Gemeinde liegen, am besten auf der unbewohnten flachen Geschwander Höhe (Bild 1). Diese liegt ungefähr in der Mitte zwischen den Ortsteilen Geschwand und Bärnfels, Grundbesitz hat die Gemeinde dort nicht. Das dem Zentrum des Suchkreises nächstgelegene Wohnhaus in Geschwand liegt 520 Meter weit weg, zum nächstgelegenen Wohnhaus in Bärnfels sind es 920 Meter. Beides Abstände, von denen Stadtbewohner nur träumen können. Obertrubachs Bürgermeister zeigte sich daher in einem Vorgespräch wohlwollend und bald schon war ein privater Grundbesitzer gefunden, der bereit war, der Telekom im Suchkreis ein Stück Land für den geplanten Sendemasten zu verpachten. Alles schien in Butter.
Mobilfunkgegner formieren sich
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Gegenveranstaltung der Gemeinde
Auch ein Hauch von Fairness wehte durch Obertrubach. Um der einseitig alarmierenden Darbietung Gutbiers die andere Sicht entgegen zu halten, veranstalte die Gemeinde nur ein paar Tage nach dessen Auftritt eine Sonderbürgerversammlung mit einer Referentin der Telekom und einem neutralen Referenten des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. Auf den ersten Blick eine ehrenwerte Idee der Gemeinde, auf den zweiten ein Bärendienst an der objektiven Willensbildung der Bürger. Denn Mobilfunkgegner sind eine kleine Minderheit. Auch unter Wissenschaftlern. Um die wahren Kräfteverhältnisse abzubilden, hätte die Gemeinde (theoretisch) mindestens fünf oder zehn Gegenveranstaltungen zu Gutbier abhalten müssen. Doch dies ist aus nahe liegenden Gründen ebenso wenig praktikabel wie eine einzige Gegenveranstaltung mit fünf oder zehn Referenten. Notgedrungen zur einfachen 1:1-Lösung zu greifen, wie in Obertrubach, wertet den Außenseiter Gutbier unverdient auf, und seine Kontrahenten mit der Mehrheitsmeinung unverdient ab. Statt zwei Veranstaltungen mit 1 x Pro und 1 x Kontra, hätte ein einziges öffentliches Streitgespräch mit z.B. drei Pro-Vertretern und einem Kontra-Vertreter die verzerrte Abbildung fachlicher Meinungen abmildern können. Im US-amerikanischen Rechtssystem werden nach einem ähnlichen Prinzip bei anspruchsvollen Gutachter-Streitfragen Pseudoexperten und echte Experten getrennt (Daubert-Standard).
Desinformation mit Propagandafilm einer Religionssekte
Der Bürgermeister von Obertrubach machte mit seiner 1:1-Lösung einen verzeihlichen Fehler. Unverzeihlich ist, dass er den besorgten Bürgern von Geschwand gestattete, auf seiner Gegenveranstaltung zu Gutbier den unsäglichen 1-stündigen Hetzfilm "Mobilfunk – Die verschwiegene Gefahr" der Schweizer Religionssekte AZK vorzuführen. Dieser Film ist Propaganda auf niedrigstem Niveau, er breitet ein Sammelsurium von zusammengeschnittenen Gerüchten, Halbwahrheiten und Lügen aus, ähnlich wie in den Filmen von Impfgegnern. Wer die Botschaften dieses Machwerks für bare Münze nimmt muss sich freilich den Verdacht gefallen lassen, er glaube auch, der Mond sei näher an Obertrubach als die Franken-Metropole Nürnberg! Schließlich könne man den Mond von Obertrubach aus sehen. Nürnberg hingegen nicht.
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Nach spätestens zehn Minuten hätte der Bürgermeister diesen demagogische Film kategorisch stoppen müssen, ist der Streifen doch eine Beleidigung für jeden, der einen Funken Verstand hat. Doch nichts geschah, die Mobilfunkgegner aus Geschwand konnten die Gegenveranstaltung der Gemeinde so zu der ihren machen. Spätestens damit waren die Würfel gefallen: Der zur Verpachtung bereit gewesene private Grundbesitzer zog seine noch unverbindliche Zusage nach Aufbranden des Widerstands gegen den geplanten Sendemasten zurück. Er hatte keine andere Wahl, wollte er gesellschaftlich im Ort nicht über Jahre hinaus geächtet sein. Und selbstverständlich fand sich im Suchkreis auch kein anderer privater Grundbesitzer, der es wagte, sich nach der geballten Desinformation noch gegen die besorgten Bürger von Geschwand zu stellen.
Wie konnte dies nur passieren?
Rational ist die Ablehnung des geplanten Standorts in Obertrubach kaum zu begreifen. Auf derselben Fläche, wo auf dem Gemeindegebiet derzeit zwei (2) Standorte für Mobilfunksendemasten zu finden sind, gibt es z.B. in München hunderte Standorte (Bild 2). Die besorgten Bürger von Geschwand hätte dies nachdenklich machen können. Schon vor fünf Jahren gab es im April 2014 in München mehr als 1100 Standorte für Mobilfunksendemasten mit damals mehr als 6530 Antennen, – und dennoch muss man Sendemastengegner in der Bayerischen Landeshauptstadt heute mit der Pinzette suchen. Mit etwa 520 Meter Mindestabstand zum nächstgelegenen Wohnhaus wäre in Obertrubach zudem der gefühlte Sicherheitsabstand riesig gewesen, in Großstädten sind Abstände von weniger als 20 Meter keine Seltenheit.
Auch in Obertrubach käme wahrscheinlich niemand auf die Idee, bei einem Bäcker nach Hackfleisch zu fragen. Doch geht es um Mobilfunksendemasten, versagen bei besorgten Bürgern die Mechanismen des sogenannten gesunden Menschenverstandes. Dann werden Auskünfte bevorzugt nicht dort eingeholt, wo neutrale Experten kompetente Antworten geben könnten, sondern dort, wo die irrationalen Ängste der Bürgerschaft bestätigt und weiter befeuert werden. Die Bestätigung subjektiv empfundener Ängste ist Sendemastengegnern wichtiger als die Fachkompetenz ihrer Berater. Selbst offensichtliche materielle oder immaterielle Interessenkonflikte der Berater spielen unter diesen Umständen keine Rolle. Geschweige denn Sachargumente. So haben auch die Sendemastengegner in Geschwand und Bärnfels nahezu alle ein Smartphone oder Handy, das sie sich sorglos an den Kopf halten. Der nächstgelegene Mobilfunksendemast ist jedoch weit entfernt, mindestens zwei Kilometer. Um diesen Mast zu erreichen, müssen Mobiltelefone deutlich stärker senden, verglichen mit einem Sendemast auf der Geschwander Höhe. An diesem realen Beispiel ist auch für Laien gut zu erkennen: Steht ein Mobilfunksendemast im Ort und nicht irgendwo außerhalb, kommen die Mobiltelefone im Ort mit 25-mal schwächerer Sendeleistung aus.
Berater aus der Anti-Mobilfunk-Szene kontern dieses einleuchtende Argument gerne mit der Behauptung, die Funkimmission eines Sendemasten sei zwar tatsächlich wesentlich schwächer als die eines Mobiltelefons, der Mast aber strahle dafür rund um die Uhr. Und das sei gefährlich. Wissenschaftlich gibt es für diese angeblich gefährliche schwache Dauerbefeldung jedoch keinen einzigen Beweis, von Gegnern als Beleg vorgelegte Studien zeigen ausnahmslos methodische Mängel. Auch gibt es kein anerkanntes Wirkmodell, das biologische Folgen schwacher Dauerbefeldung erklären könnte. Zum besseren Verständnis der Problematik mag die Parabel dienen, dass ein Ei auch dann nicht hart wird, wenn man es nur lange genug bei konstant +20 Grad liegen lässt.
Erklärungsmodell Dunning-Kruger-Effekt
Eine frappierend einleuchtende Erklärung für die befremdliche Ignoranz von Sendemastengegnern gegenüber dem wissenschaftlich gesicherten Kenntnisstand bietet der Dunning-Kruger-Effekt, benannt nach den amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger. Die beiden Wissenschaftler gelangten 1999 mit einer Studie (Unskilled and unaware of it. How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments) zu der Erkenntnis, dass in einer Sachfrage inkompetente Menschen die systematische fehlerhafte Neigung haben, das eigene Wissen und Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen. Diese Menschen geraten leicht in einen Teufelskreis, da sie nicht imstande sind, das Ausmaß ihrer eigenen Inkompetenz zu erkennen. Hoffungslos ist diese Lage laut dem Wikipedia-Eintrag zum Dunning-Kruger-Effekt jedoch nicht, Betroffene könnten durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen, sich und andere besser einzuschätzen. Ein langjähriger bekannter Mobilfunkgegner in der Schweiz, dort Präsident eines Anti-Mobilfunk-Vereins, ist allerdings der überzeugende Beweis, dieser rettende Ausweg steht keineswegs jedem Betroffenen offen.
Ironie des Schicksals
Eine im Oktober 2018 in der gesamten Gemeinde (rd. 2200 Einwohner) durchgeführte Bürgerbefragung zum Themenkomplex Mobilfunk (Fragebogen) brachte es auf 619 Rückläufer. Die Frage "Sind Sie dafür, dass in der Nähe Ihres Wohnorts ein Funkmast errichtet wird?" wurde nur in 14 der 16 Ortsteile vehement verneint. In den Ortsteilen Wolfsberg und Untertrubach/Haselstauden wurde sie mehrheitlich bejaht. Der Grund dafür ist unschwer zu erraten, nirgendwo in der Gemeinde ist der Mobilfunkempfang so schlecht wie dort. Unglücklicherweise liegen beide Ortsteile funktechnisch ungünstig, das von der Telekom angestrebte großflächige Versorgungsziel lässt sich von dort aus nicht erreichen. Ein eigener Standort allein zur Versorgung der beiden Teilorte würde dort zwar willkommen sein, wegen geringer Einwohnerzahl wäre er für den Netzbetreiber jedoch unwirtschaftlich. So ist der gegenwärtige Stand der Dinge der, dass in Obertrubach bis auf weiteres Stillstand herrscht. Dies könnte sich ändern, haben in zwei oder drei Jahren die besorgten Bürger des Ortes andere Sorgen, weil Sommerfrischler mit der Netzqualität hadern und meutern. Der normativen Kraft des Faktischen werden sich dann auch die Mobilfunkgegner widerwillig beugen. Dass sie jemals wegen ihrer Blockadehaltung zur Rechenschaft gezogen werden, ist nicht zu erwarten.
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