Reflex-Studie: Replikation in Berlin
trotz bester Voraussetzungen gescheitert

von Prof. Alexander Lerchl, Jacobs University, Bremen

Zwei Studien des “Reflex”-Projekts gehören seit 2003 zu den Kronjuwelen von Mobilfunkgegnern: Hochkarätig vermelden sie nicht weniger als DNA-Strangbrüche unter schwacher EMF-Einwirkung. Träfe dieser Befund zu, müssten Handynutzer mit Kopftumoren rechnen, ähnlich Rauchern, denen Lungenkrebs droht. Doch die Zweifel mehren sich: Seit 2008 steht das “Reflex”-Projekt unter Fälschungsverdacht und 2013 scheiterten in Darmstadt und Berlin gleich zwei Versuche, die alarmierenden Ergebnisse zu reproduzieren. Franz Adlkofer, ehemals Kopf der deutschen Tabakforschung und später Koordinator des ”Reflex”-Projekts, reagierte auf die gescheiterte Replikation in Berlin mit einer Verschwörungstheorie (08.09.2014).

Reflex-Replikation in Berlin gescheitert2013 publizierten Prof. Günter Speit (Ulm), Dr. Richard Gminski (Freiburg) und Prof. Rudolf Tauber (Charité, Berlin) eine Studie, die sich mit der Replikation alarmierender Effekte elektromagnetischer Felder auf die DNA von HL60-Zellen befasst. Diese Replikation galt einer wissenschaftlich nie publizierten Arbeit, die im Rahmen des bekannten ”Reflex”-Projekts um 2002 von der Berliner Arbeitsgruppe Tauber ausgeführt wurde und von Strangbrüchen und Mikrokernen durch EMF-Exposition auf eben diese Zellen berichtete. Erhärtet wurden die alarmierenden Befunde seinerzeit durch eine zweite “Reflex”-Arbeitsgruppe in Wien, die zeitgleich mit einer anderen Zelllinie experimentierte und die Daten später wissenschaftlich publizierte (Diem et al., 2005; Schwarz et al., 2008).

Grundsätzlich sind Replikationsversuche dann angezeigt, wenn Ergebnisse von Studien unerwartete oder unplausible Ergebnisse liefern. Im Fall der Berliner Daten waren die Effekte laut Speit et al. deswegen unplausibel, weil keine klassische Dosis-Effekt-Beziehung vorlag („The absence of a classical toxicological dose-dependency and the sharp limitation of effects to this defined range of SAR values questioned the biological significance of the observation.“). Die Effekte traten nur bei SAR-Werten von 1,3 W/kg, 1,6 W/kg und 2 W/kg auf, nicht aber bei 1 W/kg und 3 W/kg oder darüber. Einzelheiten sind im ”Reflex”-Abschlussbericht auf den Seiten 122 – 140 nachzulesen.

Angeblich verschollener Abschlussbericht

Der 2013 publizierte Replikationsversuch war Speits zweiter Anlauf, Ergebnisse des “Reflex”-Projekts nachzustellen. Bereits 2005 hatte er einen solchen Versuch unternommen, im Auftrag von ”Reflex”-Koordinator Franz Adlkofer, finanziert von der Stiftung Verum. In seinem Abschlussbericht führte der Humangenetiker seinerzeit aus, er habe die im ”Reflex”-Abschlussbericht publizierten Ergebnisse in Ulm nicht reproduzieren können. Dieses Ergebnis wurde von Adlkofer jedoch nicht weiter berücksichtigt. Später bestritt dieser sogar, einen solchen Abschlussbericht aus Ulm überhaupt bekommen zu haben. Auf Nachfrage teilte Speit dazu mit, er habe den Bericht am 9. August 2005 abgeschickt und in dem Begleitschreiben um die Zahlung eines noch offenen Restbetrags gebeten. Der offene Betrag wurde von der Verum Foundation prompt überwiesen. Dies untermauert nicht nur die Darstellung, der Bericht sei an die Verum Foundation geschickt worden, sondern auch, dass dieser dort angekommen sein muss.

Die Veröffentlichung von 2013 enthält neben den Daten der Berliner Replikation zusätzlich die des vorangegangenen Versuchs an der Universität Ulm. Insofern geht es in dieser Publikation um gleich zwei “Reflex”-Replikationsversuche.

Beste Voraussetzungen für eine “Reflex”-Replikation

Von Wien nach Berlin

Auszug aus dem Bericht der Wiener Ethikkommission, die 2008 an der Medizinischen Universität Wien den Fäschungsverdacht gegenüber dem “Reflex”-Projekt untersuchte.

“Allerdings wurde [...] festgestellt, dass diese Arbeit [gemeint ist die “Reflex”-Studie der Wiener Arbeitsgruppe Diem et al., 2005; Anm. Verfasser] auf limitierten Daten, die innerhalb von zweieinhalb Wochen (von der oben erwähnten Wiener Labormitarbeiterin in Berlin) erhoben wurden, beruht. Insbesondere wurde für jeden Zeitpunkt nur ein (!) Befeldungs-versuch mit jeweils zwei Proben durchgeführt und trotzdem wurden statistische Berechnungen vorgenommen und publiziert (mit Angabe einer Standardabweichung). Dies stellt eine wissenschaftlich nicht vertretbare Vorgangsweise dar und reduziert die Aussagekraft dieser Arbeit.”

Bemerkenswert an der Publikation ist zunächst, dass zwei der am Original-“Reflex”-Projekt beteiligten Berliner Wissenschaftler  Co-Autoren sind (Dr. Gminski und Prof. Tauber) und Gminski sowie eine technische Assistentin die gleichen Versuche durchführten, die Jahre zuvor beim Original gemacht wurden. Und weil auch die technischen und biologischen Parameter weitgehend identisch sind (gleiche Expositionsapparatur, gleicher Zelltyp, gleiche Auswertungen, gleiche Befeldungsstärke, gleicher Expositionstyp und gleiche Expositionsdauer), herrschten in Berlin beste Voraussetzungen, um die ”Reflex”-Ergebnisse zu überprüfen.

Allerdings ist fraglich, ob die Original-Versuche seinerzeit von Mitgliedern der Berliner “Reflex”-Arbeitsgruppe durchgeführt wurden, oder von der Laborantin der Wiener “Reflex”-Arbeitsgruppe, die später (2008) dabei ertappt wurde, dass sie den Verblindungscode der Expositionsapparatur entschlüsseln konnte. Dieser Zweifel ist nicht aus der Luft gegriffen, denn die Wiener Laborantin war damals in Berlin und führte dort zweieinhalb Wochen lang Versuche durch (siehe Textkasten oben). Um Gewissheit zu bekommen, fragte der Autor dieses Beitrags kürzlich in Berlin bei den Herren Tauber und Gminski nach, ob die Laborantin an den Berliner ”Reflex”-Experimenten oder deren Auswertungen beteiligt war. Antwort erhielt er nicht.

Prof. Tauber distanzierte sich bereits 2010 in der Berliner Zeitung überraschend deutlich von der Aufregung, die “Reflex”-Koordinator Adlkofer ab 2003 um die Ergebnisse seines Projekts entfacht hatte:

Dies mag dann wohl auch der Grund dafür gewesen sein, die Befunde der Berliner Arbeitsgruppe der Wissenschaftsgemeinde vorzuenthalten, indem sie nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wurden, sondern nur im Abschlussbericht des “Reflex”-Projekts.

Kein Effekt der Originalstudie konnte bestätigt werden

Die Ergebnisse der beiden Reihen von Experimenten – so ist es der Publikation aus 2013 zu entnehmen – waren klar negativ. Keine der im “Reflex”-Abschlussbericht gezeigten Effekte (DNA-Strangbrüche, Mikrokerne) konnten reproduziert werden, trotz der für solche Replikationsversuche ungewöhnlich, weil fast identischen, guten Bedingungen. Als einzige Einschränkung nennt die Veröffentlichung gegenüber dem Original unterschiedliche Bezugsquellen für die HL60-Zellen und andere biologische Materialien. Als Erklärung für die eklatante Effektumkehr (klar positive Effekte vs. klar negative Effekte) wird dieser Umstand von den Autoren wegen seiner Geringfügigkeit jedoch abgelehnt (siehe auch Letter to the Editor von Günter Speit, 2014). Außerdem: Alle weltweit verfügbaren HL60-Zellen haben unabhängig von der Bezugsquelle denselben Ursprung.

Reaktion des “Reflex”-Koordinators auf die gescheiterte Replikation

Das “Reflex”-Projekt

Am “Reflex”-Projekt (Februar 2000 bis Mai 2004) waren zwölf wissenschaftliche Arbeitsgruppen (AG) in ganz Europa beteiligt. Finanziert wurde das Projekt von der EU-Kommission, von der schweizerischen und finnischen Regierung und von der Stiftung “Verum”. Öffentliches Aufsehen erregten jedoch nur die Ergebnisse der beiden AG Berlin und Wien (DNA-Doppelstrangbrüche unterhalb der Grenzwerte). Projekt-Koordinator Franz Adlkofer brachte die alarmierenden Ergebnisse dieser beiden AG bereits ab Mitte 2003 in die Medien. Im Dezember 2004 legte er den Abschlussbericht des Projekts vor.

Sicht Bundesamt für Strahlenschutz (2005): “Es handelte sich dabei nicht um Ringversuche mit einheitlichen [...] Versuchsprotokollen, son-dern um eine Vielzahl von Einzelexperimenten, die sich nur in wenigen Bereichen überschnitten oder ergänzt haben. Die Qualität und Darstellung der einzelnen Versuche sind sehr unterschiedlich und erfordern eine differenzierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Ergebnissen. Details der jeweiligen Befeldungsbedingungen, Zahl der durchgeführten Experimente und Angaben zur Statistik fehlen in mehreren Fällen oder müssen mühsam zusammengesucht werden. Durch umfangreiche Querverweise und eine inkonsequente Einteilung nach untersuchten Endpunkten werden die Lesbarkeit, die Verständlichkeit und v. a. ein Vergleich einzelner Versuchsansätze erheblich erschwert.”

Sicht Adlkofer (2005): “Unsere Ergebnisse zur Gentoxizität sind in vier REFLEX-Laboratorien unabhängig von einander erarbeitet und inzwischen von zwei weiteren Laboratorien außerhalb des REFLEX-Konsortiums bestätigt worden. Weitere Bestätigungen werden sehr bald folgen. Was die geforderten ‘klar definierten, validierten Expositionsbedingungen und die belastbare Statistik’ angeht, gibt es sicherlich weltweit keine Studie, die sich mit REFLEX messen kann. Bezüglich des Qualitätsstandards der REFLEX-Studie brauchen wir keinen Vergleich zu scheuen. Die von uns angewandten Qualitätskriterien erlauben den Ausschluss jeglicher Zweifeln an der Wertigkeit der Daten.”

Kurz nach Publikation der gescheiterten Replikation von Speit et al. (2013) veröffentlichte “Reflex”-Koordinator Adlkofer eine Stellungnahme. Darin erkennt er die Bedeutung der klar negativen Ergebnisse der Replikationsstudie zwar an, spielt die Ergebnisse als solche jedoch herunter:

Für  Speit, den er rund eine Dekade zuvor noch mit einer
“Reflex-Replikation beauftragte, hat Adlkofer nur noch die Verschwörungstheorie übrig, dieser habe sich den „Zuarbeitern der Mobilfunkindustrie inzwischen zugesellt“. Als neuen Beleg für die bei “Reflex” gefundenen genotoxischen Wirkungen führt Adlkofer die 2006 im Labor von Tauber angefertigte Doktorarbeit einer Ärztin an. Doch ist auch diese Arbeit von zweifelhafter Qualität und überdies, was die Expositionsanordnung anbelangt, nicht mit den “Reflex” vergleichbar.

In seiner Stellungnahme behauptet Adlkofer:

Dies ist nachweislich falsch, wie sich im unübersichtlichen Abschlussbericht des “Reflex”-Projekts mit einiger Mühe zeigen lässt. Die sonstige Kritik Adlkofers gilt den bereits genannten unterschiedlichen Quellen der HL60-Zellen und den von Speit zitierten und angezweifelten Ergebnissen der Wiener Arbeitsgruppe, die allerdings mit den Ergebnissen der Berliner Arbeitsgruppe nicht viel zu tun haben. Unverständlich ist die Behauptung des “Reflex”-Koordinators vom angeblich „im Dunklen“ gebliebenen Namen desjenigen, der den Berliner Replikationsversuch finanziell unterstützt hat. Speit et al. nennen den Namen wie üblich am Ende ihrer Publikation:

Sollte es die Absicht gewesen sein, einen falschen Verdacht in Richtung Mobilfunkindustrie als Sponsor zu lancieren, geht dieses Kalkül nicht auf.

Stiftung Pandora verweigert Richtigstellung

Die Stellungnahme Franz Adlkofers wurde auf der Website der Pandora-Stiftung veröffentlicht. Gegen die darin erhobenen Vorwürfe wehrte sich Günter Speit mit einer Richtigstellung. Pandora brachte diese zwar, jedoch kommentiert von Adlkofer, der neuerliche Unterstellungen vorbrachte. Wieder wehrte sich Speit mit einer zweiten Richtigstellung. Doch diese wurde trotz wiederholter Aufforderung durch den Ulmer Professor bis heute nicht auf den Seiten der Stiftung Pandora veröffentlicht, so dass dort der falsche Eindruck vermittelt wird, Speit habe Adlkofer nichts mehr entgegen setzen können. Wer diese zweite gehaltvolle Richtigstellung Speits lesen möchte, sei auf diesen Ersatzlink verwiesen.

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