Hausdächer in Dörfern und Städten sind, weil hoch oben und günstig anzumieten, bevorzugter Standort für Mobilfunk-Antennen. Doch was passiert eigentlich, wenn so ein Haus von seinem Eigentümer aufgegeben dem Erdboden gleich gemacht werden soll – der Mietvertrag mit dem Betreiber der Mobilfunk-Antennen aber noch lange nicht am Ende der Laufzeit angekommen ist? In der Bayerischen Landeshauptstadt wird so ein Problem auch schon mal verpackungstechnisch gelöst. Nicht so in Merseburg (Sachsen-Anhalt): Dort winkten niemand geringerem als dem Oberbürgermeister bis zu sechs Monate Ordnungshaft, weil er gegen den Willen eines Betreibers ein leer stehendes Hochhaus mit Antennen oben drauf niederreißen lassen wollte (12.12.2010).
Wer auf der Autobahn A9 Richtung München die Stadtgrenze der Isarmetropole hinter sich lässt, passiert zuerst das auffällige Fussballstadion und kurz drauf einen Baumarkt, in dessen Gartencenter ein ungewöhnlich wuchtiger fensterloser Turm mit quadratischem Grundriss integriert ist. Seit Anfang 2006 stehen Baumarkt und Turm an dieser Stelle, an der zuvor allein auf weiter Flur ein fünfgeschossiger Büroblock mit der prickelnden Zweckarchitektur der späten 50er Jahre stand.
Was kaum einer weiß: Der Turm des Baumarkts ist nicht hohl, vielmehr steckt der Rest des alten Büroblocks drin. Wie mit einer riesigen Säge wurde 2005 das leer stehende Gebäude durchtrennt, 4/5 wurden abgerissen, 1/5 durfte stehen bleiben. Der Schnitt war so gelegt worden, dass die verbleibende Ruine eine quadratische Grundfläche hat.
Nur, warum diese Umstände, warum wurde der Bürobau nicht komplett abgetragen? Eine erste Antwort darauf fanden wir, als wir 2005 auf dem kümmerlichen Rest des Büroblocks Mobilfunk-Antennen entdeckten, und an einem Wochenende im Mai – die Bauarbeiten ruhten – die Ruine widerrechtlich erforschten. Im zweiten Stock fanden wir ein Firmenschild von Quam, der Büroblock beherbergte einst die Deutschland-Zentrale dieses unglücklichen Mobilfunk-Betreibers, der sich bereits im November 2002 Hals über Kopf aus Deutschland zurückgezogen hatte. Im fünften Stock war dann Schluss mit unserer Erkundung des Gespensterhauses, die Luke zum Dach war für uns unerreichbar. Immerhin fanden wir dort oben unterm Dach ein Schild von E-Plus mit einem Warnhinweis, dass sich niemand an den Funkanlagen oben vergreifen dürfe. Damit war für uns klar: Die Ruine musste stehen bleiben, weil der Mietvertrag für die Mobilfunk-Antennen auf dem Dach einem Abriss im Weg standen. Erst 2010 erfuhren wir dann auf Nachfrage in dem Baumarkt, dass es noch einen zweiten Grund gegeben hatte, den Bürotrakt nicht komplett zu schleifen, sondern den verbliebenen Rest in besagtem Turm zu verstecken. So dicht neben der Autobahn, sagte der Assistent der Geschäftsleitung, hätte es für den Neubau eines so hohen Turms keine Baugenehmigung mehr gegeben.
Bild 1: Im Mai 2005 war von dem einst breiter als hohen Büroblock nur noch 1/5 übrig |
Bild 2: Diese Fotomontage zeigt, welche Abmessungen der Büroblock ursprünglich einmal hatte |
Bild 3: Die Schnittkante sieht aus, als ob das Haus mit einer riesigen Säge abgetrennt wurde |
Bild 4: Blick auf die Schnittfläche, die sich quer durch die Büros der fünf Stockwerke zieht |
Bild 5: Unterm Dach warnte E-Plus mit einem Schild, die Funkanlage auf dem Dach nicht zu entfernen |
Bild 6: Im zweiten Stock fanden sich Überreste des 2002 abgezogenen Mobilfunk-Betreibers Quam |
Bild 7a: Blick auf die Ruine im Jahr 2005 ... |
Bild 7b: Gleicher Blick heute, die Ruine steckt im Turm |
Bild 8a: Das Ganze noch einmal aus der Nähe ... |
Bild 8b: Der Turm steht mitten in der “Gartenabteilung” |
Bild 9a: Mobilfunk-Antennen auf der Ruine im Jahr 2005 |
Bild 9b: Aus gleicher Blickrichtung gesehen stehen die Antennen heute (2010) in der Mitte |
Ein städtebaulicher Schandfleck in Merseburg
Ein ehemaliges Studentenwohnheim, das zum städtebaulichen Schandfleck verkam, beschäftigte die Stadt Merseburg durch alle Instanzen. Für September 2010 war das Finale geplant: Die Funkanlagen auf dem Dach sollten demontiert, ersatzweise in einem nahegelegenen Wäldchen ein neuer Funkmast errichtet und das heruntergekommene Hochhaus an der B91 endlich abgerissen werden. Doch es sollte anders kommen ...
Nachdem die Studentenzahlen in Merseburg fielen, und das Haus sich leerte, wechselte das einst städtische Studentenwohnheim mehrmals den Eigentümer, bis es zuletzt ein türkischer Geschäftsmann erwarb. Mit diesem schloss die Stadt einen städtebaulichen Vertrag, der den Abriss des Gebäudes gestattet. Das Land Sachsen-Anhalt wiederum hatte rd. 450’000 Euro bewilligt, genug, um den Abriss zu 100 % zu finanzieren. Also kündigte die Stadt den Betreibern der Funkanlagen den geplanten Abriss an und forderte sie auf, die Stromleitungen stillzulegen, sonst würde die Stadt diese stillegen. Die Betreiber E-Plus und O2 kamen dem Ansinnen der Stadt ohne weitere Umstände zu machen umgehend und unentgeltlich nach, obwohl beide einen noch gültigen Mietvertrag in der Tasche hatten.
Anders die Telekom-Tochter Deutsche Funkturm GmbH (DFMG), die sich nicht kampflos vom Dach des Hochhauses vertreiben lassen wollte, da der über 15 Jahre abgeschlossene Mietvertrag noch bis 2018 läuft. Am 22 September erwirkte das Unternehmen deshalb vor dem Landgericht Halle eine einstweilige Verfügung, die es der Stadt Merseburg untersagt, die Funkanlagen anzurühren. Bei Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld von 250’000 Euro angedroht, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken am Oberbürgermeister der Stadt.
Im Kielwasser dieser Verfügung kam es zu weiteren Verhandlungen zwischen der Stadt und der DFMG mit dem Ziel, die Funkanlagen auf dem Dach abzumontieren und auf dem Ersatzmast weiter zu verwenden. Zuversichtlich bestellte die Stadt für Anfang Oktober 2010 einen 50-t-Kran aus Cuxhaven, der beginnend vom Dach die Betonplatten des Hochhauses abtragen sollte. “Wir werden eine Blockade der Abrissarbeiten nicht zulassen”, so der Merseburger Oberbürgermeister entschlossen. Wenige Tage vor dem geplanten Beginn der Abrissarbeiten musste der Kran jedoch wieder abbestellt werden, die Verhandlungen mit der DFMG hatten sich an deren Forderung festgefahren, die Stadt solle der Betreibergesellschaft den Abbau der Funkanlage mit 250’000 Euro versüßen.
Alle obigen Angaben zum Fall Merseburg beruhen auf Recherchen des Redakteurs Ralf Penske, die dieser in der Lokalzeitung “Super Sonntag” veröffentlichte. Als wir am 19. November mit ihm telefonierten signalisierte er Entspannung: Stadt und DFMG hätten sich nun doch auf den baldigen Abriss geeinigt, die DFMG würde die abmontierte Funkanlage jedoch nicht weiterverwenden, sondern verschrotten, auf den von der Stadt bereitgestellten Ersatz-Funkmast käme moderne Technik. Mobilfunkgegner, so Penske, gäbe es in Merseburg übrigens keine (mehr), es hätte einmal Ansätze dazu gegeben, diese seien aber bald wieder eingeschlafen.
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