Gravitationswellen
dirigieren Maikäfer in bequeme Stellung

Wenn in der Mobilfunkdebatte ein Verein mit dem Namen “Kompetenzinitiative” antritt, weckt das hohe Erwartungen. Doch reicht es, Kompetenz zu belegen, indem Vereinsvorstand und wissenschaftlicher Beirat üppig mit Professoren und Doktoren bestückt sind? Ein Physiker machte die Probe aufs Exempel und schaute sich eine Broschüre an, die von der “Kompetenzinitiative” herausgegeben wird, und die eine angebliche Zerstörung der Natur durch Elektrosmog thematisiert. Autor der Broschüre ist der Biowissenschaftler Dr. Ulrich Warnke, über dessen Ausführungen zu Gravitationswellen, dem Erdmagnetfeld und magnetischen Schockwellen der Physiker schier in Verzweiflung gerät (31.08.2010/M.H.)

Ein Scharlatan ist laut Wikipedia eine Person, die fälschlicherweise vorgibt, ein bestimmtes Wissen oder bestimmte Fähigkeiten zu besitzen. Ein Verwandter des Scharlatans in der Wissenschaft ist der Pseudowissenschaftler. Man erkennt ihn daran, dass seine Behauptungen, wären sie denn bewiesen, einen Nobelpreis wert wären – den er aber nicht hat. Und ein solcher Pseudowissenschaftler will uns weismachen, Maikäfer hätten eine Antenne für das, wonach Physiker seit Jahrzehnten suchen: Gravitationswellen.

Kompassnadel für Gravitationswellen

Die Zeit

Zeit ist Zeit.
Ist Einheit für Gemütlichkeit.
Wäre Gemütlichkeit
dreitausendsechshundert
Sekunden in Zeit,
für wieviel Gemütlichkeit
bliebe dann Zeit?

Zeit plus Zeit ist mehr Zeit.
Brot plus Zeit ist Brotzeit.
Zeit mal Zeit ist Mahlzeit.

Der Maikäfer dreht
um den Tisch eine Runde,
Du weißt nicht das Jahr,
Du kennst nicht die Stunde.

Die Kastanie im Biergarten blüht,
freue Dich,
Du bist auf erdbebensicherem Gebiet.

Das ist die Wurzel aus Zeit.
Das ist per Saldo - Gemütlichkeit.

(Gerhard Polt)

Fundort der vermeintlichen Sensation ist die Broschüre “Bienen, Vögel und Menschen”, dem ersten Band einer Schriftenreihe der sogenannten Kompetenzinitiative (KOI), welche von einem interdisziplinären Gremium von immerhin sieben Professoren und vier weiteren promovierten Herren herausgegeben wird [1]. Auf Seite 15 dieser “Bienenbroschüre” findet sich Spektakuläres über die Fähigkeiten der Maikäfer:

„Maikäfer orientieren nach den Aussagen obengenannter Literatur ihre Ruhestellung nicht nur nach Magnetfeldern und elektrostatischen Feldern, sondern auch nach Interferenzmustern von Gravitationswellen irdischer und kosmischer Massen. Letztlich wird mit dem Einfluss eines physikalischen Feldes oder einer Strahlung gerechnet, die zeitlich und örtlich nach unbekanntem Programm variabel ist und von einem unbekannten Rezeptor im Maikäfer für unbekannte Zwecke registriert wird, deren Existenz von Physikern aber bezweifelt wird, da sie sich mit keinem Instrument nachweisen lässt. Der Maikäfer wird also zum Messinstrument dieses unbekannten Agens. [...] Die Ausrichtung der Ruhestellung erfolgt so, dass der Maikäfer die reizärmste bzw. die reizsymmetrischste Stellung aufsucht, wenn er aus der Kältestarre erwacht. Mit Hilfe von Interferenzmustern und Resonator-Modellen aus Gravitationswellen von Mond und Sonne wurden komplizierte dynamische Reizkombinationen konstruiert, die von Maikäfern mit Stellungswechseln beantwortet wurden (SCHNEIDER, 1972)."

Maikäfer haben also aus unbekannten Gründen einen unbekannten Rezeptor für eine unbekannte “Strahlung”? Nicht ganz! Die unbekannte “Strahlung” ist zwar mit keinem Instrument nachweisbar, einen Namen aber hat sie immerhin: Gravitationswellen. Und auch wenn diese “Strahlung” nicht nachweisbar ist, so weiß Schneider dennoch: Sie ist „zeitlich und örtlich variabel", nur das „Programm", nach dem sie variabel ist, das wieder ist unbekannt. Mit „Resonator-Modellen" könne man nun aus „Gravitationswellen von Mond und Sonne" komplizierte Reizmodelle konstruieren, dynamische obendrein! Und das was da so aus Sonne und Mond konstruiert wurde, darauf antwortet dann der Maikäfer. Mit Stellungswechsel. Wahnsinn. Das Schönste aber in all dem Nonsens ist für mich als Physiker: Die Existenz der Wellen wird von Physikern bezweifelt, weil sie sich mit keinem Instrument nachweisen lassen.

Von Schneider inspiriert, mit Wünschelrute infiziert

Die „obengenannte Literatur" mit diesen „Reiz-Intererenz-Resonator-Mustern" ist übrigens fast 50 Jahre alt. Vier Quellenangaben aus den Jahren 1961 und 1963 gibt es dazu im Literaturanhang der “Bienenbroschüre”. Allesamt aus der Feder eines Schweizers: Fritz Schneider.

JoeWeber_aluzylinderBeispiel: „Orientierung und Aktivität des Maikäfers unter dem Einfluss richtungsvariabler künstlicher elektrischer Felder und weiterer ultraoptischer Bezugssysteme" [2].

Ausgerechnet die im Text genannte Literaturstelle SCHNEIDER, 1972, findet sich im Literaturanhang der “Bienenbroschüre” dagegen nicht. Derlei Ungenauigkeiten passieren Dr. Warnke nicht zum ersten mal [3]. Dafür ließ sich mit Suchen im Internet noch ein weiterer Text Schneiders aus dem Jahr 1977 identifizieren [4]:

“Die Bestimmung der Länge von Gravitationswellen mit sinnesphysiologischen Methoden und weitere Beweise für ultraoptisch determiniertes Verhalten nach Ausschluß richtungsweisender magnetischer Felder.”

Dort heißt es: “Rechteckige Aluminiumdosen können als Resonatoren für diese Gravitationswellen Sekundärstrahlung und Interferenzmuster erzeugen. Tägliche Veränderungen der Ausdehnungen von Reizzonen, die nach eigenen Untersuchungen mit der Rute einem spiegelbildlichen Mondtag entsprechen."

Da schau her: Ein Wünschelrutengänger, der Herr Schneider! Es steckt immer ein kluger Kopf dahinter. Wünschelrutengänger kennen sich ja besonders gut mit Gravitationswellen aus. Können sie sogar in Aluminiumdosen einfangen. Und können Maikäfer damit irritieren, indem sie 40 kg schwere Bleiklötze in die Nähe stellen [5]. „Die Physiker" dagegen bezweifeln die Existenz von Gravitationswellen, so sie von nicht beschleunigten Gegenständen ausgehen sollen.

Konstruktionsplan für Potemkinsche Dörfer

Gut zu erkennen, der Konstruktionsplan dieser “Maikäferstory”. Die ersten seriösen Versuche zum Nachweis von Gravitationswellen galten der Messung minimaler Längenänderungen an massiven Zylindern aus Aluminium und anderen Metallen. Bei Schneider verwandeln sich die Aluminiumzylinder in Aluminiumdosen. Die bei Pseudowissenschaftlern beliebten Begriffe “Resonanz” und “Interferenz” kommen als Ingredienzien dazu. Dann noch das Thema, von dem der Pseudowissenschaftler etwas mehr versteht als der Durchschnitt (hier: Käfer). Einmal umrühren – fertig.

Auch Dr. Warnke hat sich in seiner beruflichen Zeit lange mit kleinen Insekten beschäftigt. Sein Hobby sind „die Quanten". Freunde im Geiste.

Physikalisch Belastbares zu Gravitationswellen

Und wie sieht nun die dürre Realität aus? Die Existenz von Gravitationswellen ist eine Folgerung aus der Einsteinschen allgemeinen Relativitätstheorie.

Theorie ist eines, der praktische Nachweis etwas anderes [6]. Weil die von Gravitationswellen transportierte Energiedichte extrem klein ist, gelang bisher nur der indirekte Nachweis dieser Wellen. An einem System zweier Pulsare, die einen gemeinsamen Schwerpunkt umkreisen, konnte man über die Verkürzung ihrer Umlaufzeiten einen Energieverlust bestimmen. Dieser Energieverlust ist sehr genau (Abweichung < 1 %) gleich dem, der sich theoretisch durch Abstrahlung von Gravitationswellen ergibt. Für diesen indirekten Nachweis gab es 1993 den Nobelpreis für Physik [7].

Am direkten Nachweis von Gravitationswellen wird gearbeitet, hier auf der Erde erfordert dies extrem präzise Apparaturen. Etliche Teams sind an dem Thema dran; jüngst berichtete der Deutschlandfunk über das deutsch/britische Projekt GEO 600 [8]. Sehr wahrscheinlich dürfte auch dem Sieger in diesem Rennen der Nobelpreis winken.

Drei weitere Beispiele physikalischen Unsinns in der “Bienenbroschüre”

Das Vorwort der Broschüre “Bienen, Vögel und Menschen” macht deutlich, was für einen hohen Anspruch der Herausgeber, die “Kompetenzinitiative”, an das Heft hat: „Mit der hier vorgelegten Schrift eröffnet sie [die KOI, M.H.] eine neue wissenschaftliche Reihe. Die Reihe strebt ein hohes fachliches Niveau der Information an, will aber auch für interessierte Laien lesbar bleiben." Die Realität kann dem hohen Anspruch indes nicht gerecht werden. Dies mögen drei weitere Beispiele physikalischen Unsinns aus der Broschüre belegen.

Erdmagnetfeld über Jahrmillionen gleich

Die wichtigsten, Millionen Jahre beständigen Leitgrößen sind: magnetostatische Feldstärke der Erde: 31 μT (geomagnetischer Äquator) ..." Na so was! Physiker dachten bislang, es dauere nur ein paar hunderttausend Jahre, bis sich die Richtung des Magnetfelds der Erde umkehrt, mit einem etwa 10 000 Jahre dauernden Polsprung [9].

Erdmagnetfeldschwankungen durch Erwärmung der Ionosphäre

„Die Ursache der solar induzierten Schwankung liegt in dem täglichen Erwärmungsgang der Atmosphäre durch die Sonneneinstrahlung." Na so was! Physiker dachten bislang, es sei der solar induzierte Ionisationsgang der Ionosphäre, der sich auf das Erdmagnetfeld auswirkt. Übrigens beträgt die Schwankung höchstens einige wenige 0,01 μT, weswegen dieser Effekt auch nur bei ruhiger Sonne zu beobachten ist. Ansonsten wird dieser Effekt von Magnetstürmen überlagert, die sich 10- bis 100-mal stärker auswirken [10].

Erdmagnetische Stürme rühren von „magnetischen Schockwellen" der Sonne her

„Die sogenannten erdmagnetischen Stürme (magnetische Induktion B ~ 1 μT) werden von den magnetischen Schockwellen ausgelöst, die mit 2000 km/s aus der Flare-Region jagen und in Erdnähe noch ca. 100 km/s erreichen. Dadurch werden im Erdmagnetfeld ungewohnt [sic!] starke Ströme induziert, die wiederum das Magnetfeld der Erde variieren [...]". Na so was! Physiker dachten bislang, der Effekt sei auf massiv erhöhte Teilchenströme zurück zu führen (Sonnenwind), die dann bei ihrem Eintreffen in Erdnähe das Magnetfeld der Erde stören. Bei Warnke sind es „magnetische Schockwellen".

Wie mag Warnke nur auf diese Schockwellen gekommen sein? Der Autor sucht im Internet und wurde bald fündig: „Die Störung wird ausgelöst von Schockwellenfronten des Sonnenwinds...". Klingt doch recht ähnlich, oder? Steht gleich ganz vorn bei http://de.wikipedia.org/wiki/Magnetischer_Sturm.

Viel o Sophie

Zeit und Maikäfer – ein Thema für den Satiriker Gerhard Polt

Raum und Zeit – ein Thema
für den Physiker Albert Einstein

Raum, Zeit und Maikäfer – ein Thema für Pseudowissenschaftler

Der Autor hält jede Wette: Aus seiner Sicht googelt sich Dr. Warnke Informationen außerhalb seiner Kernkompetenz zusammen. Aus dem zutreffenden Sonnenwind wird auf diese Weise die unzutreffende „magnetische Schockwelle". Da nimmt es der bis vor kurzem an der Universität des Saarlands Beschäftigte nicht so genau. Wer schon einmal einen seiner 45-minütigen Vorträge auf www.dgeim.de angehört hat, weiß das. Spätestens in der zweiten Hälfte sind die Begriffe beliebig und der Vortrag gerät zum Gesamtkunstwerk. Da erklärt er dem Zuhörer auch locker, dass ein Magnetfeld sowieso genau dasselbe sei wie ein Proton, nur eben eigentlich ganz was anderes. Dass es Unsinn pur ist, wenn eine „magnetische Welle" „in einem Magnetfeld" [sic!] Ströme induziert, und diese Ströme dann ihrerseits wieder das Magnetfeld variieren, sei nur am Rande vermerkt. In Details stimmt es dann immer mal wieder, etwa was die Geschwindigkeit der Welle anbelangt oder Stärke der Störung des Magnetfeldes. Dieses Wecheselbad zwischen richtig und falsch soll bösen Zungen zufolge typisches Merkmal echter Scharlatanerie sein.

Erinnern wir uns noch einmal an den Anspruch der Herausgeber:

„... eine neue wissenschaftliche Reihe. Die Reihe strebt ein hohes fachliches Niveau der Information an, will aber auch für interessierte Laien lesbar bleiben."

Noch weiter auf die Broschüre “Bienen, Vögel und Menschen” einzugehen, hieße das Spiel von Hase und Igel zu spielen. Wer den Mann einmal hat reden hören, der weiß: Da kann man nur verlieren. Seine eigene Zeit. Zwei schöne Zitate dazu in [11]. Dies ist die besondere Art „Wissenschaft", die von der sogenannten Kompetenzinitiative verbreitet wird. Sieben Professoren sind dabei. Einer davon Physiker – man mag’s kaum glauben.        M.H.

Weiterführendes zu Gravitationswellen

Gravitationswellen messen mit einem Teleskop aus Sternen

Wurden Gravitationswellen schon vor 22 Jahren entdeckt?

Joseph Weber (1919 – 2000) Offizier & Gentleman (PDF)

Quellen

[1] http://www.broschuerenreihe.net

[2] Schneider, F, 1963, Mitt. Schweiz. entomol. Ges. 1963a; 36: 1-26

[3] http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=20318

[4] Schneider, F, 1977, Vjschr. Naturforsch. Ges. 122, 203-232, zitiert hier

[5] Der experimentelle Nachweis magnetischer, elektrischer und anderer ultraoptischer Informationen

[6] http://www.gravity.uwa.edu.au/docs/review.pdf

[7] http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1993

[8] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1223010

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Erdmagnetfeld#.E2.80.9EPolsprung.E2.80.9C

[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Sq-Variation

[11] http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=25368

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