Athermische Effekte: Was ist das eigentlich?

Auf den ersten Blick sind athermische oder nicht-thermische Effekte leicht zu erklären: Es sind biologische Wirkungen, die z.B. unter Einwirkung schwacher Funkfelder auftreten aber nicht mit einer Gewebeerwärmung erklärt werden können, weil dafür das Funkfeld zu schwach ist. Was sich so schön einfach und plausibel liest, hat in der Realität freilich Haken und Ösen. So kann es passieren, dass Experten einen Effekt als klar athermisch einstufen, während andere Experten diese Klarheit nicht sehen und demselben Effekt eine thermische Ursache zuschreiben. Dieser Beitrag zeigt, wie es zu solchen Diskrepanzen kommen kann und welche Definitionen für athermische Effekte Laien, Physiker und Biologen zur Hand haben (20.09.09).

ICNIRP zu athermischen Effekten

Der ICNIRP wird gerne nachgesagt, sie “leugne” hartnäckig athermische Effekte. Was tatsächlich Sache ist geht aus einem Interview der FSM (Schweizer Forschungsstiftung Mobilkommunikation) mit dem amtierenden ICNIRP-Vorsitzenden Paolo Vecchia hervor, das die FSM in ihrem Jahresbericht 2008 veröffentlicht hat.

FSM: Was ist die ICNIRP-Meinung zu nicht-thermischen Effekten von hochfrequenter NIS?

Vecchia: Die ICNIRP geht vom Prinzip aus, dass nur wissenschaftlich belegte Effekte, die unsere Gesundheit gefährden können, als Basis für Grenzwertfestlegungen dienen sollen. Wann ein Effekt als wissenschaftlich belegt gilt, haben wir in einer eigenen ICNIRP-Publikation dargestellt. Die intensiven Forschungsarbeiten der letzten Jahre haben Hinweise erbracht, dass es unterhalb der thermischen Schwelle biologische Effekte geben kann. Viele dieser Hinweise konnten allerdings in unabhängigen Zweitstudien nicht bestätigt werden oder eine gesundheitliche Bedeutung der Effekte war nicht gegeben oder unklar. Insgesamt haben die neuen Befunde die 1998 publizierte Meinung, dass unterhalb der thermischen Schwelle keine Effekte vorliegen, welche als Basis für Grenzwertüberlegungen dienen könnten, nicht verändert.

Den Stein ins Rollen brachte im Juli 2009 eine Anfrage der GRÜNEN an das Bundesministerium für Umwelt. Die Abgeordnete Kotting-Uhl wollte wissen, wie das Umweltministerium zu den Resultaten der sogenannten Auva-Studie steht. Diese Studie fand unterhalb der geltenden EMF-Grenzwerte biologische Effekte [1]. In seiner Antwort äußert sich Staatssekretär Matthias Machnig zu der Einschätzung der Studienautoren, die gefundenen Effekte seien athermisch. Er schreibt dazu: “... Weiter behaupten die Autoren, dass es sich um einen nicht thermischen Effekt handeln muss, da die Erwärmung so gering ist, dass sie thermoregulatorisch ausgeglichen wird. Es handelt sich auf jeden Fall um Effekte, die bei einer Erwärmung der Hirnrinde von wesentlich weniger als 1 °C auftreten. Hierzu ist festzuhalten, dass Effekte, die unter 1 °C Temperaturanstieg auftreten, nicht notwendigerweise auf einem nicht-thermischen Wirkmechanismus beruhen, sondern auch minimal thermischen Ursprungs sein können. Es ist bekannt, dass Temperaturveränderungen im Bereich von 0,1 – 0,2 °C Veränderungen in der Aktivität neuronaler Netzwerke (z.B. Hirnrinde, Netzhaut) verursachen können. Auch thermoregulatorische Vorgänge können sich im EEG spiegeln. Eine thermische Ursache kann deswegen nicht ausgeschlossen werden, sondern ist sogar wahrscheinlich und auch plausibel. Insgesamt handelt es sich um minimale biologische Reaktionen, die im normalen physiologischen Bereich bleiben und im normalen Tagesverlauf auch durch andere Umwelteinflüsse und Aktivitäten ausgelöst werden können. Von den exponierten Personen werden derartige leichte Veränderungen nicht wahrgenommen. Auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung kann aus den geschilderten Ergebnissen nicht geschlossen werden.

Drei Definitionen für athermische Effekte

Für die Autoren der Auva-Studie sind, nach Darstellung des Umweltministeriums, biologische Effekte also dann athermisch, wenn die durch EMF-Immission bewirkte Gewebeerwärmung so gering ist, dass sie von der Thermoregulation eines Menschen ausreguliert werden kann. Das klingt nicht nur plausibel, es ist auch so. Dennoch gibt es für athermische Effekte noch andere Sichtweisen. Welche dies sind erklärt nachfolgend eine Wissenschaftlerin, die dem IZgMF bekannt ist, die aus formalen Gründen jedoch nicht genannt werden möchte. Sie hat deshalb das Pseudonym Dr. Giulia Ratto gewählt, das nicht rein zufällig an das Versuchstier Nummer 1 erinnert: Dr. Ratto steht zu ihren Versuchstieren. Sie ist Biologin, die sich beruflich auch mit den biologischen Wirkungen von EMF-Immissionen befasst. Aus Sicht von Ratto gibt es für athermische Effekte drei Definitionen: eine unter Laien verbreitete, eine physikalische und eine biologische.

Athermisch aus Sicht von Laien

Für Laien ist alles unter 1 °C athermisch – doch damit wird der Schwellenwert für nachgewiesene gesundheitsrelevante Wirkungen mit einem Schwellenwert für Wirkungen generell verwechselt.

Mit der Skulptur eines Schlaflosen protesttierten Bewohner des bayerischen Ortes Valley gegen einen benachbarten US-Großsender. Der Sender, einer seiner Anennenmasten ragt hinter dem Kopfkissen des Schlaflosen hervor, ist mittlerweile abgebaut worden Foto: IZgMF

Athermisch aus Sicht von Physikern

Für Physiker ist ein Effekt thermisch, wenn es Infolge von Energieabsorption zu Schwingungen von polaren Molekülen kommt (z.B. Wasser – unser Körper besteht zu 70 % aus Wasser) und daraus eine Erwärmung resultiert. Diese Erwärmung kann auch gering sein, beim "Mikrowellenhören" sind es nur Millionstel Grad [3]. Athermisch bedeutet physikalisch andere Mechanismen als Energieabsorption, beispielsweise direkte elektrische Einwirkungen wie Elektrorotation und Dielektrophorese. Diese Mechanismen hängen mit der Polarisierbarkeit der Zellmembran zusammen und werden in der biophysikalischer Forschung genutzt, sie treten aber erst weit oberhalb der Grenzwerte auf [4].

Athermisch aus Sicht von Biologen

Für Biologen bedeutet athermisch in aller Regel, dass es zu keiner messbaren Erwärmung kommt. Dies kann mehrere Gründe haben:

Schwaches Feld: Der Energieeintrag ist so gering, dass es zu keiner Erwärmung kommen kann (z.B. Funkfelder von Mobilfunk- und DECT-Basisstationen).

Methodische Fehler: Das Thermometer ist zu unempfindlich oder an der falschen Stelle positioniert.

Kompensation: Es kommt trotz Energieabsorption nicht zu einer Erwärmung da gleichzeitig gekühlt wird. Die Energie wird wieder an die Umgebung abgegeben. Typisches Beispiel: Hohlleiter der Firma ITIS für Zellkulturen, die auch bei “Reflex” und “Auva” zur Verwendung kamen. Ob und ggf. welchen Einfluss die aufgenommene Energie auf dem Weg durch das Gewebe hat ist noch nicht vollständig erforscht. Allerdings durchströmt beispielsweise auch infolge von Sport und Nahrungsaufnahme sowie beim Aufenthalt in einer Sauna oder in der Sonne Energie das Gewebe, so dass auch der Energieeintrag durch elektromagnetische Felder möglicherweise unter die normale Physiologie fällt. In der Auva-Studie heißt es dazu auf Seite 137:

"Bei gegebenen Faktum der erhöhten Proteinsynthese, erscheint derzeit folgender Mechanismus denkbar: Durch die Bestrahlung kommt es zu Resonanzschwingung von O-H-Bindungen, wie sie für die Erwärmung durch Mikrowelle generell verantwortlich ist. Proteine werden als komplexe dreidimensionale Konstruktion unter anderem wesentlich durch sogenannte Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert. Die Resonanz (im weitesten Sinne des Begriffes) könnte daher über eine Schwächung der entsprechenden Bindungen die dreidimensionale Struktur destabilisieren. Vorübergehende Denaturierungen und konsequenter proteasomaler Proteinabbau könnten die Folge sein, was die Bobachtung einer kompensatorischen Steigerung der Proteinsyntheserate erklären würde."

Die Autoren der Studie beschreiben hier jedoch keinen physikalisch neuer Mechanismus, sondern denselben – allerdings in nur sehr geringem Ausmaß – wie er auch in Mikrowellenöfen genutzt wird.

Thermoregulation: Die Erwärmung wird durch Thermoregulation ausgeglichen. Ein solcher Prozess setzt voraus, dass der Körper bereits eine Temperaturerhöhung registriert hat und physiologisch gegensteuert. Dies bedeutet: Thermorezeptoren haben die Temperatur registriert und ans Gehirn (Hypothalamus) gemeldet. Von dort wird eine erhöhte Durchblutung sowie die Wärmeabgabe durch Schwitzen in der betreffenden Körperregion angeregt, also die normale physiologische Reaktion. Beim mobilen Telefonieren muss diese Reaktion sogar stattfinden, denn die HF-Felder plus die Batterie-Abwärme plus die Abdeckung der Gesichtsoberfläche (verhindert Konvektion) führen zu einer Erwärmungen der Haut (nicht des Gehirns!) von bis zu 3 °C [5] – und darauf reagiert der Körper selbstverständlich. Ob sich derartige Prozesse im EEG spiegeln ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Da ist die Grundlagenforschung zur Thermoregulation noch nicht weit genug. Man kann gegenwärtig nur spekulieren und im Rahmen der HF-Forschung lässt sich auch nicht alles untersuchen.

Eine typische Aussage zur Thermoregulation findet sich wieder in der Auva-Studie, diesmal auf Seite 93: "Die Ergebnisse stellen zweifellos biologische Auswirkungen dar, die nicht thermisch bedingt sein können, denn der Temperaturanstieg ist proportional der Spezifischen Absorptionsrate (SAR) und bei den hier angewandten Intensitäten so gering, dass er durch die Thermoregulation ausgeglichen wird. Auch weil die Resultate überwiegend unabhängig von der exponierten Kopfseite auftraten (Effekte sowohl auf der bestrahlten wie auf der nicht bestrahlten Seite) kann ein rein thermischer Wirkmechanismus ausgeschlossen werden."

Zum letzen Satz sein angemerkt, dass Neurone, die die Information über eine Erwärmung weiterleiten, nicht vollständig im erwärmten Bereich liegen müssen, sie können Informationen durchaus auch in die andere Kopfhälfte leiten. Ein sorgfältiges Peer-Review-Verfahren würde solche unzutreffenden Aussagen wahrscheinlich korrigieren.

Mittelungsintervalle glätten SAR-Spitzen

Um noch auf die zuweilen unverstandenen 6 Minuten einzugehen, die in den ICNIRP-Guidlines [6] und der 26. BImSchV als Mittelungsintervall für die zulässige Exposition der Allgemeinbevölkerung genannt werden: Diese dienen lediglich der Mittelung der SAR-Werte bei der Grenzwertbestimmung (z.B. lokale SAR im Kopf max. 2 W/kg gemittelt über 10 g Gewebe und 6 min). So eine Mittelung glättet kurzfristige SAR-Spitzen nach oben und unten. Der Wert 6 Minuten ist keine physikalische Konstante, er könnte auch höher oder tiefer liegen, man hat sich aber auf 6 Minuten geeinigt. Der Internationale Ingenieursverband IEEE verwendete bis 2005 [7] als Mittelungsintervall 30 Minuten, was höhere SAR-Spitzen zugelassen hat. Das thermische Gleichgewicht wird nach etwa 20 bis 30 Minuten erreicht [8].

Quellen

[1] Studie (PDF) “Untersuchung athermischer Wirkungen elektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereich (ATHEM) Nummer 47” im Auftrag der Auva (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Österreich).

[2] Antwort des Bundesministeriums für Umwelt auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordnete Silvia Kotting-Uhl.

[3] Lin & Wang, 2007, Health Physics 92(6):621–628

[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Dielektrophorese

[5] Oftedal et al., 2000, Occup. Med. 50(4):237–245

[6] ICNIRP 1998, Health Physics 74(4): 494-522

[7] C95.7 -2005: IEEE Recommended Practice for Radio Frequency Safety Programs

[8] http://www.emf-forschungsprogramm.de/forschung/dosimetrie/dosimetrie_abges/dosi_040_AB.pdf (Kap. 8.2 S. 110; Abb. Auf S. 103)

Weiterführende Literatur

Energieabsorption und Erwärmung, Information des Bundesamt für Strahlenschutz zum Themenbereich thermisch/athermisch.

Weitere Details zu minimalen thermischen Effekten finden sich in Foster K & Glaser R, 2007, Health Physics 92(6):609–20 und Glaser R, 2009, FGF Newsletter 17:2

Zu Wirkmechanismen (die keine mehr sind, wenn die absorbierte Energie im thermischen Rauschen verschwindet) äußern sich Sheppard AR et al., 2008, Health Physics 95(4):365–96

 

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