In der Erforschung der Wahrnehmung von Mobilfunksendeanlagen durch die Bevölkerung sind eigenfinanzierte universitäre Studien eher die Ausnahme. Umso glaubhafter ist für Mobilfunkkritiker eine neue Studie der Universität Augsburg, die bis Ende September 2005 in der Bevölkerung das Meinungsbild zum Reizthema Mobilfunk abfragt.
Die Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Augsburg hat im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie mit einer Online-Umfrage zu Mobilfunksendeanlagen begonnen, die bis mindestens 30. September 2005 im Internet erreichbar sein wird. Das IZgMF brauchte zum Ausfüllen des 32 Fragen umfassenden Fragebogens etwa 20 Minuten, persönliche Daten wie Name, E-Mail-Adresse und dergleichen wurden dabei nicht erhoben. Unter Leitung von Dr. rer. pol. Kerstin Wüstner soll die Studie Antworten auf folgende Fragen geben:
Die Ziele der Studie
Politik und Mobilfunkindustrie bleiben außen vor
Wie Kerstin Wüstner dem IZgMF auf Anfrage mitteilte, ist die Studie in allen Belangen ein Projekt der Universität Augsburg, externe Auftraggeber oder Geldgeber und damit einhergehende Interessenskonflikte gäbe es nicht. Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse werde auf der Uni-Website veröffentlicht, abhängig vom Abschluss der Datenerhebung voraussichtlich im November 2005.
Ein paar schwarze Schafe fallen in einer großen Herde weißer nicht auf
Auf die Frage nach einer Verfälschung der Umfrage in Form von mehrfachem Ausfüllen des Online-Fragebogens durch ein und dieselben Personen schrieb die Projektleiterin: “Das Problem lässt sich bei Befragungsformen wie dieser natürlich nie vollkommen ausschließen. Es ist möglich, dass einige Personen mehrmals den Fragebogen ausfüllen. Bei einer entsprechend großen Stichprobe, werden dadurch hervorgerufene Verfälschungen jedoch wieder abgemildert. Insgesamt überwiegen meiner Meinung nach die Vorteile einer Online-Befragung zu diesem Thema die Nachteile. Und noch eine Bemerkung am Rande: Jeder Datensatz wird auf seine Qualität hin geprüft, bevor wir mit der Auswertung beginnen. In besonders extremen Fällen kann man dabei auf Mehrfacheintragungen von ein- und derselben Person stoßen.” (14.8.05-ll).
Weiterführende Informationen
Gerrit Krause aus Haan (Nordrhein-Westfalen) kann der Online-Umfrage der Uni Augsburg nicht viel abgewinnen. Er schreibt: “Nach Frage zwölf packten mich große Zweifel, ob ich alle Fragen beantworten werde. Ich hoffte dass sich die Qualität der Fragen noch bessert. Da hat sich Frau Dr. Wüstner die Umfrage leider viel zu einfach gemacht. Die Antworten (und damit die Erkenntnisse) können nur die Qualität der altbekannten statistischen Lachnummer haben, dass ein Proband, der die linke Hand ins kochende Wasser hält und die rechte in minus 40 °C kaltem Eis verpackt hat, sich bei der mittleren Temperatur von plus 30 °C pudelwohl fühlen müßte. Ich empfinde diese Online-Umfrage als sehr ärgerlich, im wissenschaftlichen Sinne und als Mobilfunkkritiker.”
Lesen Sie nachfolgend die konkreten Einwände von Gerrit Krause gegen einzelne Fragen der Online-Umfrage und die zugehörigen Entgegnungen der Projektleiterin Dr. Kerstin Wüstner:
Krause: Bei Frage vier (Für wie glaubwürdig erachten Sie Informationen von …) wird nach der Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler nur undifferenziert gefragt. Aber es gibt Pro- und Kontra-Wissenschaftler mit hoher Reputation im jeweiligen Lager. Ähnlich verhält es sich bei Frage 5 (Wer sollte Ihrer Meinung nach eingebunden werden, wenn es um Regelungen zu Mobilfunksendeanlagen geht?): Natürlich sind auch Wissenschaftler einzubeziehen – aber welche? Die Pro oder die Kontra?
Wüstner: Sie wünschen sich, dass wir Wissenschaftler in die von Ihnen unterschiedenen Lager „Pro und Kontra“ unterscheiden. Ich habe bewusst auf eine entsprechende Einteilung verzichtet, da Wissenschaftler an sich sowieso bemüht sein sollten (und die Allermeisten sind es), sich eine gewisse Unvoreingenommenheit zu bewahren und sich nicht einem „Lager“ zuzuordnen. Wissenschaftliche Unabhängigkeit ist – aus meiner Sicht – ausgesprochen wertvoll. Natürlich kann es dazu kommen, dass Wissenschaftler mit ihrer Forschung Argumente für die eine oder andere Seite „liefern“. Jedoch liegt es im Ermessen dessen, der die Ergebnisse liest, ob er sie als Argumente für oder gegen etwas interpretiert. Beispiele aus Wissenschaft, Politik oder dem Privatleben veranschaulichen ja eindrucksvoll, wie ein und dieselbe Aussage einer Person gänzlich konträr interpretiert werden kann.
Ihre Anregung zielt vielleicht auf die begründete Erfahrung ab, dass wir manchen Menschen mehr glauben als anderen. Aber – um bei unserem Beispiel zu bleiben – müssen das Wissenschaftler des eigenen „Lagers“ sein? Oder ist es auch möglich, dass gerade möglichst unparteiische Experten das größte Vertrauen genießen?
Wenn man dennoch Wissenschaftler in diese zwei Gruppen einteilen und in der Befragung entsprechend fragen würde, würde dies voraussetzen, dass die Befragten genau wissen, ob die Wissenschaftler, von denen sie etwas gehört oder gelesen haben, dem einen oder anderen „Lager“ zuzuschreiben wären. Was machen sie mit jenen, deren (angebliche) politisch-ideologische Haltung sie nicht einzuschätzen wissen?
Außerdem: Würde man die entsprechende Unterscheidung einführen, müsste man sie auch auf die anderen gefragten Gruppen ausdehnen (Pro und Kontra): auf Politiker, Ärzte, Wirtschaftsunternehmen, Bekannte etc. Dadurch würde den Fragebogen sehr komplex werden.
Krause: Bei Frage neun (Welche technischen Geraete gibt es in Ihrem Haushalt?) wäre es besser, wenigstens nach Elektrogeräten zu fragen statt nur nach technischen Geräten. Aber noch besser wäre eine Unterscheidung in reine Empfangsgeräte und sendende Geräte. Bei Frage elf fehlt mir der Bezug zur Enfernung und zur Strahlendosis; beides ist für die Schädlichkeit von entscheidender Bedeutung.
Wüstner: Bei den „Elektrogeräten“ schlagen Sie vor, zwischen rein empfangenden Geräten und sendenden Geräten zu unterscheiden. Ebenso plädieren Sie für eine stärkere Berücksichtigung von Aspekten wie „Entfernung“ und „Strahlendosis“. Zweifelsohne gibt es gute Argumente, solche Faktoren mitzuberücksichtigen. Da stimme ich Ihnen zu. Doch lassen Sie mich ein Beispiel herausgreifen: Kann man davon ausgehen, dass Befragte die jeweilige Strahlendosis kennen? Kennt die Mehrzahl der Befragten die exakte Strahlendosis, die von ihrem Handy ausgeht? Oder die, die bei Benutzung einer Mikrowelle auftreten könnte? Ich nehme hier eine skeptische Haltung ein und habe daher darauf verzichtet, diese Punkte zu erheben.
Krause: Ihre Fragen im Fragenkomplex 13 (Zu Ihrer Handynutzung …) lassen nur ein entweder oder zu. Das ist wieder verfälschend. Ich habe ein Handy und benutze es zu ca. 2 wichtigen kurzen Gesprächen pro Monat und beachte dabei alle Vorsichtsmaßnahmen.“ Wie soll ich mich da einordnen?
Wüstner: Bei der Frage nach der Handynutzung hätte man auf alle Fälle noch mehr Fragen stellen können. Damit haben Sie vollkommen Recht. Was Ihre Anmerkung mit dem „Entweder-Oder“ angeht, meine ich, dass die Befragten mit diesen Fragen doch besser als Sie vielleicht befürchten mögen, zurecht kommen, indem sie z. B. nicht die Extremwerte („trifft gar nicht zu“ oder „trifft völlig zu“), sondern Werte dazwischen ankreuzen.
Krause: Frage 14 ist ganz ärgerlich. Das Fatale an der ganzen Diskussion von ernstmeinenden Wissenschaftlern beider Seiten ist ja gerade, dass es keinen 100%igen Beweis, Nachweis und keine genau reproduzierbaren Studienergebnisse über den abgefragten Komplex gibt. Grund: Die Konstitution und die Vorbelastung durch andere Umwelteinflüsse ist bei jedem Menschen anders. Sie suggerieren hier falsche Antworten!“
Wüstner: Es ist nicht Interesse dieser Befragung, Antworten zu suggerieren. Aber auch hier würde ich Verstand und Autonomie von Menschen niemals unterschätzen: Die Vielfalt an Ankreuzmöglichkeiten wird durchaus genutzt und die Gruppe derer, die sich bisher beteiligt haben, ist heterogen. Das heißt, natürlich beantworten nicht alle die Fragen in derselben Art und Weise, weil sie irgendwelchen (angeblichen!) Suggestionsbemühungen zum Opfer gefallen sind. Gerade Menschen, die an Umfragen wie dieser mitmachen, sind so wach und kritisch wie Sie selbst.
Krause: Auch bei Frage 16 (Für wie bedrohlich halten Sie folgende Faktoren?) kann ich nur wiederholen: Völlig falsche Fragenstellungen. Wären nicht Fragen nach der "gefühlten" Bedrohung relevanter oder nach der Bedrohung durch hohe Grenzwerte? Problematisch: Ein Erdbeben der Stärke 4 direkt unter mir ist für mich viel bedrohlicher als eines der Stärke 8 in Südamerika. Wie soll ich da antworten?
Wüstner: Die Fragen nach der Risikowahrnehmung verschiedener Dinge hätten selbstverständlich noch differenzierter ausfallen können, wie Sie z. B. vorschlagen, die Erdbebenstärke aufzuschlüsseln oder auch nach Grenzwerten zu fragen. Abgesehen von Detailfragen (wer kennt z. B. schon Grenzwerte von Chemikalienrückständen in Textilien? Diese hätte man einzeln aufschlüsseln müssen) wäre auch dieser Frageblock ausgesprochen umfangreich geworden, hätte man jeden einzelnen Faktor in all seine Bestandteile aufgespalten. Nachdem es hier nur um einen allgemeinen Vergleich ging, habe ich eine kürzere Frageform bevorzugt. Erfahrungsgemäß lassen sich aus den gestellten Fragen sehr wohl fundierte Aussagen (diese aber eben auf einer allgemeineren Ebene) ableiten.
Krause: Zu Frage 18 (Haben Sie gesundheitliche bzw. seelische Beschwerden?) möchte ich anmerken: Wer keine Beschwerden hat, der liegt meiner Meinung nach im Sarg! Aber wer hat so viel Abstand und Fachverstand, dass er Ihre Fragen mit relevanten Antworten belegen kann? So geht das doch nicht!
“Zuletzt möchte ich noch bemerken, wie viele positive Rückmeldungen wir bisher von Befragten erhalten haben. Allen, die bisher unsere Umfrage unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle schon einmal recht herzlich danken!” Dr. Kerstin Wüstner
Wüstner: Wenn ich Sie richtig verstehe, gehen Sie davon aus, dass es den Befragten zu große Probleme bereitet, ihre Gesundheit „mit Abstand und Fachverstand“ zu beurteilen. Ich persönlich bin demgegenüber davon überzeugt, dass das jeder Mensch kann.
Ein Dankeschön ...
Ob seine Schlüsse immer 100% „richtig“ sind, was beispielsweise Kausalzusammenhänge anbelangt, ist eine andere Frage. Aber es gibt auch genug Beispiele, in denen auch „Experten“ mit einer eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zuschreibung daneben liegen können. Für einen Menschen spielt es vielmehr eine Rolle, wovon er überzeugt ist. Man sollte die Kraft der eigenen Überzeugungen also nicht unterschätzen.
Nehmen wir wieder ein Beispiel: Ein Mensch, der bisher unter Kopfschmerzen und Schlafstörungen litt und diese auf die Nähe zu einer Mobilfunksendeanlage zurückführte, zieht um. Seine Beschwerden verschwinden mit dem Umzug. Für den beschwerdefreien Menschen dürfte es wenig bedeutsam sein, ob die Genesung tatsächlich an dem Nicht-Vorhandensein einer Mobilfunksendeanlage liegt oder nicht.
Es ist völlig unmöglich, dass bei einer Umfrage jeder Befragte bzw. jede Befragte mit den Fragestellungen zufrieden ist. Wenn Sie also einige Punkt „ärgerlich“ finden, tut mir das zwar leid, aber es gibt immer unterschiedliche Standpunkte.
Die für mich zentrale Fragestellung ist, ob man mit dem Aufwand, den alle an einer solchen Umfrage Beteiligten haben, das annähernd erreichen kann, was man sich vorstellt. Und in dieser Hinsicht bin ich nach wie vor uneingeschränkt zuversichtlich. Mir ist die Klärung der bei der Projektbeschreibung skizzierten Fragestellungen wichtig. Es geht mir darum, mehr Informationen über Risikowahrnehmung in Zusammenhang mit Mobilfunksendeanlagen zu gewinnen. Es geht mir nicht darum, das Wissen der Befragten „abzuprüfen“. Es ist also kein Anliegen dieser Studie, das Wissen von „Laien“ dem „korrekten Expertenwissen“ gegenüberzustellen (20.08.05-ll).
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