Welche elektromagnetische Feldsituation herrscht derzeit in Süddeutschland? Dies fragte sich Dr. Birgit Stöcker, Vorsitzende des Vereins für Elektrosensible, München, als bei ihr Anfang Dezember 2004 die Anzahl von Meldungen über starke Elektrosmogbeschwerden von einem Tag auf den anderen sprunghaft anstieg. Doch die Frage konnte niemand beantworten, denn in Deutschland gibt es derzeit kein Netz an Messstationen, das rund um die Uhr sieben Tage die Woche den Elektrosmog breitbandig misst und protokolliert. In Bayern wurde 2003 ein solches Überwachungsnetz (BayMess) angedacht, dann jedoch verworfen. Zweifellos gibt es einige Argumente, die den Nutzen und die Finanzierung derartiger Messstationen in Frage stellen. Andererseits könnte eine ständige Elektrosmog-Überwachung Fragen wie die von Birgit Stöcker beantworten und auch als Trendbarometer die zukünftige Intensitätsentwicklung des Elektrosmogs protokollieren.
Wenig ruhmreich endete 2003 ein Vorstoss des damaligen Bayerischen Gesundheitsministers Sinner, der an acht Standorten in Bayern rund um die Uhr die Intensität des Elektrosmogs langfristig protokollieren wollte. Das 650 000 Euro teure Projekt BayMess, dessen praktischer Nutzen von Anbeginn an heftig umstritten war, wurde im Dezember 2003 von Sinners Amtsnachfolger Schnappauf zu den Akten gelegt. Begründung: Kein Geld, keine Mitstreiter, kein Vertrag. Dem Projekt, es sollte zum Großteil von den Mobilfunkbetreibern finanziert werden, wurde seinerzeit von niemandem so recht eine Träne nachgeweint. Offenbar zu Recht, denn Vergleichbares, wie das von Vodafone und der Universität von Malta auf der kleinen Mittelmeerinsel verwirklichte Gardjola-Projekt, zeigt beim ziellosen Herumstöbern nur anfangs Prickelndes.
Inselstaat Malta hat schon ein Elektrosmog-Überwachungsnetz
Probieren Sie es selber aus und klicken Sie auf der Website des Projekts im Navigationsfeld zunächst auf “View Emission Levels”, wählen Sie in der folgenden Darstellung am besten die Insel Malta aus (das ist die größte) und klicken Sie anschließend auf irgendeinen der blauen Punkte (Messstationen). Jetzt können Sie mit Drop-Down-Boxen einen mehr oder weniger weit zurückliegenden maximal 31 Tage umfassenden Beobachtungszeitraum einstellen (z. B. vom 1.1.2004 bis 1.2.2004). Nun noch ein beherzter Klick auf das neben den verwendeten Drop-Down-Boxen gezeigte Foto (Umgebung der Messstation) – und Sie sehen den Feldstärkeverlauf (V/m), der während des Beobachtungszeitraums von der ausgewählten Messstation registriert wurde. Das Ganze funktioniert im Frequenzbereich 100 kHz bis 3 GHz (Radio, TV, Mobilfunk) mit ziemlicher hoher Auflösung von 0,1 V/m rückwirkend bis in die Anfänge des Jahres 2003. Wer nicht gezielt sucht, wird jedoch bald ernüchtert feststellen, dass das Gezappel der Messkurven schnell seinen Reiz verliert, zumal weit und breit kein Wert zu entdecken ist, der dem Grenzwert von 41 V/m auch nur annähernd nahe kommt. Aus dieser Sichtweise heraus hat seinerzeit auch das IZgMF die Aufgabe des BayMess-Projekts mit Erleichterung begrüßt.
Elektrosensible reagieren heftig auf unsichtbare Elektrosmogwelle
Ende 2004 ereignete sich jedoch etwas, das BayMess plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Wie die Politologin Dr. Birgit Stöcker vom Verein für Elektrosensible e.V., München, berichtet, meldeten sich am 1. Dezember 2004 etwa 20 Elektrosensible beim Verein und klagten über eine verstärkte Elektrosmogbelastung, die kaum noch zu ertragen sei. Acht dieser Personen waren wegen Drehschwindel tagelang ans Bett gebunden, drei andere erlitten epileptische Anfälle. Am 4. Dezember meldete sich beim Verein Siegline Glessinger, eine stark elektrosensible in Niederbayern regional bekannte Mobilfunkgegnerin, und berichtete über eine für Sie nicht mehr auszuhaltende Elektrosmogbelastung. Zwei Tage später starb Frau Glessinger an Herzversagen.
Nach den Weihnachtsfeiertagen begann Birgit Stöcker zu recherchieren, ob sich für den verspürten plötzlichen Anstieg des Elektrosmogs Anfang Dezember 2004 nicht einleuchtende Erklärungen finden lassen. Ein aufwändiges Unterfangen, das die Vereinsvorsitzende zur ARD-Programmdirektion führte, zum DVB-T-Informationsdienst, zur RegTP, zur Bayerischen Medientechnik GmbH und zu etwa 30 Messtechnikern. Eine alles erklärende Antwort blieb jedoch aus. In Ihrem Fazit muss Frau Stöcker deshalb aufgrund der erhaltenen Auskünfte mutmaßen, dass zum fraglichen Zeitpunkt ein großflächiger Feldversuch mit einer neuen Technologie stattgefunden hat. Ein Feldversuch, der keiner Genehmigung bedurfte und der an keine Grenzwerte gebunden war.
Finanzierungsspritzen der Mobilfunker würden Glaubwürdigkeit konterkarieren
Was genau Anfang Dezember 2004 im süddeutschen Raum in Sachen Elektrosmog los war, wird sich wohl nie öffentlich klären lassen. Anders sähe es aus, wenn es ein Netz breitbandig arbeitender Elektrosmog-Messstationen gäbe, auf deren Messresultate jeder via Internet zugreifen könnte. Wichtig wäre, wie der Vorfall mit den Elektrosensiblen zeigt, dass sich nicht nur momentan gemessene Werte betrachten lassen, sondern auch die Werte zurück liegender Zeiträume. Und eine langfristige Trendentwicklung sollten die Messdaten weniger umständlich hergeben, als dies beim Beispiel Malta der Fall ist. Am wichtigsten aber wäre, dass die Finanzierung eines solchen Überwachungsnetzes unter keinen Umständen im direkten Zusammenhang mit Geldmitteln aus der Mobilfunkbranche stehen darf. Kommt auch nur der Hauch eines Verdachts auf, dass Mobilfunker ein derartiges Netz mitfinanziert haben, ist es um die Glaubwürdigkeit der Messresultate schon geschehen, noch bevor die Messstationen den ersten Messwert ausspucken. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Mobilfunkbranche gehört nach dem Verursacherprinzip freilich zur Kasse gebeten. Nur muss dies in einer Form geschehen, die kritische Projekte und ihre Geldgeber so wirksam voneinander entkoppelt, dass Einflussnahmen nur noch durch strafbare Handlungen möglich sind. Denkbar wäre z. B. eine Art von Risikotechnologiesteuer, die der Staat von denen eintreibt, die an Risikotechnologien gut verdienen (Mobilfunk, Gentechnik, Atomindustrie). Klar, dass das Geld dann auch dazu verwendet werden müsste, den Risikotechnologen schärfer und besser als bisher auf die Finger zu gucken.
Nein, ehrlich gesagt glauben wir selbst nicht so recht daran, dass Deutschland seiner Industrie so etwas gemeines und innovationshemmendes wie eine Risikotechnologiesteuer zwischen die Beine werfen wird. Oder sagen wir’s so: Frühestens nach zehn Jahren ununterbrochener Vollbeschäftigung im Lande könnte man ja mal einen ersten schüchternen Anlauf wagen ... (24.03.05-ll).
Weiterführende Informationen
Elektrosmog-Überwachung in Italien
Bundestag: Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) schlägt Netz von Monitoringsystemen vor
Private Elektrosmog-Messstation fürs 1800-MHz-Band
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