Alles, nur keinen Präzedenzfall!

Ein wichtiges Glied in der Argumentationskette der Betreiber lautet: Es gibt (in Deutschland) keinerlei Gerichtsurteile, die sich auf eine krankmachende Wirkung des Mobilfunks berufen. Doch ganz so weiß wie es scheint ist die Weste der Mobilfunker nicht. Denn wenn sich so ein prekärer Gerichtsentscheid anbahnt, wird mit der Klageseite einfach in aller Stille ein Vergleich geschlossen – und alles bleibt schön im Lot. Tragisch ist, dass die Betreiber in solchen Situationen auf einen selbstregulierenden Automatismus zu ihren Gunsten hoffen können: Die Kläger sind nach längerer Bestrahlung physisch und psychisch derart angeschlagen, dass sie ein Angebot zum Vergleich nicht etwa weitblickend ausschlagen, sondern entnervt annehmen.

Herr A. G. und seine Eltern klagten gegen den Freistaat Bayern und die Betreiberfirma E-Plus. Der Mobilfunker hatte im Jahr 1994 in einer Gemeinde in Oberbayern in 17 m Entfernung vom Wohnhaus der Familie eine Mobilfunkantenne auf einem nachbarlichen Gebäude installiert.

Familie G. litt daraufhin unter extremen Schlafstörungen. Seit 1999 sahen sich die Eltern des Klägers gezwungen, auswärts zu schlafen. Aber auch der Aufenthalt in der Wohnung tagsüber unter dauerhafter Einwirkung einer Leistungsflussdichte von 9 mW/m² (Feldstärke: 1,84 V/m) war gesundheitlich stark belastend. Die Mutter des Klägers entwickelte fünf Jahre nach Inbetriebnahme der Sendeanlage ein Nierenkarzinom, das zur operativen Entfernung einer Niere führte.

Chronischer Erschöpfungszustand und Tinnitus

Auch der Kläger selbst litt seit Installation der Antenne unter schweren Schlafstörungen – vor allem unter einem völligen Wegfallen des Tiefschlafs. Neben dem damit zusammenhängenden chronischen Erschöpfungszustand bei labormäßig nachgewiesener erheblicher Melatoninreduktion (im Morgenurin) war zudem ein ständiger beidseitiger Tinnitus (Ohrgeräusche) besonders quälend.

Trotz schlechter Erfolgsprognose entschloss sich Familie G. zur Klage gegen den Freistaat Bayern und die Betreiberfirma. Das Mandat erhielt ein mutiger Umwelt-Rechtsanwalt aus Norddeutschland.

Langer Marsch durch die Instanzen

Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Doch durch anwaltliches Bemühen und gutachterliches Hinzuziehen des Umweltmediziners Dr. med. H.-C. Scheiner, München, konnte die Wiederaufnahme des Verfahrens in zweiter Instanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erwirkt werden (Az.: M 1 K 96, 1078).

Nach dem dritten ausführlichen medizinischen Gutachten von Dr. Scheiner im Frühjahr 2003, gingen den Beklagten und ihren Gutachtern die Argumente aus. In dieser für den Freistaat Bayern und die Betreiberseite ungünstigen Situation boten deren Anwälte den Klägern einen Vergleich und die Übernahme der gesamten Anwalts- und Gerichtskosten an. Hauptpunkt des Vergleichs ist der Abbau der Mobilfunkantenne.

Der Vergleich wird angenommen

Obwohl ein Durchfechten des für die Kläger sich günstig entwickelnden Rechtsstreites zu einem interessanten juristischen Präzedenzfall geführt hätte, nahm der Kläger – um wegen der Krebserkrankung seiner Mutter keine Zeit zu verlieren – das Vergleichsangebot an.

Kommentar: Verschleierung durch Betreiber und Politik

Ein  dokumentiertes ärztlich-wissenschaftliches Gutachten bewegte das Land Bayern und den Mobilfunkbetreiber E-Plus zum Angebot eines außergerichtlichen Vergleichs. Dies lässt die Deutung zu, dass, wegen der erdrückenden Indizienlage, auf Seiten der Betreiber sowohl die eigene medizinisch-wissenschaftliche wie auch die rechtliche Position als zu schwach angesehen wurde, um im Prozessfortgang die eigenen Ziele zu erreichen. Offensichtlich wurde das Risiko gescheut, dass die Fortsetzung des Prozesses zu einem rechtsbedeutsamen Nachweis der krankmachende Wirkung des Senders hätte führen können.

Leider geraten derartige Fälle, die mit einem außergerichtlichen Vergleich beendet werden, schnell aus dem Blick der Mediengesellschaft und aus der öffentlichen Diskussion. Informationen über ihre Anzahl und die Sachlage, wegen der sie geschlossen wurden, sind nur sehr schwer zu bekommen. Einer der Gründe, weswegen sich dies so verhält, wird durch den hier vorgestellten Fall erhellt.

Teufelskreis lähmt Widerstandswillen

In der geschilderten gerichtlichen Auseinandersetzung wird der Weg zum Vergleich, und damit zum Verzicht auf die Herbeiführung eines Urteils, durch die Schädigung auf Seiten des Geschädigten selbst bereitet. Die Belastungen aufgrund der gesundheitlichen Folgen von neun Jahren Zwangsbestrahlung und des aufreibenden Rechtsstreits gegen eine finanziell übermächtige und einflussreiche Allianz führten zur Ermattung und schließlich zum Entschluss aufzugeben.

Doch welche Bedeutung für die Pflege des Rechtes in unserem Staat hat es, wenn zugelassen wird, dass sich eine Schädigung dahingehend auswirken kann, dass der Geschädigte durch die Folgen eben dieser Schädigung davon abgehalten wird, einen rechtlich aussichtsreichen Weg bis zu einem Urteil zu Ende zu gehen?

Und deshalb kann es den Präzedenzfall gar nicht geben

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde das Zustandekommen eines Urteils verhindert, dem eine allgemein gewichtige Bedeutung zugekommen wäre sowohl hinsichtlich der Wahrung der Belange von Geschädigten als auch in Bezug auf die Einschränkung der Möglichkeiten der Verursacher, ihre Interessen ohne Rücksicht durchsetzen zu können ebenso wie in Bezug auf die sie deckende Politik.

Vor diesem Hintergrund betrachtet zeigt die gegenüber den Protesten von Zwangsbestrahlten allfällig vorgetragene Entgegnung, dass nämlich bisher noch kein medizinischer und wissenschaftlicher Befund bekannt sei, der vor einem Gericht zu einer durch Urteil begründeten Anerkennung einer vorliegenden gesundheitlichen Schädigung durch Mobilfunkstrahlung geführt hätte, ein anderes Gesicht (30.04.05-H. Breunig/-ll).

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