Die Stadt Nürnberg hat Mitte des Jahres 2003 messen lassen, in welchem Ausmaß ein telefonierender Passagier innerhalb eines Linienbusses andere Passagiere mit Elektrosmog bomdardiert. Dann wurde sozusagen per Fingerschnipp der Bus entfernt und mit dem selben Messaufbau unter den selben Randbedingungen erneut gemessen. Die Differenz zwischen beiden Messreihen zeigt auf, dass, allein wegen der Strahlungsreflexionen im Bus, die Passagiere im Bus doppelt so stark belasten werden können wie bei einem Handytelefonat unter freiem Himmel. Mehr dazu in unserer folgenden Zusammenfassung.
In der Diskussion um die Schädlichkeit des Telefonierens in PKWs oder öffentlichen Verkehrsmitteln gab es bislang nahezu kein messtechnisch ermitteltes Zahlenmaterial, das für oder gegen die Verwendung von Handys innerhalb von Fahrgastzellen sprach. Eine in Japan aufgelegte Studie nahm sich des Themas zwar an, die auf hiesige Verhältnisse bezogene Interpretation der Studie durchs Bundesamt für Strahlenschutz erscheint jedoch konstruiert und ist wenig überzeugend.
Geradezu erfrischend klar wirkt da eine Studie, die von der Stadt Nürnberg beim EM-Institut, Regensburg, in Auftrag gegeben wurde, und deren 34-seitiges Resultat Ende Juli 2003 an die Öffentlichkeit kam. Verfasser der Studie ist Prof. Dr.-Ing. Matthias Wuschek. Unter Mobilfunkgegnern heftig umstritten, hat der Autor gleichwohl eine gut dokumentierte Studie vorgelegt, die im Abschnitt 4.4 erstmals konkrete Messwerte für die Strahlenbelastung in einem Linienbus nennt. Lesen Sie nachfolgend eine Zusammenfassung dieses Abschnitts.
Für die Messungen wurde ein handelsübliches GSM 900-Handy verwendet. Um den schlimmsten Fall abzudecken, dass nämlich das Handy im Fahrzeug ständig mit maximaler Leistung sendet, wurde auf eine “echte” Basisstation verzichtet und stattdessen ein Simulator mit in den Bus genommen. Dieser Simulator setzte die normalerweise dynamische Leistungsregelung des Handys außer Gefecht und sorgte dafür, dass das Handy während der Messreihen stets mit höchstmöglicher Leistung sendete. In der Realität ist eine derartige Situation bei schlechten Empfangsbedingungen gegeben, wenn sich ein Fahrzeug z. B. im Funkschatten eines Hochhauses oder inmitten eines Tunnels befindet. Bei gutem Empfang senden Handys nur mit einem Bruchteil der maximal möglichen Sendeleistung.
Mit einer Messantenne und einem Spektrumanalysator wurde nun in einer ersten Messreihe die Strahlungsintensität gemessen, die das Handy in unterschiedlicher Entfernung (innerhalb des Busses) bewirkt. Das Resultat dieser ersten Messreihe zeigt Tabelle 1:
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Die dürren Zahlenwerte der Tabelle 1 liefern eine unerwartete Erkenntnis: Obwohl es innerhalb des Busses von Reflexionen, Beugungen und Interferenzen nur so wimmeln sollte, halten sich die Messwerte erstaunlich dicht an die Fernfeldtheorie, die besagt, dass die Feldstärke umgekehrt proportional zur Messentfernung abnimmt (Leistungsflussdichte: umgekehrt quadratisch). Gemäß Fernfeldtheorie hätte man also vorhersagen können, dass sich beim 10-fachen der Messentfernung von 0,6 m ein Zehntel des Messwerts von 7,1 V/m einstellt. Dass die so erwarteten 0,71 V/m dann tatsächlich nicht bei 6 m, sondern erst bei 7,3 m gemessen wurden, ist eine – wenn auch schwache – Auswirkung der unkalkulierbaren Einflüsse im Nahfeld einer Strahlungsquelle.
Die Werte der Tabelle 1 lassen noch keinerlei Aussage darüber zu, um wie viel höher die gemessene Strahlungsintensität ist, nur weil das Handy nicht außerhalb, sondern innerhalb des Busses betrieben wird. Was zu dieser Aussage noch fehlt sind Vergleichswerte, die sich ergeben, wenn sozusagen der Bus selbst “hinweggezaubert” wird, der komplette Messaufbau mit Handy, Messantenne und Spektrumanalysator jedoch unverändert an Ort und Stelle verbleibt. Tabelle 2 nennt die Strahlungswerte, die unter diesen Bedingungen bei einer zweiten Messreihe gemessen wurden.
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Tabelle 1 macht deutlich, dass man bei schlechten Empfangsverhältnissen als unmittelbarer Sitznachbar eines Handytelefonierers in Bus & Tram mit rd. 133 mW/qm belastet wird. Fahrzeugführer müssen mit etwa 71 mW/qm rechnen, wenn vom Sitzplatz unmittelbar hinter ihnen telefoniert wird. Erst in der größten Messentfernung (7,3 m) hat die Strahlungsintensität ein Mass erreicht, das den Salzburger Vorsorgewert aus dem Jahr 2000 (1 mW/qm) in etwa einhält. Im Freien ist die Belastungssituation günstiger (Tabelle 2): Wird bei schlechten Empfangsverhältnissen z. B. von einer Parkbank aus telefoniert, kriegt ein Sitznachbar am anderen Ende der Bank noch etwa 2,5 mW/qm ab.
Und welche Aussagen lassen sich aus dem Vergleich der beiden Tabellen ableiten? Sind die Werte in Tabelle 1 deshalb höher, weil das Handy im Bus stärker strahlen muss, um die Barriere der metallischen Fahrgastzelle zu überwinden? Nein, dies ist in der Realität zwar richtig, wäre im vorliegenden Zusammenhang jedoch eine Fehlinterpretation! Denn stimuliert durch den Simulator strahlte das Handy in beiden Messreihen genau gleich stark mit höchstmöglicher Leistung. Worauf aber sind dann die in etwa doppelt so hohen Feldstärkewerte der Tabelle 1 zurückzuführen? Antwort: Auf die Reflexionen, die im Innern des Busses auftraten!
Können Funkwellen den Bus nicht verlassen, weil sie von der metallischen Fahrgastzelle reflektiert werden, so entstehen im Innern des Busses “Interferenzzonen”, in denen sich die Funkwellen (je nach Phasenlage) gegenseitig verstärken oder auslöschen. Wo nun genau derartige Maxima (hohe Intensität) und Minima (schwache Intensität) im Bus sind, ist unvorhersehbar. Deshalb wurde bei der ersten Messreihe auch nicht einfach nur eine Punktmessung ausgeführt, sondern das Maximum geradezu gesucht (Handy wurde während der Messung hin und her bewegt) und nur der Höchstwert in die Tabelle 1 eingetragen. Typisch für derartige Interferenzzonen: Wenige Zentimeter neben einem Maximum könnte bereits ein Minimum auftreten. Dort wäre dann die Strahlungsbelastung selbst im Bus unter Umständen merklich kleiner, als im Freien.
Tröstlich ist die Existenz der Minima jedoch wenig, da kein Passagier eines Busses weiß, ob er momentan ein Maximum abbekommt, oder das Glück hat, sich in einem Minimum aufzuhalten. Zu allem Überfluss kommt noch hinzu, dass die Positionen und Ausprägungen der Maxima und Minima von vielen Faktoren abhängt. Etwas überspitzt formuliert: Verlagert ein Fahrgast sein Gewicht von einem Bein aufs andere, kann dies einen Meter weiter ein Minimum in ein Maximum verwandeln (oder umgekehrt). Bleibt festzuhalten: Wer in Fahrgastzellen telefoniert, setzt alle Passagiere einem Russischen Strahlungsroulette aus.
Beachten Sie unbedingt, dass alle genannten Werte auf ein einziges sendendes Handy zurückzuführen sind. Nicht gemessen wurde die Strahlungsintensität, wenn zwei, drei oder vielleicht fünf Handys gleichzeitig in Betrieb sind. Dass sich bei fünf Telefonaten der rechnerische Höchstwert von 5 x 133 mW/qm = 665 mW/qm auch messtechnisch ergibt ist keineswegs sicher, weil die Problematik der Interferenzzonen bei mehreren Strahlungsquellen noch komplexer ist als bei einer einzelnen Strahlungsquelle.
Der Studie von Prof. Wuschek kommt zweifellos das Verdienst zu, in die mit Mutmaßungen und theoretischen Überlegungen gepflasterte Diskussion um die Schädlichkeit des Handygebrauchs in Fahrgastzellen, konkrete Messwerte einzubringen. Auch die Messmethode erscheint plausibel, wenngleich es zur Ermittlung der Maxima wohl realistischer gewesen wäre, nicht das Handy, sondern die Messantenne zu bewegen. Nichts zu mäkeln gibt’s daran, dass die Messungen mit einem GSM 900-Handy (D-Netz) ausgeführt wurden, das mit maximal 2 W Sendeleistung über doppelt so viel Sendeleistung verfügt wie ein GSM 1800-Handy (E-Netz). Fair ist zudem der Hinweis, dass die gesamte Messung nur für Busse ohne verspiegelte Scheiben gilt. Bei Fahrzeugen mit metallbedampften Scheiben ist mit einer erheblich höheren Strahlenbelastung innerhalb der Fahrgastzelle zu rechnen. Nein, aus Sicht des IZgMF sind bei Wuschek keine Messfehler erkennbar, die zu einer systematischen Unterbewertung der Strahlungsintensität geführt haben (wer anderer Ansicht ist, möge uns dies bitte begründet mitteilen).
Bei der Interpretation der Messwerte aber trennen sich die Wege von Prof. Wuschek und die des IZgMF. Wie im Original der Studie nachzulesen ist, bemüht sich Wuschek zwar um eine ausgewogene Darstellung, dennoch ist bei wertenden Textpassagen eine Grundhaltung pro Mobilfunk unschwer erkennbar. Als Beleg dafür möge exemplarisch die Passage auf Seite 29 herhalten, wonach Personen im Bus nur deshalb nicht stärker belastet werden, weil sie sich ja auch in einem Minimum aufhalten könnten. Statistisch gesehen hat Wuschek sogar recht. Nur handelt er sich mit derartiger Gleichmacherei zu Recht den Vorwurf der Verharmlosung ein. Bemerkenswert ist auch der Umstand, dass Wuschek zwar keinen Hehl daraus macht, dass beide Messreihen mit nur einem einzigen Handy stattfanden. Bei seiner Bewertung der Messreihen wird dieser elementare Punkt jedoch mit keiner Silbe mehr erwähnt. Dabei wäre genau dies wichtig gewesen, denn wenn ein vollbesetzter Bus im Stau steckt, greift gewiss nicht nur einer zum Handy (3.11.03-ll).
Nachtrag vom 4.11.2003
Beachten Sie bitte, die Studie von Prof. Wuschek gibt KEINE Auskunft darüber, um wieviel stärker ein Handy innerhalb des Busses senden muss, damit es den Kontakt zur nächstgelegenen Basisstation aufnehmen kann. Die daraus resultierende Mehrbelastung der Bus-Passagiere (gegenüber Telefonaten im Freien) wurde in der Studie NICHT berücksichtigt. Die in der Studie ermittelte maximale Mehrbelastung der Bus-Passagiere um den Faktor 2 (gegenüber Telefonaten im Freien) beziffert einzig und allein die Auswirkungen der Strahlenreflexionen innerhalb der Fahrgastzelle. Unter realen Bedingungen, wenn die dynamische Leistungsregelung eines Handys im Bus die Sendeleistung anhebt, wird deshalb die Mehrbelastung der Bus-Passagiere den Faktor 2 voraussichtlich bei weitem übertreffen. Bleibt also abzuwarten, ob sich jemand findet, der dies messtechnisch nachweist (-ll).
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