Spannendes Verwirrspiel
um ARD-Sendung »Bei Anruf Smog«

Die Sendung 'Bei Anruf Smog' erhitzt schon vor der Ausstrahlung die GemüterAm Mittwoch den 6. August gab’s erst einmal Ärger: Die für diesen Tag auf 21:45 Uhr festgesetzte kritische SWR-Fernsehsendung “Bei Anruf Smog” musste hopplahopp einer anderen ARD-Sendung weichen. Das geschah so plötzlich, dass selbst Online-Programmzeitschriften nicht mehr rechtzeitig umdisponieren konnten. Der von der ARD zugewiesene Ersatzsendeplatz am Donnerstag, 7. August, liegt auf 23:00 Uhr merklich schlechter. Allerdings ereignete sich noch am Mittwoch etwas, was der Sendung auch zur späteren Sendezeit noch viel Aufmerksamkeit bescheren dürfte: Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete um etwa 16:00 Uhr die Meldung (z. B. über Yahoo), eine international besetzte EU-Forschergruppe namens “Reflex” habe Zellschäden durch Mobilfunkstrahlung festgestellt. Das haute voll rein. Zwar wiegelte dpa zugleich auch kräftig ab, der Nachrichtendienst de.internet.com kompensiert dies jedoch mit hochinteressanten Hintergrundinformationen. Das Ganze erweckt den Eindruck, die Reflex-Forscher hätten erst am Mittwoch aus dem Nähkästchen geplaudert. Tatsächlich geschah dies viel früher, u. a. gegenüber den Autoren der SWR-Sendung, die in “Bei Anruf Smog” über die spektakulären Resultate des Reflex-Forschungsprojekts berichten. Der renommierte Online-Nachrichtendienst Heise ist diesem Verwirrspiel um Ursache und Wirkung voll auf den Leim gegangen, denn dort heißt es als Reaktion auf die dpa-Meldung: “Die ARD hat ... den SWR-Beitrag ‘Bei Anruf Smog’ über die Forschungsergebnisse neu ins Programm gestellt” (7.8.03-ll).

Weiterführende Informationen zum Thema

Forschungsprojekt Reflex im Strudel wirtschaftlicher Interessen

Nachtrag vom 9. Februar 2022

“Bei Anruf Smog” anschauen

Die Sendung “Bei Anruf Smog” lässt sich gegenwärtig auf YouTube hier betrachten, aufgesplittet in fünf Teile.

Linkprüfung

Momentan noch erreichbar ist allein die dpa-Meldung auf heise online inklusive der 424 Kommentare.

Die Yohoo-Meldung lebte nur kurz, im Januar 2004 war sie bereits nicht mehr erreichbar und ist deshalb im Webarchiv nicht enthalten geblieben.

Auch de.internet.com lebt inzwischen nicht mehr, allerdings hat die damalige Meldung im Webarchiv überlebt. Um auf Nummer sicher zu gehen, ist der Text der Meldung in dem Textkasten unten im Wortlaut wiedergegeben. Die ursprüngliche Meldung erschien am 6. August 2003 um 17:49 Uhr, Autor ist Achim Sawall (as).

 

EU-Forschergruppe sieht genschädigende Effekte durch Mobilfunk

Gentoxizität - ein Schlüsselereigniss in der Entstehung von Tumoren - festgestellt

Die internationale Forschergruppe REFLEX hat nach dreijähriger Grundlagenforschung an menschlichen Zellen genschädigende Wirkungen durch elektromagnetische Felder (EMF), wozu auch Mobilfunkfelder zählen, nachweisen können. In den Versuchsreihen wurden verschiedene Zelltypen Mobilfunkfeldern ausgesetzt. Bei bestimmten Expositionsintervallen zeigten sich Brüche in den Chromosomen, sogenannte DNA-Doppelstrangbrüche. Der Koordinator des REFLEX-Projektes, Prof. Dr. Franz Adlkofer, Stiftung VERUM, hält diese Ergebnisse für einen wichtigen Schritt in der Grundlagenforschung zu den möglichen biologischen Wirkungen von Mobilfunk: Adlkofer gegenüber dem Südwestrundfunk (SWR): "Seit 30, 40 Jahren bis zum heutigen Tag ist man der Meinung, dass elektromagnetische Felder die DNA, das heißt die Gene, das Genom, nicht schädigen können. Unsere Ergebnisse widersprechen dem."

Die REFLEX-Forschergruppe besteht aus 12 renommierten europäischen Grundlagenforschern aus sieben Ländern. Für dieses Forschungsprojekt, das von der EU finanziert wird, wurde erstmals ein streng standardisiertes Expositionsverfahren gewählt, das von der ETH Zürich entwickelt worden war, berichtet der SWR weiter. Die Forscher haben drei Jahre lang in Doppel-Blind-Versuchen die Wirkung nieder- und hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf menschliche Zellen untersucht. Zu der Forschergruppe gehören unter anderem Prof. Rudolf Tauber, FU Berlin, Priv.-Doz. Dr. Anna M. Wobus, IPK Gatersleben, Prof. Hans-Albert Kolb, Universität Hannover und Prof. Hugo W. Rüdiger, Universität Wien.

Prof. Rüdiger sagte im SWR-Interview, die Hinweise auf Gentoxizität hätten ihn "überrascht". "Weil die Gentoxizität eines der Schlüsselereignisse ist in der Entstehung von Tumoren. Das heißt noch gar nicht, dass jedes gentoxische Ereignis gleichzusetzen ist mit einem Krebs. Aber es ist gewissermaßen das erste Ereignis, was in der Zelle passieren muss, damit es überhaupt zu einem Tumor kommen kann - direkt oder indirekt."

Noch keine direkten Aussagen zu Entstehung von Krebs zu treffen

Trotzdem seien, so betonen die Forscher, von den Ergebnissen noch keine direkten Aussagen bezüglich des Zusammenhangs zwischen Mobilfunk und der Entstehung von chronischen Krankheiten, wie Krebs, zu treffen. Dennoch müsse nach Ansicht des Projektleiters Prof. Franz Adlkofer die Diskussion um mögliche Risiken des Mobilfunks neu geführt werden. Wenn hier gezeigt werde, dass in einzelnen Zellen gentoxische Veränderungen nachweisbar sind, sei der nächste Schritt, zu sehen, was dies bedeutet. Vielleicht, so Adlkofer weiter, dass durch elektromagnetische Felder auch Krebs entstehen kann. Das heiße auch, dass die Politik durchaus Grund habe, darüber nachzudenken, ob nicht "solidere wissenschaftlich fundierte Grenzwerte eines Tages eingeführt werden müssen."

Absenkung der Grenzwerte für Mobilfunkbasisstationen aus ökonomischen Gründen verhindert

Die Debatte um Vorsorgegrenzwerte für Mobilfunkbasisstationen war insbesondere nach der Versteigerung der UMTS-Lizenzen im August 2000 von verschiedenen Seiten geführt worden. Unter anderem befürwortete damals der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König, solche Vorsorgewerte. Dennoch entschied sich die Bundesregierung dagegen. Für die Bundestagsfraktion von Bündnis90/GRÜNE setzte sich Winfried Hermann (wir berichteten) damals für die Einführung niedrigerer Grenzwerte ein. In dem SWR-Film stellt Hermann klar, dass eine Absenkung damals auch aus ökonomischen Gründen verhindert wurde. Dies sei in Gesprächen zwischen Vertretern aus Regierungsfraktionen, Bundesumweltministerium und Kanzleramt deutlich geworden: "Da ist ganz deutlich gesagt worden, dass das Kanzleramt keine Grenzwertabsenkung wünscht und auch nicht mitträgt und dass man auch keine anderen gesetzlichen Regelungen haben will. Erstens weil die wissenschaftliche Datenbasis nicht genügend ausreichend ist und zweitens, weil natürlich auch ökonomische Interessen eine Rolle spielen, weil die Lizenzersteigerer deutlich gemacht haben, dass sehr viele Arbeitsplätze gefährdet sein werden, und dass sie es auch nicht akzeptieren wollen, dass man einerseits gerne 100 Mrd. Steuereinnahmen gerne nimmt und auf der anderen Seite die Grenzwerte wieder absenkt und dann diesen Betreibern das Geschäft schwer macht."

Stattdessen wurde im Dezember 2001 von den Mobilfunkbetreibern eine freiwillige Selbstverpflichtung unterschrieben, in der sie eine bessere Kooperation mit den Kommunen bei der Auswahl der Standorte für Mobilfunkanlagen zusagten. Umfragen unter Städten und Gemeinden zur Umsetzung der Selbstverpflichtung belegen aber jetzt, dass es weiterhin Schwierigkeiten zwischen Netzbetreibern und Kommunen beim Netzaufbau gibt. Deswegen wünscht sich laut einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin, die Hälfte der Gemeinden eine gesetzliche Regelung des Standortverfahrens. Weitergehende Forderungen gehen aus einer noch unveröffentlichten Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz hervor. Danach fordert eine deutliche Mehrheit der Kommunen eine Verschärfung der Vorsorgegrenzwerte.

Der Autor der Studie, Dr. H.-Peter Neitzke, ECOLOG-Institut, zeigte sich auf Nachfrage "irritiert" darüber, dass die Studie noch nicht veröffentlicht sei, obwohl die Ergebnisse seit Anfang dieses Jahres beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vorliegen. Ein Sprecher des BfS erklärte dazu, dass die Ergebnisse "zu einem gegebenen Zeitpunkt" veröffentlicht werden und betonte allein, dass sich durch die Selbstverpflichtung die Kommunikation zwischen Mobilfunkbetreibern und Kommunen erheblich verbessert habe. Dazu H.-Peter Neitzke, ECOLOG-Institut: "Dass überwiegend positive Ergebnisse kommuniziert werden, das liegt natürlich daran, dass die Politik und sicherlich auch die Mobilfunknetzbetreiber Ruhe an dieser Front haben wollen." (as)

 

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