Ferkelstudie vs. Pflanzenstudie & Spindelapparat-Studie (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 02.01.2015, 01:03 (vor 3364 Tagen) @ H. Lamarr

Die Website Mobilfunk-Oberfranken bietet den Volltext der Ferkelstudie zum Download an (PDF, 10 Seiten, deutsch).

Ich bin in der Einleitung gleich beim zweiten Absatz hängen geblieben:

Auch unterhalb der gesetzlichen Werte sind Störungen der Erbgutverteilung während der Zellteilung nachgewiesen. Folglich besitzt die technisch verwendete Mikrowellenenergie mutagenes Potential (HARTE 1950, 1972, SCHMID & SCHRADER 2007, SCHRADER et al. 2008).

Zunächst verblüffen Buchner et al. damit, dass sie das langjährige Kronjuwel der Mobilfunkgegner in Sachen DNA-Schädigung, gemeint ist die umstrittene Wiener "Reflex"-Studie, mit keiner Silbe erwähnen. Ich sehe darin ein Zeichen, nämlich dass nicht einmal mehr Buchner et al. daran glauben mögen, dass diese "Reflex"-Studie noch lange zitierfähig sein wird.

Doch wenn überzeugte Mobilfunkgegner Studien zitieren ist meiner Erfahrung nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etwas faul daran. Also habe ich mich dahinter geklemmt, was das für Studien sind an denen sich die Autoren der Ferkelstudie im Vorübergehen schnell mal aufrichten ...

► Bei Harte handelt es sich um diese Arbeiten:

HARTE, C. (1950): Mutationsauslösung durch Ultrakurzwellen, Chromosoma 3:
440-447.

HARTE, C. (1972): Auslösung von Chromosomenmutationen durch Meterwellen in
Pollenmutterzellen von Oenothera, Chromosoma 36: 329-337.

Einwand 1: Buchner et al berufen sich auf eine rund 64 Jahre alte Arbeit der angesehenen, 1998 verstorbenen Entwicklungsbiologin Cornelia Harte.

Einwand 2: Es geht bei Harte um UKW-Signale (88 MHz bis 108 MHz), deren Charakteristik mit Mobilfunk nicht das geringste zu tun haben. UKW-Rundfunk ist z.B. völlig ungepulst.

Einwand 3: Ich behaupte, Buchner et al. haben sich die Harte-Arbeit des Jahres 1950 von der indiskutablen Website Iddd des durchgeknallten Krzysztof Puzyna geholt. Denn nur dort wird sie öffentlich gehostet. Die Autoren der Ferkelstudie scheint keine Quelle zu schmutzig zu sein, wenn sie ihnen nützlich erscheint. Hintergrund: Weil Herr Puzyna keinen deutschen Hoster mehr gefunden hat, der seinen Mist ins Netz stellen wollte, musste Puzyna mit seiner Site nach Polen ausweichen. Dort kann man auch de-Domains hosten und ist vor Strafverfolgung sicherer als hierzulande.

Einwand 4: Bei den beiden Arbeiten von Harte handelt es sich um Pflanzenstudien! Bekanntlich ist es schon schwierig, Tierstudien für Menschen zu deuten, bei Pflanzenstudien scheint mir der Unsicherheitsfaktor noch um ein Vielfaches größer.

Einwand 5: Harte befeldete 1948 mit 1,5 V/m im UKW-Frequenzbereich. Buchner et al. fanden 2013 im Mobilfunk-Frequenzbereich in den Ställen des Hopper-Hofes Feldstärken von maximal 0,52 V/m vor.

Einwand 6: Buchner und Hopper benutzten für ihre Messungen breitbandige Hobby-Messtechnik, statt selektiv messender Spektrumanalysatoren. Fehlmessungen sind wahrscheinlich, Angaben, ob genannte Messwerte RMS oder Peak sind, fehlen.

► Bei Schmidt und Schrader handelt es sich um diese Arbeiten:

SCHMID, E., SCHRADER, T. (2007): Different biological effectiveness of ionizing and non-ionizing radiations in mammalian cells, Adv. Radio Sci. 5: 1-4.

SCHRADER, T., SCHMID, E., MÜNTER, K., KLEINE-OSTMANN, T. (2008): Spindle Disturbances in Human-Hamster Hybrid (AL) Cells Induced by Mobile Communication
Frequency Range Signals, Bioelectromagnetics 29: 626-639.

Dr. Thorsten Schrader leitet bei der Physikalisch Technischen Bundesanstalt, Braunschweig, den Fachbereich "Hochfrequenz und Felder". Er beschäftigt sich z.B. mit bislang ungelösten Fragen numerischer SAR-Verteilungsmodelle, z.B. bei den Terahertzfrequenzen von "Nacktscannern". Seine 2008-er Arbeit habe ich im Volltext <hier> gefunden.

Da es hier um Zellbiologie geht, halte ich mich als Nachrichtentechniker mit opulenten Erklärungsversuchen zurück.

Einwand 1: Unter "Conclusion" schreiben die Autoren singemäß, sie hätten zwar DNA-Verändeungen beobachtet, z.B. in Form einer Störung des Spindelapparats, dass diese Effekte jedoch nicht notwendigerweise mit Krankheitsfolgen oder Schädigungen gleichzusetzen wären (engl. Originaltext: However, in contrast to our knowledge on the IR-induced DNA alterations, the result obtained for RF radiation does not necessarily mean that these effects, i.e. spindle disturbances, lead to disease or injury, but it is a potentially important information for evaluating the underlying mechanisms).

Einwand 2: Schrader et al. exponierten Tierzellen mit 5 V/m bis 90 V/m und fanden abhängig von der Feldstärke einen nahezu linearen Zusammenhang zwischen den Anteilen an Anaphasen und Telophasen mit Spindelstörungen. Bei 90 V/m wurden doppelt so viele Ana- und Telophasen mit gestörtem Spindelapparat entdeckt wie bei 45 V/m (Fachbegriffe und Details zur Zellteilung siehe hier). Aber: Am Hopper-Hof in Bayern herrschten nur rd. 0,52 V/m! Gemäß Bild 5 (Arbeit Schrader, 2008) bedeutet dies eine gegen Null gehende Störung des Spindelapparats, womit Schrader et al. für Buchner et al. nicht länger als Belastungszeugen zur Verfügung stehen.

Es ist mMn wie so oft bei überzeugten Mobilfunkgegnern: Eine durchaus interessante Entwicklung in einer Forschungsrichtung wird passend uminterpretiert, damit sie eine vermeintlich wissenschaftliche Erklärung für ansonsten unerklärbare Vorgänge (Ferkelanomalien bei 0,52 V/m Feldeinwirkung) abgibt. Das Ganze verpackt in pseudowissenschaftlichem Habitus, um Laien zu beeindrucken. Vor Experten müssen Buchner et al. sich ohnehin nicht fürchten, die schenken Publikationen in UMG ohnehin keine Beachtung. Das Risiko, beim Verbreiten von Desinformation erwischt zu werden, ist für das Autorentrio daher kalkulierbar klein.

Schrader setzten Ihre Untersuchungen bei höheren Frequenzen als denen des GSM-Mobilfunks fort. Sie konnten dabei die bisherigen Ergebnisse bestätigen, stießen aber auch auf ein Phänomen: der Mikrokerntest zeigte keine DNA-Schädigungen an, obwohl der Spindelapparat die schon bekannten Störungen zeigte. Erklärungsversuche für diesen Widerspruch nennt dieser Auszug aus dem WIK-Spektrum, Ausgabe 1/2011.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Pulsung, DNA-Schäden, Immission, Spektrumanalysa, Rundfunk, Amateurwissenschaft, Mutation, Mängel, Frequenzbereich, Belastungszeuge, Erbfehler


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