Murray vs. Motorola: Zwischenstand September 2022 (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 06.11.2022, 16:04 (vor 498 Tagen) @ H. Lamarr

Scheidsteger hat für ty4c eine eigene Website, er hätte dort auf aktuelle Entwicklungen in dem von ihm hochgespielten Hirntumorprozess in Washinton D.C. hinweisen können. Hat er nicht getan. Keine Zeile dort gibt sachbezogen Auskunft, was sich seit 2016 in der gerichtlichen Auseinandersetzung getan hat. Nachträglich wurde nur der umsatzfördernde Hinweis eingefügt, dass es "ab sofort" auch das Buch zum Film gibt. Damit macht der Filmemacher mMn unmissverständlich deutlich, worauf es ihm bei ty4c und ähnlichen Werken wirklich ankommt.

2001 verklagte der US-Amerikaner Michael P. Murray († 2003) den Handyhersteller Motorola auf Schadenersatz, denn Murray war der Überzeugung, ein 1999 bei ihm diagnostizierter Hirntumor sei von seinem Mobiltelefon verursacht worden. Die Klage entwickelte sich schnell zu einer Sammelklage, mit der 13 Hirntumorpatienten etliche Firmen der Mobilfunkbranche auf angeblich rd. 1,2 Mrd. Dollar Schadenersatz verklagen. Wie bei Sammelklagen in den USA üblich, hat sich eine unbekannte Anzahl von Betroffenen der Sammelklage angeschlossen. Verhandelt wird der Fall noch immer, doch trotz der hohen Geldsumme ist das Medieninteresse erstaunlich gering.

Hier nun der Versuch zu schildern, wie sich das Verfahren nach dem Beschluss des Gerichts zugunsten einer Daubert-Anhörung weiter entwickelt hat. Eigentlich wäre dies Scheidstegers Aufgabe, der aber hat augenscheinlich die Lust an einem Teil II von "Thank you for Calling" verloren, da der aktuelle Stand des Verfahrens in keiner Weise dem entspricht, was der Filmemacher am Ende von Teil I voreilig behauptet hat.

Wegen exorbitant hoher Geldforderungen genießen Schadenersatzprozesse in den USA nicht selten weltweit Aufmerksamkeit. So kennen viele den berühmten Fall von Stella Liebeck, die sich mit (zu) heißem Kaffee von McDonalds verbrühte und vor Gericht von den Geschworenen 2,7 Mio. Dollar Schadenersatz zugesprochen bekam. Weniger bekannt ist, der Richter kürzte diesen Betrag später in seinem Urteil auf 480'000 Dollar.

Im Vergleich zum Medieninteresse an Liebecks Fall findet die gerichtliche Auseinandersetzung der 13 Kläger oder deren Hinterbliebener praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Stand November 2022 ergibt die Websuche nach "Murray v Motorola" nur etwa 100 echte Treffer. Viele davon führen ins Dickicht der Anti-Mobilfunk-Szene, die nicht unbedingt für Faktentreue berühmt ist. Gleichzeitig ist die Ausbeute bei vertrauenswürdigen öffentlich zugänglichen Quellen und Medien äußerst spärlich.

Einen vermeintlichen Verfahrensüberblick gab am 17. März 2021 der US-Amerikaner Arthur Firstenberg. Aus dieser Quelle sollte man nur mit größter Vorsicht schöpfen. Firstenberg behauptet exklusiv, das Verfahren wäre inzwischen wieder am D.C. Superior Court anhängig und dort hätte Richter Alfred S. Irving für Juli 2021 die Daubert-Anhörung der folgenden sieben Wissenschaftler geplant. Nur diejenigen Wissenschaftler, die diese Anhörung durch den Richter überstehen, dürfen später nach der Beweisaufnahme in der Verhandlung ihre Standpunkte vor der Jury vortragen:

Sachverständige der Kläger nach A. Firstenberg
► Igor Belyaev
► Michael Kundi
► Abraham Liboff
► Wilhelm Mosgoeller
► Dimitris Panagopoulos
► Laura Plunkett
► Christopher Portier

Sechs der sieben Kandidaten kennen wir schon von der Freye-Anhörung Jahre zuvor, bei der Dimitris Panagopoulos durchfiel. Anscheinend haben ihn die Kläger trotzdem auch als Kandidaten für die Daubert-Anhörung benannt. Gegen den Verdacht, Firstenberg wollte uns einen Bären aufbinden, spricht, dass Panagopoulos mir schon 2019 mitteilte, er sei für die erneute Anhörung, diesmal gemäß der Daubert-Kriterien, nominiert worden.

Mit Christopher Portier als einzigen Neuzugang verbreitet Firstenberg aller Voraussicht nach jedoch eine Falschmeldung. Aus Sicht der Verteidigung versuchten die Kläger Portier nachträglich als Sachverständigen zu nominieren, damit er "fatale" Schwächen in den Gutachten von Kundi und Plunkett ausbügle. Die Verteidigung wirft Kundi vor, in seiner Analyse eines Kausalzusammenhangs zwischen Krebsentstehung und EMF-Einwirkung ein ganzes Bündel wissenschaftlich bekannter Störfaktoren außer Acht gelassen zu haben: Recall-Bias, Meta-Analyse, die Qualität amtlicher Krebsregister, Dosis-Wirkung-Beziehung in der Epidemiologie, Spezifität, Selection-Bias und Confounding.

Die Rechtsbeistände der Beklagten sprachen sich erwartungsgemäß gegen Portiers Zulassung als Sachverständigen aus und begründeten dies mit Schlüsselaussagen aus Präzedenzfällen. So sei es ein Irrtum anzunehmen, die Parteien könnten vor Gericht zunächst weniger als ihre besten Sachverständigenbeweise vorlegen, in der Erwartung, dass sie eine zweite Chance erhalten, falls ihr erster Versuch scheitert. Ein Gerichtsverfahren böte keine "Generalprobe oder einen Probelauf" für die Parteien und es sei auch kein Gebot der Fairness, dass einem Kläger eine zweite Chance eingeräumt wird, andere Sachverständigengutachten einzuholen, um seine Argumente zu untermauern.

Am 21. April 2021 entschied Richter Irving, Christopher Portier als Sachverständigen der Kläger nicht zuzulassen. So berichtet es Microwave News. "Die Aussage von Dr. Portier vier Monate vor dem geplanten Beginn der Daubert-Anhörung zuzulassen würde den bestehenden Zeitplan durcheinander bringen und sich nachteilig auf den ordentlichen Verlauf und die Effizienz des Prozesses auswirken", schrieb der Richter in seiner Entscheidung.

Mit der Daubert-Anhörung im Juli 2021 wurde es dann trotz Ausschlusses von Portier nichts. Wegen erheblicher Reisebeschränkungen infolge Corona sah sich Richter Irving gezwungen, die Anhörung auf Januar 2022 zu verschieben. Doch auch dieser Termin platzte.

Schlussendlich fand die Daubert-Anhörung an zehn Tagen zwischen dem 12. September 2022 und dem 30. September 2022 tatsächlich statt. Ergebnisse wurden bislang weder vonseiten der Kläger/Beklagten noch vom Gericht bekannt gegeben. Damit ist bis auf Weiteres unklar, welche Sachverständigen von Richter Irving überhaupt befragt wurden und welche davon nach Abschluss der Befragung von ihm für tauglich befunden wurden, nach der Beweisaufnahme in der daran anschließenden Verhandlung vor Geschworenen als Zeugen der Klägerseite auftreten zu dürfen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Strategie, Motorola, Mosgöller, USA, Kommerz, Scheidsteger, Schadenersatzklage, Belyaev, Portier, Hirntumor-Klage, Murray, Liboff, Daubert, Irving


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