Immunsystem und Funkstrahlung: Buchners Verdrehungen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 02.04.2020, 16:32 (vor 1447 Tagen) @ H. Lamarr

Wie kann ein gelernter Physiker, der die letzten 30 Jahre seines Berufslebens versucht hat, Studenten Mathematik beizubringen, so etwas schreiben:

[...] Denn schon vor der Corona-Krise wurde die Wirkung von Funkstrahlung auf das Immunsystem untersucht.[1] Die Ergebnisse schienen zunächst widersprüchlich zu sein. Man fand aber bald heraus, dass sich die Widersprüche leicht erklären ließen: Kurzzeitige Bestrahlung stimuliert die Immunabwehr, längere hemmt sie dagegen. [...]

Woher weiß Buchner das, er hat doch von Immunologie keine Ahnung?

Buchner ist in Bezug auf Mobilfunk nicht klüger als ein Metzger, Bäcker oder eine Fachverkäuferin für Damen-Oberbekleidung. Auch er muss googeln, um sich schlau zu machen. Seitdem er Europaabgeordneter ist, kann er es sich auch leisten, googlen zu lassen. Und ein Treffer bei Google verrät, wo Buchner abgeschrieben hat und wie er dies getan hat. Buchners Quelle in besagtem Beispiel ist die IARC, die Krebsagentur der WHO, die in ihrer 2013 erschienenen Monografie 102 über EMF Buchner beinahe 1:1 bedient mit den Worten:

Short-term exposure to weak RF fields may temporarily stimulate certain humoral or cellular immune functions, while prolonged irradiation inhibits the same functions.

(Kurzzeitige Exposition mit schwachen HF-Feldern kann vorübergehend bestimmte humorale oder zelluläre Immunfunktionen stimulieren, während eine längere Bestrahlung die gleichen Funktionen hemmt.)

Doch Buchner hat sich nur das herausgepickt, was er zum Schüren von irrationalen Ängsten gebrauchen konnte, tatsächlich hat die IARC jedoch mehr geschrieben, was Buchner geflissentlich weglässt:

The Working Group noted that the available evidence from the numerous experimental studies in vivo that have assessed the effects of short-term and prolonged low-level exposure to RF radiation on the function and status of the immune system, clearly indicates that various shifts in the number and/or activity of immunocompetent cells can be detected. However, results have been inconsistent between experiments, despite comparable exposure conditions at similar intensities and radiation parameters. Short-term exposure to weak RF fields may temporarily stimulate certain humoral or cellular immune functions, while prolonged irradiation inhibits the same functions. The relevance of these observations to carcinogenicity was unclear.

The Working Group concluded that exposure in vitro to non-thermal intensities of RF radiation provided weak evidence for effects on immunocompetent cells.

(Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass die verfügbaren Erkenntnisse aus den zahlreichen experimentellen In-vivo-Studien, in denen die Auswirkungen kurzfristiger und längerer Exposition gegenüber HF-Strahlung auf die Funktion und den Zustand des Immunsystems bewertet wurden, eindeutig darauf hinweisen, dass verschiedene Verschiebungen in der Anzahl und/oder Aktivität immunkompetenter Zellen festgestellt werden können. Allerdings waren die Ergebnisse zwischen den Experimenten trotz vergleichbarer Expositionsbedingungen bei ähnlichen Intensitäten und Strahlungsparametern inkonsistent. Eine kurzzeitige Exposition mit schwachen HF-Feldern kann bestimmte humorale oder zelluläre Immunfunktionen vorübergehend stimulieren, während eine längere Bestrahlung dieselben Funktionen hemmt. Die Relevanz dieser Beobachtungen für die Kanzerogenität war unklar.

Die Arbeitsgruppe kam zu dem Schluss, dass die in vitro-Exposition mit nicht-thermischen Intensitäten von HF-Strahlung einen schwachen Beweis für Auswirkungen auf immunkompetente Zellen liefert.)

Buchner machte also aus einem "schwachen Beweis" für Auswirkungen von Funkstrahlung unterhalb der Grenzwerte auf das Immunsystem vorübergehend eine "erwiesene" Tatsache, bis ihm selbst diese Verdrehung zu riskant erschien und er sie deutlich abschwächte. Gut möglich, "Michael" hat ihm genug Angst davor eingejagt, öffentlich zur Rede gestellt zu werden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist Buchners ursprüngliche Quelle [2] ...

Speziell für Viren ist der Mechanismus bekannt, wie Funkstrahlung ihre Ausbreitung fördert und damit die Wirkung des Immunsystems abschwächt: Funk öffnet die Kalzium-Kanäle; dadurch wird die Replikation der Viren begünstigt. Dies wurde sogar für einen anderen Corona-Virus, einen nahen Verwandten des aktuellen Corona-Virus, experimentell bestätigt.[2]

Ich verstehe diese Passage so, Quelle [2] habe experimentell bestätigt, Funk öffne Kalziumkanäle und begünstige dadurch die Replikation von Viren.

Der Hinweis "ursprüngliche" Quelle ist notwendig, da Buchner in der geänderten Version seines Textes auch die Reihenfolge seiner Quellen verändert hat. Eine überflüssige Schickane, denn in seinem veränderten Fließtext referenziert er nicht mehr auf seine eigenen Quellen, so dass niemand mehr wissen kann, welche Behauptung er mit welcher Quelle stützen möchte. Buchner will damit mutmaßlich absichtlich eine kritische Prüfung seiner Behauptungen verunmöglichen.

Ein Blick in Buchners ursprüngliche Quelle [2] (Porcine deltacoronavirus (PDCoV) modulates calcium influx to favor viral replication; Volltext) bestätigt, dass diese Arbeit aus Wuhan, China, tatsächlich die Rolle von ionischem Kalzium (Ca2+) bei einer Coronavirusinfektion untersucht. Doch es geht dabei um die erstmals 2012 in China entdeckte Virusvariante PDCoV (Porcines Deltacoronavirus), die Schweine befällt und bei Saugferkeln schweres Erbrechen und Durchfall verursacht. Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass eine PDCoV-Infektion den intrazellulären Kalziumeinstrom hochreguliert und so die virale Replikation begünstigt. Eine Behandlung mit Ca2+-Kanalblockern hemmte die PDCoV-Infektion signifikant.

Doch wo bleibt bei dieser Story aus China der Funk, der angeblich die Kalziumkanäle öffent? Funk wurde von Buchner schlicht hinzu erfunden, in der Studie wird mit keiner Silbe auf Funkwellen eingegangen.

Und kann ein Virus, das bislang nachweislich nur Schweine befällt, überhaupt für Menschen gefährlich werden? Darüber gibt ein Artikel aus dem Jahr 2018 auf scinexx.de Auskunft:

[...] „Damit wissen wir nun, dass dieses neue Virus auch in die Zellen des Menschen eindringen kann“, so der Forscher. Das PDCo-Virus habe definitiv das Potenzial für einen Erreger, der zahlreiche verschiedene Wirte befallen kann.
[...]
Noch allerdings ist unklar, wie erfolgreich das Schweinevirus bei einer Infektion des Menschen wäre. „Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob sich dieses Virus in den menschlichen Zellen auch vermehren kann und ob es Menschen und andere Tiere krankmachen kann“, sagt Kenney. Bisher sind nach Angaben der Wissenschaftler noch keine Fälle einer Infektion beim Menschen mit dem Porcinen Deltacoronavirus bekannt. [...]

Jüngere Google-Treffer zu PDCoV vertiefen obigen Wissensstand gegenwärtig nicht nennenswert.

Fazit: Prof. Klaus Buchner ist ein Populist wie aus dem Lehrbuch. Er zitiert den wissenschaftlichen Kenntnisstand gezielt so lückenhaft, dass er mit seinen Bruchstücken irrationale Ängste gegenüber Funk wecken oder schüren kann. Buchner beherrscht die infame Kunst, das Puzzle einer friedlichen Sommerlandschaft zu zerlegen und aus einer Teilmenge des Puzzles das Bild einer düsteren lebensfeindlichen Wüste zu formen. Seine Partei, deren Mäzen er ist, duldet dies offensichtlich widerspruchslos. Für mich ist das der eigentliche Skandal der Causa Buchner.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
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