Kargo-Kult-Wissenschaft: Beispiel Gabriel-Chip (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 27.04.2018, 18:31 (vor 2412 Tagen) @ H. Lamarr

Der Gabriel-Chip (ab 35 Euro) ist ein Aufkleber, der, auf den Akku von Mobiltelefonen geklebt, bestimmte Belastungen und damit auch mögliche gesundheitliche Risiken reduzieren soll. So verspricht es der Hersteller. Zugleich räumt der Hersteller auf seiner Website jedoch ein:

Beim der Gabriel-Chip handelt es sich weder um ein Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz noch um ein Medizinprodukt nach dem Medizinproduktegesetz. Weder das Wirkprinzip, noch die Herstellungstechnologie noch eine positive Wirkung auf das gesundheitliche Wohlbefinden sind bisher allgemein wissenschaftlich anerkannt.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Chip ist auf Psiram zu finden.

Von aller Kritik unbeirrt versucht der Hersteller seinen Chip weiter zu vermarkten, er bedient sich dazu des bewährten Mittels "wissenschaftlicher" Studien. Zu diesem Mittel soll die Firma Gabriel-Tech bereits mehrfach gegriffen haben, zuletzt wurde nun am 4. April 2018 eine neue Studie von Autoren der Unis Mainz und Göttingen veröffentlicht (eingereicht am 8. September 2017):

Ohne Gabriel-Chip oder mit nur einer Imitation des Chips in einem Mobiltelefon (iPhone) haben drei deutsche Wissenschaftler beträchtliche Auswirkungen der elektromagnetischen Felder des Telefons auf das EEG von Probanden beobachtet. Anders verhielt es sich, wenn auf den Mobiltelefonen ein Original-Gabriel-Chip klebte: Dann waren die Auswirkungen der Funkfelder auf das EEG signifikant schwächer. So berichten es Diana Henz, Wolfgang I. Schöllhorn und Burkhard Poeggeler in ihrer Studie "Mobile Phone Chips Reduce Increases in EEG Brain Activity Induced by Mobile Phone-Emitted Electromagnetic Fields", die in Frontiers in Neuroscience veröffentlicht wurde (Volltext).

Die Studie wurde von der Stiftung für Gesundheit und Umwelt (SfGU), Berlingen (Schweiz) in Auftrag gegeben und die drei Autoren weisen jeglichen Interessenkonflikt kommerzieller oder finanzieller Art weit von sich. Doch da gibt es bei mir Zweifel, denn am 28. Oktober 2017 brachte RTL in der Boulevardsendung "Explosiv" einen Bericht über Elektrosmog im Auto. In diesem Bericht sind die beiden Autoren Diana Henz sowie Wolfgang I. Schöllhorn zu sehen – und ein Mitarbeiter (Harry Roos) der Firma Gabriel Tech. Der TV-Bericht (Dauer ca. 10 Minuten) sorgte seinerzeit in der Szene für Aufregung und Begeisterung, wurde von RTL zwischenzeitlich jedoch vom Netz genommen. Heute noch zu sehen ist lediglich eine 5 Minuten dauernde Kurzfassung, in der von Gabriel-Tech jede Spur fehlt.

Die neue Studie zeigt die typischen Merkmale wissenschaftlicher Studien, etwa umfassende Verweise auf andere Literatur. Und doch ist diese Auftragsarbeit schon wegen ihrer Begleitumstände wissenschaftlich wertlos, ich bin sicher, keine seriöse Studienreview weltweit wird sie bei der EMF-Risikobewertung berücksichtigen. Nur einer wird sie gerne nutzen, für schnöde Werbung nämlich, die Firma Gabriel-Tech in Kelkheim, 35 Autominuten von der Uni Mainz entfernt. Welche Rolle der TV-Programmanbieter RTL in dieser zwielichtigen Geschichte spielte, das werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Möglicherweise überblickte der Sender seine Rolle gar nicht, ähnlich wie einfältige Mobilfunkgegner, die unentgeltlich für die Verbreitung der ursprünglich im TV-Beitrag enthaltenen werblichen Botschaften zugunsten der Firma Gabriel-Tech sorgten.

Auch der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk zählte zu den einfältigen Mobilfunkgegnern, die den RTL-Bericht unverzüglich in der werblichen Langfassung völlig unkritisch verbreiteten. Erst rund 1 Monat später (Ende November 2017) hatten sogar die Diagnose-Funker begriffen, dass sie für dumm verkauft worden sind und sie ersetzten ihren Hofbericht gegen die Zerknirschtheit, die man noch heute auf der Website des Vereins vorfindet. Der Rest der vom Schicksal geschlagenen Textlücke wurde von dem Verein mit viel BlaBla aufgefüllt, das mit dem ursprünglichen Thema der Seite nicht das geringste zu tun hat.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Pseudowissenschaft, Gabriel-Chip, Henz, Schöllhorn, SfGU, Kargo-Kult-Wissenschaft


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