Diagnose-Funk: Das Märchen von der "Scoping"-Review (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 05.07.2022, 13:31 (vor 679 Tagen) @ KlaKla

Die "EU-Studie" ist eigenen Angaben zufolge keine systematische Review, sondern eine narrative, also eine subjektive Review ohne nennenswerten wissenschaftlichen Neuheitenwert.

Das sieht Diagnose-Funk anders, sie behauten es sei eine "Scoping Review"!
... Grundsätzlich hat ein narrativer Review die geringste Aussagekraft, da er mit einer breiten Fragestellung angelegt sein kann und keine vordefinierten Auswahl- und Auswertungskriterien befolgen muss. Ein Scoping Review hat schon viel mehr wissenschaftliche Aussagekraft und steht dem systematischen Review sehr nahe. Quelle: Kompakt 2022/2 Seite 31

Um einem Sucherei zu ersparen, hättest du deiner Quelle einen Link hinterlegen können :-(.

In dem 5-seitigen PDF behaupten die Stuttgarter Blähboys nach wortreicher Herleitung selbstsicher:

Fakt ist: Die STOA-Studie ist von ihrer Methodik her ein Scoping Review (kein narrativer Review). Sie ist eine fundierte, wichtige Studie. Für Politikerinnen und Politiker ist sie Basis für verantwortliches Handeln.

Was eine Scoping-Review überhaupt ist, das kann man hier nachlesen.

Und wie immer ist es ergiebig, fühlt man Diagnose-Funk auf den Zahn, indem man sich nicht auf die Bekundungen des Vereins verlässt, sondern selbst recherchiert. Im konkreten Fall ist dies die Sichtung der Belpoggi-Review, was nach 30 Sekunden zu dem Ergebnis führte:

Stimmt, die Belpoggi-Review ist nach Angaben der Autorin keine narrative Review, jedoch ebenso wenig eine Scoping-Review, wie es Diagnose-Funk einem weismachen möchte!

Richtig ist, das Paper ist beides, sowohl eine narrative Review als auch eine Scoping-Review. Die folgende Textpassage aus dem Abschnitt "2. Methodology" löst den vermeintlichen Widerspruch auf (hier in deutscher Übersetzung):

1) Studien zur Bewertung der gesundheitlichen Auswirkungen von HF im unteren Frequenzbereich (FR) (FR1: 450 bis 6 000 MHz), zu dem auch die Frequenzen gehören, die in den bestehenden 2-4 Generationen der zellulären Breitbandnetze verwendet werden. Die aktuellen Erkenntnisse aus den 2G-4G-Studien sind gegenwärtig das Beste, was zur Auswertung verfügbar ist. Diese Studien wurden mit narrativen Methoden ausgewertet;

2) Studien zur Bewertung der gesundheitlichen Auswirkungen von HF im oberen Frequenzbereich (FR2: 24 bis 100 GHz - Millimeterwellen). Die höheren Frequenzen sind neu, wurden bisher nicht für die mobile Kommunikation verwendet und sind spezifisch für die neue 5G-Technologie, die besondere physikalische Eigenschaften und Wechselwirkungen mit biologischer Materie aufweist (geringere Durchdringung, höhere Energie usw.): Sie wurden gesondert mit einer Scoping-Review-Methode betrachtet.

Die narrative Review (FR1) wird von der Scoping-Review (FR2) unterschieden, die Auswahl- und Bewertungskriterien, die für die Scoping-Review angegeben sind, wurden für beide Recherchen und für die Aufnahme/den Ausschluss von Studien zu den biologischen Endpunkten Krebs und Fortpflanzung/Entwicklung übernommen.

Die Belpoggi-Review ist demnach eine narrative Review, in welcher die Autorin Elemente einer Scoping-Review eingewoben hat. Warum auch nicht, möglicherweise wurde dies in der Ausschreibung des Review-Projekts durch den Auftraggeber so vorgegeben. Prüfen lässt sich dies nicht, da Stoa mir den angefragten Text der Ausschreibung hartnäckig vorenthält.

Ob es überhaupt eine öffentliche Ausschreibung der Review durch Stoa gab, stellt die folgende Textpassage aus Belpoggis Paper allerdings infrage. Der Text (im Original zu finden auf PDF-Seite 44 der Review) erweckt den fatalen Eindruck, Stoa beauftragte Belpoggi ohne Ausschreibung direkt. Das wäre ein dicker Hund :surprised::

[...] STOA bat die Autorin, die verfügbaren Informationen über die Auswirkungen von 5G-Frequenzen auf die Gesundheit zu sammeln. Ursprünglich sollten die Kriterien einer systematischen Übersichtsarbeit befolgt werden, aber wir stellten bald fest, dass es ausreichend viele Studien zu Millimeterwellen für die relevanten Endpunkte nicht gibt. Wir einigten uns daher darauf, eine narrative Review über den unteren Frequenzbereich (FR1) anzufertigen, der bereits von maßgeblichen Arbeitsgruppen zumindest im Hinblick auf krebserregende Wirkungen bis 2011 bewertet wurde, und eine Scoping-Review über Millimeterwellen (FR2) durchzuführen, was, wie erwartet zu brauchbaren Ergebnissen führte. [...]

Das Gerede, mit dem Diagnose-Funk in seinem PDF Aussagen des SPD-Politikers Matthias Bartke, die er auf der Website abgeordnetenwatch.de machte, wortreich widerlegen möchte, dient mMn vorrangig dem Zweck, davon abzulenken, dass die Belpoggi-Review eben keine systematische Review ist. Eine solche wäre meiner Einschätzung nach für den gegenwärtig wichtigen unteren Frequenzbereich FR1 methodisch durchaus möglich gewesen. Warum Stoa stattdessen eine wissenschaftlich geringerwertige Kreuzung aus narrativer und scopischer Review akzeptierte, erschließt sich mir nicht.

Um den eigentlichen Knackpunkt, dass nämlich Belpoggi seit rd. 20 Jahren bekennende Mobilfunkkritikerin ist und deshalb von Stoa wegen des Verdachts auf Voreingenommenheit nicht mit der Review hätte beauftragt werden dürfen, macht Diagnose-Funk einen großen Bogen. Dieses heiße Eisen schmiede ich gegen den Widerstand von Stoa noch immer, wegen anderer Verpflichtungen komme ich jedoch nur langsam voran. Aktueller Stand ist: Stoa mauert was das Zeug hält, auch was die mutmaßliche Urheberrechtsverletzung durch Diagnose-Funk angeht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Diagnose-Funk, Kinderpost, Befangen, Kompakt, Urheberrechtsverletzung, Belpoggi, Millimeterwellen, Blähboy, SUPER-WIR, narrative Review, Märchenstunde, Ehler, STOA-Kampagne, Auftragsvergabe, Scoping


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