5G-Strahlung verursacht Symptome des Mikrowellensyndroms (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 20.03.2022, 18:30 (vor 768 Tagen)

Erfüllt eine Studie die Erwartungshaltung von Mobilfunkgegnern, wird sie in der Szene ohne Wenn & Aber verwurstet. So geschehen soeben im Gigaherz-Forum. Die "elektrosensible" Vorständin Elisabeth Buchs präsentiert dort eine "Studie" von Lennart Hardell und Mona Nilsson so, als würde es sich um eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Arbeit handeln.

Zur Ehrenrettung von Frau Buchs ist anzumerken, dass sie selbst nicht allzu viel Mühe in ihr Posting gesteckt hat, sondern sich mit Copy-Paste begnügte. Abgegriffen hat sie den Text bei dem schrägen Schweizer Portal uncut-news.ch, das behauptet "unabhängige News und Infos" zu verbreiten. Die "Ungeschnittenen" sind jedoch nicht die Primärquelle, sondern haben den deutschen Text von "Children's Health Defense" übernommen, das ist die Organisation des US-Verschwörungsfans und Impfgegners Robert F. Kennedy junior. Diese wiederum hat sich in englisch bei "The Defender" bedient, das ist die Newssite von Children's Health Defense. Doch auch dort findet sich nur eine Interpretation des Originals, das schlussendlich in Ausgabe 1/2022 des schwedischen Magazins Medicinsk Access (PDF, 2 Seiten, schwedisch) veröffentlicht wurde. Wie es von dort in The Defender gefunden hat ist rätselhaft.

Wenn Lennart Hardell als Autor genannt wird, darf angenommen werden, Medicinsk Access sei ein wissenschaftliches Fachjournal. Ein Trugschluss. Das Magazin ist eine Publikumszeitschrift in Stil der deutschen Apotheken Umschau. Und weil es so ist wie es ist, fehlt das Magazin im Bestand von PubMed, was bedeutet, dass Lennart Hardell und seine Co-Autorin Mona Nilsson ihre Fallstudie zwar Laien präsentieren, Wissenschaftlern aber vorenthalten. Aus gutem Grund, wie wir gleich sehen werden.

Was Hardell und Nilsson ihren Lesern auf zwei Druckseiten servieren, lässt sich anhand der Übersetzung des Titels, Vorspanns und Textbeginns grob abschätzen:

Die Mikrowellenstrahlung von Basisstationen auf Dächern führt zu medizinischen Symptomen, die dem Mikrowellensyndrom entsprechen

Diese Fallstudie zeigt, dass eine 5G-Basisstation auf dem Dach eines Wohnhauses eine erhebliche Zunahme der Mikrowellenstrahlung verursacht. Infolgedessen entwickelten zwei Bewohner des Hauses innerhalb weniger Tage deutliche Symptome des Mikrowellensyndroms. Als sie in eine Unterkunft mit viel geringerer Strahlung umzogen, gingen die Symptome schnell zurück oder verschwanden. Die Studie zeigt auch, dass Strahlung, die weit unter den behördlich erlaubten Werten liegt, krank macht.

Das Mikrowellensyndrom wurde erstmals in den 1970er Jahren im ehemaligen Sowjetblock beschrieben. Wissenschaftler, die wissenschaftliche Studien zur berufsbedingten Mikrowellenbelastung durchgeführt haben, beschrieben Symptome wie Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Diese Symptome wurden mit der Exposition gegenüber Funkwellen oder Mikrowellen in Verbindung gebracht. Es wurde festgestellt, dass die Symptome im Allgemeinen nachließen, wenn die Exposition beendet wurde. [...]

Die Fallanzahl Zwei (Kontrollen gab es nicht) dürfte ganz unabhängig von der übrigen Qualität der "Studie" schon der plausible Grund dafür sein, warum das Autorenduo einen Bogen um die wissenschaftliche Veröffentlichung ihrer "Studie" machte. Eigentümlich auch, dass die Basisstation auf dem Dach eines Wohnhauses gestanden haben soll. Dort befinden sich üblicherweise nur die Antennen, die über Koaxkabel mit der Basisstation im Keller verbunden sind. Völlig ausgeschlossen ist die Darstellung der Autoren allerdings nicht.

Geradezu enttäuschend muss für die deutsche Anti-Mobilfunk-Szene der Textbeginn sein, der die Entdeckung des "Mikrowellensyndroms" Sowjet-Wissenschaftlern in den 1970er Jahren zuschreibt. Dies zeigt: Die langjährigen Bemühungen hiesiger Mobilfunkgegner, als Entdecker den deutschen Arzt Erwin Schliephake ins kollektive Gedächtnis der Szene einzubrennen, scheitern bereits an den Wänden der Echokammern, in denen sie sitzen.

Tiefer in die Hardell-Nilsson-Studie einzusteigen lohnt sich mMn nicht, dazu mangelt es der Studie, die keine ist, an Substanz. Spannend könnte lediglich sein zu beobachten, welche Mobilfunkgegner sich blenden lassen und versuchen, aus der Arbeit Kapital zu schlagen. Sie müssen sich meiner Einschätzung nach den Vorwurf gefallen lassen, zu den anspruchslosesten oder dümmsten Teilnehmern der Anti-Mobilfunk-Szene zu gehören.

Lennart Hardell sägt mit Veröffentlichungen wie der jetzigen an seinem Ruf als seriöser Wissenschaftler. Der Schwede ist inzwischen allerdings im Ruhestand, er hat nicht mehr viel zu verlieren.

Dass die Betroffenen, ein älteres Ehepaar, beide gleichzeitig reagieren und über selbstdiagnostizierte medizinisch nicht abgeklärte Symptome berichten, ist kein Zufall. Die Wissenschaft erkennt in solchen Verkettungen Elektrosensibilität by Proxy, d.h. ein Betroffener steckt den anderen an, anschließend schaukeln sie sich gegenseitig auf.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Verschwörung, Copy-Paste, Hardell, Mikrowellensyndrom, Schliephake, Klüngel, Ruhestand, Nilsson, Impfgegner, Kennedy, Children's Health Defense, De-Exposition


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