Karel Marha vs. Lennart Hardell: Die Dosis macht das Gift (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 21.03.2022, 22:58 (vor 794 Tagen) @ H. Lamarr

Das Mikrowellensyndrom wurde erstmals in den 1970er Jahren im ehemaligen Sowjetblock beschrieben. Wissenschaftler, die wissenschaftliche Studien zur berufsbedingten Mikrowellenbelastung durchgeführt haben, beschrieben Symptome wie Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Diese Symptome wurden mit der Exposition gegenüber Funkwellen oder Mikrowellen in Verbindung gebracht. Es wurde festgestellt, dass die Symptome im Allgemeinen nachließen, wenn die Exposition beendet wurde. [...]

Die Quelle für die oben zitierte Passage aus der Hardell/Nilsson-"Studie" ist: Marha K, Musil J, Tuhá H. Electromagnetic Fields and the Life Environment. San Francisco Press Inc. 1971.

Diese Quelle ist ein Buch mit 140 Seiten Umfang, das zuerst im Januar 1968 auf tschechisch erschien und 1971 auf englisch. Hardell müsste seine Datumsangabe also schon mal auf die 1960er Jahre berichtigen.

Was Hardell verschweigt: Die damalige Tschechoslowakei nahm hinsichtlich der EMF-Grenzwerte in den Warschauer-Pakt-Staaten eine Sonderstellung ein. In dem Land galt für Frequenzen > 300 MHz bei gepulsten Signalen eine maximale Tagesdosis von 240 mWh/m² als unbedenklich. Die Tagesdosis ist so zu verstehen, dass 24 Stunden lang maximal 10 mW/m² ständig einwirken durften, oder 12 Stunden lang maximal 20 mW/m² usw. Da an Hardells Extrem-Messpunkt mit der sehr hohen Immissionsspitze seinen Angaben zufolge durchschnittlich 5 mW/m² bis 20 mW/m² gemessen wurden, resultiert aus diesen Werten eine mittlere Tagesdosis von 300 mWh/m² am Extrem-Messpunkt. Hardells Entdecker des Mikrowellensyndroms (Karel Marha) wäre bei diesem Wert, auch in Anbetracht der fragwürdigen Art und Weise wie Hardell die Messung durchführte, wahrscheinlich zu einer weitaus unaufgeregteren Bewertung gekommen als jetzt Hardell :-). Im Grunde haben die Tschechoslowaken bereits damals mit ihrer Tagesdosisregelung die 5G-Sendeleistungsbegrenzung vorweggenommen, die heute in der Schweiz für adaptive Antennen praktiziert wird.

Wer sich jetzt fragt, wie zum Teufel ich auf eine maximal zulässige Tagesdosis von 240 mWh/m² gekommen bin – hier ist die Lösung:

Charles Süsskind, Electronics Research Laboratory, University of California Berkeley, hat die englische Ausgabe von Marhas Buch gelesen und im Februar 1971 folgende Rezension publiziert (Original):

Auf dem von der USPHS [United States Public Health Service Commissioned Corps] gesponserten Symposium über die biologischen Wirkungen und gesundheitlichen Auswirkungen von Mikrowellenstrahlung, das 1969 in Richmond, Virginia, stattfand, erregte der Vortrag von Karel Marha, Leiter der Hochfrequenzabteilung des Instituts für Industriehygiene und Berufskrankheiten in Prag, das größte Interesse. Er befasste sich mit den Höchstwerten für nichtionisierende Strahlung, die in der Tschechoslowakei zulässig sind, einem Land, das versucht hat, die Lücke zwischen dem amerikanischen Standard von 10 mW/cm² und dem viel strengeren sowjetischen Standard zu schließen. Die tschechoslowakischen Standards werden als maximal zulässige Tagesdosis angegeben, und zwar als Produkt aus Feldstärke (in Volt/Meter) und Zeit (in Stunden) unter 300 MHz und als Produkt aus Leistungsdichte (in Mikrowatt pro Quadratzentimeter) und Zeit (in Stunden) über 300 MHz. (Die Werte: über 300 MHz CW [ungepulst], 200 für das Bedienungspersonal und 60 für die Öffentlichkeit; durchschnittlich gepulst, 80 für das Bedienungspersonal und 24 für die Öffentlichkeit; unter 300 MHz, 80 für das Bedienungspersonal und 24 für die Öffentlichkeit; und unter 30 MHz, 400 für das Bedienungspersonal und 120 für die Öffentlichkeit).

Die Gründe für diesen Ansatz, erklärte Dr. Marha, wurden in dem Buch dargelegt, das er kürzlich mit zwei Kollegen fertiggestellt hatte. Dieses Buch wurde jetzt übersetzt und von einem amerikanischen Verlag herausgebracht, zusammen mit einem sehr praktischen Anhang, den neuesten Regierungsrichtlinien für die Durchführung von Feldmessungen und die Einhaltung der gerade genannten Standards. Aber das Buch enthält noch viel mehr. Es enthält einen einleitenden Abschnitt über das elektromagnetische Feld als Faktor in der physikalischen Umwelt, zwei Kapitel über die Auswirkungen auf lebendes Gewebe und den menschlichen Organismus, ein faszinierendes Kapitel über die technische Nutzung von Mikrowellen in der Tschechoslowakei (mit Fotos und Zeichnungen von Geräten) sowie Anleitungen für die Durchführung von Messungen, die Überwachung von Arbeitsplätzen und die Beherrschung potenziell gefährlicher Situationen durch administrative Maßnahmen.

Besonders nützlich ist die objektive Behandlung der gegensätzlichen Standpunkte der USA und der Sowjetunion, etwas, was in den bisher in den beiden Ländern veröffentlichten Reviews, einschließlich des in dieser Ausgabe rezensierten russischen Buches, schmerzlich vermisst wurde. Die äußerst umsichtigen Tschechen haben es geschafft, sich in einem der Extremfälle an die strengen sowjetischen Standards zu halten (für eine kontinuierliche Bestrahlung von 24 Stunden pro Tag sind die Standards identisch), was sie auch tun müssen, um die Kompatibilität zwischen den Militäreinrichtungen des Warschauer Paktes aufrechtzuerhalten, aber für kurzfristige Bestrahlungen wurden die Standards auf die US-Werte gelockert. Man kann nur hoffen, dass die Kommission, die derzeit die US-Standards reviewt, sich bei den Tschechen erkundigt.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Hardell, Alter Wein, Nilsson, Marha, Richmond, Galionsfigur


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