BfS beantwortet Fragen zu Athem 3: Teil 2 – Antworten (Forschung)

H. Lamarr @, München, Samstag, 28.09.2024, 23:28 (vor 55 Tagen) @ H. Lamarr

Im Namen des Bundesamts für Strahlenschutz antwortete Janine Schmidt, wissenschaftliche Referentin am Kompetenzzentrum EMF. Schmidt studierte Biologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Das Studium schloss sie 2017 mit dem Doktorgrad ab. Bevor sie 2017 zum BfS ging, war sie einige Monate Postdoc am Universitätsklinikum Tübingen.

Zur besseren Zuordnung sind anschließend den Antworten des BfS die Fragen (aus Teil 1) im Zitatformat des Forums vorangestellt.

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Mein Auskunftsersuchen an das BfS gilt jedoch nicht einer Bestätigung der methodischen Mängel, sondern dem Zusammenhang mit ionisierender Strahlung, den die "Kompetenzinitiative" z.B. mit folgendem Zitat herstellt (Quelle):

[...] Im Zusammenhang mit dem Schutz vor ionisierender Strahlung sind Chromosomenschäden die Grundlage biologischer Dosimetrie-Konzepte der Internationalen Atom Energie Behörde (IAEA). Die in ATHEM-3 gefundenen Chromosomenschäden übersteigen die biologischen Grenzwerte der IAEA um ein Mehrfaches. [...]

Die obige Aussage, dass die in der Studie von Gulati et al. (ATHEM-3) [1] beschriebenen Chromosomenschäden die biologischen Grenzwerte der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) um ein Mehrfaches übersteigen, ist irreführend und fachlich nicht zulässig. Es ist unklar, was mit „biologischen Grenzwerten“ gemeint ist. Die IAEA hat den Grenzwert für die effektive Dosis von 1 Millisievert im Kalenderjahr zum Schutz von Einzelpersonen der Bevölkerung festgesetzt. Auf diesen Wert beziehen sich auch die Autor*innen der ATHEM-3 Studie. Um den Vergleich zur ionisierenden Strahlung herzustellen, haben die Autor*innen der Studie dabei die Anzahl der detektierten dizentrischen Chromosomen mittels einer nicht weiter spezifizierten Gleichung aus einem von der IAEA publizierten Dokument [2] in eine Dosis umgerechnet. Dabei ist zu beachten, dass das IAEA-Dokument erstellt wurde, um bei einer unfallbedingten Exposition / vermuteten Überexposition mit ionisierender Strahlung Informationen zu geeigneten zytogenetischen Techniken und statistischen Verfahren zur Bestimmung der Dosis zur Verfügung zu stellen. Die Verwendung der darin beschriebenen Verfahren bei einer Exposition mit HF-EMF würde die gleiche biologische Wirksamkeit von ionisierender Strahlung und nichtionisierender Strahlung voraussetzen. Diese ist aber nicht gegeben, worauf die Studienautor*innen selbst in ihrer Diskussion hinweisen.

Wo genau die Probanden der Studie leben, darüber schweigt die Studie. Bekannt ist lediglich, dass sie in Unterfranken leben. Gemäß Radonkarte des BfS kann es in Unterfranken jedoch stellenweise zu Radonkonzentrationen von 100'000.Bq/m³ und mehr kommen. Mein Auskunftersuchen gilt damit primär der Frage, ob es nach Einschätzung des BfS denkbar ist, dass die in der Studie beobachteten Chromosomenschäden (statistisch signifikant waren dizentrische Chromosomen, Chromatidlücken und Chromosomenfragmentierung, siehe Tabelle 4 der Studie) real sind, jedoch kausal nicht auf der Mobilfunkexposition beruhen, sondern unerkannt auf einer bei der Fallgruppe zufällig gegeben hohen Radonkonzentration.

Es ist zu beachten, dass in der Studie von Gulati et al. [1] nach Bonferroni-Korrektur für multiples Testen ausschließlich die Ergebnisse für prozentuale chromosomale Fragmente und für die prozentuale Gesamtzahl der Aberrationen statistisch signifikant unterschiedlich zur Kontrolle sind. Dabei wird der beobachtete Unterschied in der Gesamtzahl der Aberrationen hauptsächlich durch sogenannte „Fragmente“ und „Chromatid gaps“ beeinflusst, da diese in der Studie am häufigsten vorkommen. Die Anzahl der dizentrischen Chromosomen, die hauptsächlich diskutiert wird, und die Anzahl der Chromatidlücken sind zwischen Kontroll- und Expositionsgruppe nach Bonferroni-Korrektur allerdings nicht mehr statistisch signifikant verschieden. Diese Beobachtung wird in der Studie nicht kritisch diskutiert.

Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhöhte Radonkonzentration in Wohnräumen eine möglicherweise erhöhte Rate von dizentrischen Chromosomen verursachen kann. Die publizierten Ergebnisse zytogenetischer Untersuchungen an exponierten Personen mit erhöhten Radonkonzentrationen in Wohnräumen sind allerdings widersprüchlich.

1. Beschreibt Wilhelm Mosgöller nach Einschätzung des BfS in seinem obigen Zitat [siehe dazu Teil 1 – Fragen; Anm. Postingautor] den allgemein anerkannten Stand des Wissens in der Strahlenforschung oder äußert er seine persönliche Meinung, die möglicherweise eine Minderheitenmeinung ist?

Nein, die oben zitierten Äußerungen geben nicht den Stand der Forschung zu HF-EMF wieder. Das eine Exposition gegenüber HF-EMF unterhalb der gültigen Grenzwerte nachweislich zur Entstehung reaktiver Sauerstoffspezies, kurz ROS, führt, lässt sich aus der aktuellen Studienlage nicht ableiten, siehe z.B. [3, 4, 5]. Es ist kein wissenschaftlich allgemein anerkannter biophysikalischer Mechanismus bekannt, der einer möglichen Erzeugung von ROS durch HF-EMF zugrunde liegen würde.

2. Zur Auswertung in einem Labor wurden die Blutproben der Probanden in einer 6-stündigen Autobahnfahrt nach Bratislava gebracht. An Autobahnen stehen bekanntlich besonders viele Mobilfunksendemasten (siehe dazu auch hier). Hält das BfS es für möglich, dass die HF-EMF-Exposition der passierten Funkmasten in Summe sich auf die Proben auswirkte und z.B. die beobachteten Chromosomenschäden erst bewirkte? (Hinweis: Dass dann auch die Proben der Kontrollgruppe betroffen wären, ist mir klar).

Zu den Details des in der Studie vorgenommenen Transports können wir uns nicht äußern. Im Rahmen
des europäischen Netzwerkes für biologische Dosimetrie (RENEB) werden aber regelmäßig internationale Ringversuche durchgeführt. Dabei werden Blutproben ex vivo mit ionisierender Strahlung und definierten Referenzdosen bestrahlt und anschließend an die teilnehmenden Speziallabore versendet. Im Rahmen dieser Ringversuche wurde bisher kein Einfluss des Transportes auf die Anzahl der dizentrischen Chromosomen festgestellt.

3. Dem www zufolge beobachtet das BfS seit 1982 Chromosomenschäden in der Bevölkerung im Rahmen der biologischen Dosimetrie. Ließe sich in dem Datenbestand durch eine Big-Data-Auswertung ein Zusammenhang (Anstieg der Schäden) mit der Einführung des digitalen Massenfunks ab 1994 erkennen?

Die biologische Dosimetrie ist eine international anerkannte Nachweismethode, mit der eine vermutete oder tatsächlich erfolgte übermäßige Strahlenexposition durch ionisierende Strahlung anhand biologischer Marker im Blut nachgewiesen und gegebenenfalls quantifiziert werden kann, indem eine Dosis abgeschätzt wird. Die Untersuchung erfolgt dabei ausschließlich, wenn eine Chromosomenanalyse mit dem Ziel einer Dosisabschätzung unter den gegebenen Bedingungen fachlich angebracht ist. Aufgrund dieser Voraussetzung ist eine Auswertung in Hinblick auf die Einführung des digitalen Massenfunks [sic] statistisch nicht möglich und nicht sinnvoll.

4. Unter der Annahme, dass auch NIR zu Chromosomenschäden führt, gäbe es dann nach Kenntnis des BfS irgendeinen Indikator in der biologischen Dosimetrie, um Schäden infolge IR-Exposition von Schäden infolge NIR-Exposition zuverlässig unterscheiden zu können?

Da nach aktuellem Kenntnisstand nichtionisierende Strahlung (NIR) keine Chromosomenschäden hervorrufen kann, ist die Bestimmung eines Indikators zur Unterscheidung der durch NIR- bzw. ionisierende Strahlung (IR) hervorgerufenen Schäden nicht möglich.

Unter der Annahme, dass auch NIR zu Chromosomenschäden führen könnte, müsste zunächst der zugrundeliegende biophysikalische und biochemische Mechanismus bestimmt werden. Auch die Art der Schädigung müsste genau charakterisiert werden. Erst dann könnte die Frage, ob solche Schäden mit molekulargenetischen oder zytogenetischen Methoden von Schäden durch ionisierende Strahlung unterschieden werden können, überhaupt beantwortet werden.

Referenzen

[1] Gulati et al. (2024). Evaluation of oxidative stress and genetic instability among residents near mobile phone base stations in Germany. Ecotoxicology and Environmental Safety, 279, 116486.
[2] World Health Organization. (2011). Cytogenetic dosimetry: applications in preparedness for and response to radiation emergencies (No. EPR-BIODOSIMETRY--2011). International Atomic Energy Agency.
[3] Meyer et al. (2024) "The effects of radiofrequency electromagnetic field exposure on biomarkers of oxidative stress in vivo and in vitro: A systematic review of experimental studies." Environment International, 108940.
[4] SCHEER (Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks), Preliminary Opinion on the need of a revision of the annexes in Council Recommendation 1999/519/EC and Directive 2013/35/EU, in view of the latest scientific evidence available with regard to radiofrequency (100kHz - 300GHz), adopted by written procedure on 18 April 2023
[5] Strahlenschutzkommission (SSK). Elektromagnetische Felder des Mobilfunks im Zuge des aktuellen 5G-Netzausbaus. Technische Aspekte und biologische Wirkungen im unteren Frequenzbereich (FR1, bis ca. 7 GHz), Stellungnahme der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 317. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 09./10. Dezember 2021.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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