SaferPhone-Initiative versteigt sich mit Santini-Studie (II) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 02.12.2020, 00:55 (vor 1452 Tagen) @ H. Lamarr

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Wer sich die Mühe macht, einen Blick in die verlinkten beiden Sendemastenstudien von Santini zu wagen, der wird die Grafik der SaferPhone-Initiative dort nicht finden. Da die Initiative Laien ansprechen will, wurden die dürren Originaldaten der Tabelle 1 in die anschaulichere Form der Grafik gebracht. Doch dabei hat der Grafiker eine Fünf gerade sein lassen.

Zeigt die Tabelle noch je zwei Spalten für "häufig" und "sehr häufig" genannte Symptome, listigerweise hat Santini dort die Spalten für "nie" und "manchmal" genannte Symptome kurzerhand weggelassen damit Betrachter nicht auf unerwünschte Gedanken kommen, zeigt die Grafik nur die Werte einer der beiden Spalten, – nun raten Sie mal welche – richtig, es ist Spalte "sehr häufig". Zudem gaukelt die Grafik einen kontinuierlichen Abstandsverlauf vor, denn Santini arbeitete mit nur sechs Entfernungsbereichen von <10 Meter bis >300 Meter. Daraus hätte in der Grafik ein rechteckförmiger Kurvenverlauf resultiert, der dem Grafiker aber wohl nicht plakativ genug war. So treten in der Grafik fälschlich die häufigsten Symptome dann auf, sitzt eine Person auf den Antennen eines Funkmasten (Abstand: 0 Meter), was biologisch schlüssig, in der Praxis aber äußerst unbequem ist.

Wissenschaftliche Kritiken an Santinis Sendemastenstudien

Kommen wir nun zum Kern der Sache, und das ist im konkreten Fall die vernichtende Kritik der Wissenschaft an Santinis Sendemastenstudie. Dass die SaferPhone-Initiative ihre Grafik trotz dieser Kritik auf der Website hat zeugt von einem unbändig starken Willen der 5G-Gegner zur Manipulation der Bevölkerung. Und sollte dies wider Erwarten nicht zutreffen, so zeugt die Grafik von einer bodenlosen Ahnungslosigkeit, die massive Zweifel an der fachlichen Qualifikation des Initiativkomitees rechtfertigt. Ob es außer den folgenden drei deutschsprachigen Studienkritiken noch weitere in Fremdsprachen gibt habe ich nicht geprüft.

Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal), Schweiz, 2003

SANTINI et al. 2002 publizierten eine Studie, die die Häufigkeit von unspezifischen Gesundheitssymptomen in Abhängigkeit von der Distanz zwischen Wohnort und Mobilfunkbasisstationen untersuchte. Dabei wurden 530 Fragebogen analysiert, mit denen Angaben zum Schweregrad und zur Auftretenshäufigkeit verschiedener Symptome erfragt wurden. Die Studienteilnehmer hatten zudem die Wohndistanz zur Mobilfunkbasisstation zu schätzen. Folgende Symptome traten in der Nähe von Mobilfunkantennen signifikant häufiger auf: Müdigkeit. Reizbarkeit. Kopfschmerzen. Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Neigung zu Depressionen, Unwohlsein, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust, Hautprobleme, Sehstörungen, Hörstörungen, Schwindel, Störungen des Bewegungsapparates und Herz-Kreislaufprobleme. Die Studie erfüllt jedoch die grundlegendsten Anforderungen an eine wissenschaftliche Publikation nicht, da die angewandte Methode nur mangelhaft beschrieben wurde. Es ist beispielsweise nicht klar, welche Personen einen Fragebogen ausgefüllt haben, wie sie ausgewählt wurden, nach welchen Symptomen gefragt wurde, wie zuverlässig die Schätzung der Distanz zur Basisstation ist, etc. Zudem wurde schon mehrfach gezeigt, dass bei zufällig ausgewählten Punkten keine Korrelation zwischen der Feldstärke und der Distanz zur Basisstation besteht. Damit ist die Distanz zur nächsten Basisstationen ein ungeeignetes Expositionsmass. In dieser Form publiziert kann nur spekuliert werden, wie die Ergebnisse dieser Studie zustande kamen. Mögliche Erklärungen sind eine selektive Auswahl der Personen, die einen Fragebogen ausfüllten, systematische Fehler bei der Schätzung der Distanz zwischen Wohnort und Basisstation oder bei den Angaben zu den Symptomen.

Univ.-Prof. Dr. Norbert Leitgeb, Institut für Krankenhaustechnik, Graz, Österreich, 2007

Die Studie leidet unter erheblichen Methodischen Schwächen und erfüllt in wesentlichen Punkten die Mindestkriterien für eine wissenschaftliche Arbeit nicht. Es fehlen wichtige Angaben. So wird z. B. nicht angegeben, wie viele Fragebögen insgesamt ausgesendet wurden, aufgrund welcher Kriterien die Adressaten ausgewählt wurden und wie groß die Antwortraten in Abhängigkeit von den Entfernungszonen waren. Wie zwischenzeitliche Untersuchungen ergeben habe, sind die Entfernungsschätzungen von Betroffen extrem ungenau und hängen auch vom Umstand ab, ob eine direkte Sichtverbindung besteht. Da bereits die Entfernungsschätzungen als äußerst ungenau einzustufen sind und überdies nach übereinstimmender Meinung von Experten die Entfernung als Surrogat für die Immissionsverhältnisse ungeeignet ist, lassen sich aus der Studie keine belastbaren Schlüsse ziehen. Es ist vielmehr zu vermuten, dass ein Response-Bias wesentlich zu den unkritisch getroffenen Schlussfolgerungen beigetragen hat.

Berg et al. anlässlich einer DMF-Studie, Deutschland, 2007

In Frankreich wurden 530 Personen schriftlich nach Alter, Geschlecht, geschätzter Distanz zur Mobilfunksendeanlage und der Lokalisation der Wohnung zur Antenne befragt (Santini et al. 2002). Es fehlen Hinweise zur Art der Rekrutierung der Teilnehmer und zur Responserate. Alle abgefragten Beschwerden wurden einzeln ausgewertet, ohne dass Adjustierungen für Alter, Geschlecht und weitere mögliche Einflussgrößen durchgeführt wurden. Ob Personen negative gesundheitliche Einflüsse durch Mobilfunksendeanlagen erwarteten, wurde nicht abgefragt. Zur Bestimmung der Expositionshöhe wurden die Eigenangaben zum Abstand zwischen Wohnort und Mobilfunksendeanlage genutzt. Diese Methode ist als Maß der Exposition nicht geeignet. Aufgrund der unklaren Informationslage und der unzureichenden Qualität der Erhebung werden keine Ergebnisse dieser Studie präsentiert. Die Arbeit von Santini erfüllt nicht die Mindestanforderungen an eine wissenschaftliche Studie. Der methodische Ansatz ist nicht nachvollziehbar. Es mangelt an grundlegenden Informationen zur Rekrutierung der Teilnehmer sowie zur Sicherheit der Distanzschätzungen.

Betrachtet man alle drei Mobilfunkstudien Santinis zusammen, wird deutlich: Trotz der starken Immission durch die damaligen GSM-Mobiltelefone konnte er keine Symptomhäufung bei Nutzern dieser Technik finden. Symptomhäufungen gab es nur bei Anwohnern von Sendemasten. Dies kann als frühes Indiz für den Nocebo-Effekt gewertet werden, ausgelöst durch angstschürende unqualifizierte Medienberichte und pseudowissenschaftliches Hetzen von Mobilfunkgegnern der gleichen Qualifikation, wie sie heute z.B. bei der SaferPhone-Initiative zu erkennen ist.

Der Flurfunk der Anti-Mobilfunk-Szene berichtete um 2004 herum belegfrei, Roger Santini soll wegen seiner Sendemastenstudien seinen Job am Institut National des Sciences Appliquées in Lyon verloren haben. Postwendend wurde er daraufhin u.a. von einer deutschen "elektrosensiblen" Wissenschaftsjournalistin und von Michèle Rivasi zum Whistleblower erklärt. Santini war BEMS-Mitglied. Er starb am 14. Juni 2006 an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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