Kuba: "postkommotionelles Syndrom" vs. Massenpsychose (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 04.08.2019, 22:29 (vor 1937 Tagen) @ H. Lamarr

"Eva Weber" verweist auf ein mysteriöse Geschichte (Schallangriffe), die sich auf Kuba zugetragen haben soll und die sie völlig zurecht in Verbindung bringt mit der berühmt-berüchtigten Story über die Mikrowellenbestrahlung der US-Botschaft in Moskau Anfang der 1970er-Jahre.

Tatsächlich sind die Parallelitäten zwischen den beiden Geschichten so auffällig, dass man meinen möchte, die Trump-Administration hat die alte Story aus dem Kalten Krieg mit den Russen leicht abgeändert neu aufgewärmt, nur um diesmal die Kubaner in ein schiefes Licht zu rücken.

Das Rätselraten um die Ursache der neurologischen Symptome, die Mitarbeiter der US-Botschaft 2016 auf Kuba zeigten, geht weiter. Die naheliegende Vermutung, dass es sich um ein massenpsychogenes Phänomen gehandelt haben könnte, weisen führende US-Neurologen im US-amerikanischen Ärzteblatt (Jama 2018; Volltext) jedoch zurück. Sie diagnostizieren ein "postkommotionelles Syndrom ohne Hirnerschütterung". Im Juli 2019 hat sich dieser Befund bis in die hiesige Presselandschaft vorgearbeitet. Die folgenden drei Quellen beleuchten das Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven:

► Die Bild-Zeitung kehrt zum Startpunkt zurück und titelt: Greift Kuba US-Diplomaten
mit Schallwaffen an?

► Die linksorientierte Plattform "amerika21" vertritt eher den kubanischen Standpunkt
► Das Ärzteblatt sieht das "postkommotionelle Syndrom ohne Hirnerschütterung" kritisch

Das Ärzteblatt sieht die Möglichkeit einer Massenpsychose und nennt dafür Beispiele:

[...] In dieser Situation hätten Psychiater vermutlich die Möglichkeit einer kollektiven psychosomatischen Störung in ihre diagnostischen Überlegungen einbezogen. Für solche kollektiven psychogenen Phänomene, auch als Massenpsychose bezeichnet, gibt es zahlreiche Beispiele, darunter einige mit politischem Hintergrund. So kollabierten im März 1983 an der Westbank 943 Teenager, weil sie sich einem israelischen Giftgasangriff ausgesetzt glaubten, der niemals stattgefunden hatte. Auch die angebliche Massenvergiftung von Schülern, zu der es im März 1990 im Kosovo kam, nachdem die serbische Regierung eine ethnische Trennung der Schüler veranlasst hatte, wird heute als massenpsychogene Störung gedeutet.

Smith lehnt diese Möglichkeit indes strikt ab. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass die Betroffenen die Symptome erfunden hätten oder sich als Simulanten vor der Arbeit drücken wollen, schreibt er. Im Gegenteil: Alle seien hochmotiviert und wollten ihre Arbeit lieber heute als morgen wieder aufnehmen (Smith verkennt dabei, dass psychogene Störungen in der Regel nicht beabsichtigt sind).

Ein Kennzeichen der Massenhysterie ist, dass sich die Patienten nach einiger Zeit von selbst wieder erholen. [...]

Auch hier im Forum haben wir Beispiele für Massenpsychosen.

Im Jahr 2006 stellten die deutschen Mobilfunknetzbetreiber GSM auf die Betriebsart "Edge" um. Daraufhin meldeten sich ungefähr 120 Bewohner des bayerischen Dorfes Oberammergau krank. Auslöser dieser Psychose waren eine handvoll ortsansässige Mobilfunkgegner, die in den Medien Ängste verbreiteten, Edge sei gesundheitsschädlich. Nach etwa einem Jahr war der Spuk vorbei.

Im November 2015 meldet der Bayerische Rundfunk: Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit und Atemwegsreizungen. Nach Inbetriebnahme der neuer Sprengstoffdetektoren (am Flughafen München im Erdinger-Moos) haben sich 200 SGM-Mitarbeiter krank gemeldet (SGM: Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München mbH). Mehr als 70 sind ins Krankenhaus gegangen, beinahe genauso viele haben Anzeige erstattet. Ende 2016 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein, im Ergebnis blieb festzuhalten, konkrete Ursachen für die von den Mitarbeitern beklagten Krankheitserscheinungen konnten nicht festgestellt werden.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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