Hensinger: "Unsere Argumente werden immer besser" (Allgemein)
In Ausgabe 1/2023 der Mitgliederzeitschrift des Vereins Diagnose-Funk vertritt Vereinsvorstand Peter Hensinger die Einschätzung "Unsere Argumente werden immer besser". Stimmt das oder ist die Bekundung eher beklommenes Pfeifen im dunklen Wald? Wir haben exemplarisch nachgeschaut, wie sich die besseren Argumente von Diagnose-Funk auf den Gesetzentwurf zur Erleichterung des baurechtlichen Verfahrens beim Mobilfunknetzausbau in Baden-Württemberg ausgewirkt haben.
Im September 2019 einigten sich die 16 Bauminister der deutschen Bundesländer einstimmig darauf, in der Musterbauordnung MBO, diese steht Pate für alle Landesbauordnungen, Erleichterungen für den Mobilfunknetzausbau zu verankern. Mobilfunkgegner hätten den Braten daher schon früh riechen können. Doch nichts geschah.
Karten auf den Tisch
Erst als Baden-Württemberg sich 2022 anschickte, die MBO in Landesrecht umzusetzen, schreckten die Mobilfunkgegner im Ländle hoch. Im Oktober 2022 verbreitete Diagnose-Funk die Meldung Ärzte protestieren gegen drohende lückenlose Verstrahlung und fordern Anhörung zu Risiken und gab die Argumente von 33 der rd. 114'000 niedergelassenen Ärzte Deutschlands wieder.
Im Dezember 2022 hatte der Verein sich dann selbst eine eigene Meinung gebildet, sprach von untauglichen baurechtlichen Erleichterungen und tadelte "Die Grün-Schwarze Landesregierung sollte intelligenter handeln!" Sodann öffnete Diagnose-Funk ein Füllhorn voller Argumente, warum in den Plänen der Landesregierung der Wurm drin sei, alles nachzulesen unter dem Link.
Ende Dezember 2022 sah sich die Grün-Schwarze Koalition in Stuttgart also einem ganzen Bündel von Argumenten aus der Anti-Mobilfunk-Szene ausgesetzt, die dringend davon abrieten, die geplanten Erleichterungen des baurechtlichen Verfahrens beim Mobilfunknetzausbau in die Tat umzusetzen. Die Ärzte drängten auf eine Anhörung im Landtag (Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen), Diagnose-Funk hoffte, die gesammelten Argumente würden über die Landesgrenzen hinaus aufgegriffen und brächten anderen Landesregierungen davon ab, es den Baden-Württembergern (und Bayern) gleich zu tun.
Würfel sind gefallen
Am 28. Februar 2023 kam es für die Ärzte und Diagnose-Funker knüppeldick, sie mussten gleich zwei Niederlagen verkraften. Da war das deutliche Scheitern der Europäischen Bürgerinitiative "Stop 5G" und der niederschmetternde Gesetzentwurf der Stuttgarter Landesregierung.
Bauministerin Nicole Razavi (CDU) hat die Argumente der Gegner samt und sonders verworfen und sogar noch einen draufgesetzt, indem sie über die Vorschläge der MBO hinaus eine Halbierung der Abstandsflächen bei Antennenanlagen im Außenbereich vorsieht. Funkmasten dürfen Wohnbauten damit merklich näher rücken. Auf Diagnose-Funk und die 33 Ärzte muss dies wie blanker Hohn wirken. Auf alle anderen nicht. Denn wenn von EMF überhaupt ein Gesundheitsrisiko ausgeht, dann nicht von den Sendemasten, sondern von körpernah betriebenen Mobiltelefonen. Dies ist seit etwa 30 Jahren unverändert wissenschaftlicher Konsens, der ebenso lang von organisierten Mobilfunkgegnern bestritten wird.
50 Tage hatten die Fraktionen im Baden-Württembergischen Landtag Zeit, sich mit Razavis Entwurf auseinanderzusetzen. Am 19. April kam es dann zu einer ersten Beratung. Diese dauerte rd. 32 Minuten, denn jeder der fünf Fraktionssprecher bekam vom Landtagspräsidenten nur fünf Minuten Redezeit zugestanden. Razavi eröffnete und beendete den Schlagabtausch. Doch wer jetzt hofft, der Entwurf sei mit Gegenargumenten aus Kreisen der Mobilfunkgegner attackiert worden, der liegt falsch. Die Sprecher der Grünen und Schwarzen feierten den Entwurf als substanziellen Fortschritt für das Ländle, wohingegen alle anderen (SPD, FDP/DVP, AfD) das Papier zwar billigten, zugleich aber kritisierten, es ginge bei der Erleichterung des Mobilfunknetzausbaus nicht weit genug. Ein Video der Debatte kann man sich hier anschauen, die Kapitelauswahl (Top 5) ermöglicht den gezielten Abruf der Stellungnahme eines Sprechers. Nach der ersten Beratung im Plenum wurde der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen überwiesen. Landtagsausschüsse befassen sich mit Angelegenheiten, die ihnen (üblicherweise vom Plenum) im Einzelfall überwiesen worden sind, und geben Beschlussempfehlungen.
Die "intelligenteren" Argumente von Diagnose-Funk und der verbündeten 33 Ärzte spielten in der ersten Beratung keine Rolle, lediglich der Sprecher der AfD rieb sich an dem Satz des Entwurfs "Beeinträchtigungen beim Gesundheitsschutz sind nicht zu erwarten" und forderte kryptisch eine "wissenschaftliche Prüfung der Gegebenheiten vor Ort". Was genau er damit meint wurde nicht nachgefragt und mir mag eine halbwegs plausible Deutung der Forderung nicht einfallen.
Wer immer besser wird, ist nie gut genug
Wie dem auch sei, Hensingers frohe Botschaft "Unsere Argumente werden immer besser", fand am 19. April 2023 in Stuttgart jedenfalls keinerlei Bestätigung. Und wer sich das Video der Debatte gegönnt hat, wird mir sicherlich zustimmen, dass die AfD eher den nächsten Bundeskanzler stellen wird, bevor sich an Razavis Gesetzesentwurf noch etwas ändert, was die Handschrift des Stuttgarter Vereins zeigen könnte. Dafür, dass Diagnose-Funk im Landtag durchwegs unerhört blieb, sogar durch die Fraktion der AfD, mag es viele Gründe geben. Einer könnte sein: Wer wie Peter Hensinger tönt, räumt unabsichtlich ein, mit seinen Argumenten könne etwas nicht stimmen. Denn besser können diese nur werden, wenn sie zuvor schlechter waren, und wenn Argumente von Diagnose-Funk sogar immer besser werden, dann ist das, was sie heute sagen morgen nicht mehr gut genug, was sie morgen sagen ist übermorgen überholt und so weiter und so fort. Vertrauenerweckend ist dies nicht. Eher ein umständliches Herantasten an den heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand im Trial-and-Error-Verfahren. Verständige Menschen tun sich da leichter.
Hintergrund
Pressemitteilung des Baden-Württembergischen Bauministeriums vom 28. Februar 2023
Medienbericht anlässlich der Plenarsitzung am 19. April 2023
[Admin: Text geringfügig ergänzt am 27.04.2023, 21:50 Uhr]
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –