13. Diagnose-Funk vs. Ken Karipidis (2024) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 17.12.2024, 00:13 (vor 10 Tagen) @ H. Lamarr

Wenn Diagnose-Funk seine Anhänger "informiert", dann sind die Artikel häufig sehr lang und ausschweifend sowie mit Hyperlinks übersät. Möglicherweise geht der Verein von der Hoffnung aus, die Leser würden in dieser Darreichungsform geballte Fachkompetenz und vollen Durchblick der Autoren erkennen. Aus meiner Sicht führt Diagnose-Funk mit der Präsentationsform seiner Artikel jedoch anderes im Schild. Was damit gemeint ist, das Beispiel eines Angriffs der Stuttgarter auf den australischen Wissenschaftler Ken Karipidis zeigt es.

[image]◄ Ken Karipidis kerzengerade, als hätte der Australier soeben einen Stock verschluckt
Bild: Arpansa


Ken Karipidis hat einen Abschluss in Physik und promovierte später in Epidemiologie. Derzeit arbeitet der Wissenschaftler bei der australischen Strahlenschutzbehörde (Arpansa) als stellvertretender Direktor für Gesundheitsfolgenabschätzung. Karipidis hat eine Reihe angesehener Positionen inne, darunter die eines außerordentlichen Professors an der Swinburne University of Technology, eines Beiratsmitglieds am Australian Centre for Electromagnetic Bioeffects Research und eines assoziierten Forschers am Centre for Population Health Research on Electromagnetic Energy. Seine Gegner bei Diagnose-Funk sind Jörn Gutbier (Architekt und Baubiologe) und Peter Hensinger (Drucker im Ruhestand). Das ist die Ausgangslage: Zwei fachliche Fliegengewichte wollen ein fachliches Schwergewicht auf die Bretter schicken.

Der Mann muss weg!

Karipidis geriet ins Fadenkreuz der Stuttgarter, nicht weil er mit einer Arbeitsgruppe im Auftrag der WHO eine systematische Review über das Hirntumorrisiko infolge HF-EMF-Einwirkung ausgearbeitet und im September 2024 vorgelegt hat. Sondern, weil er nicht das "richtige" Ergebnis präsentierte. Tatsächlich fand der Australier keine Evidenz dafür, dass HF-EMF kausal Hirntumoren verursacht, egal ob die Funkwellen von Mobiltelefonen ausgestrahlt werden oder von den Antennen der Mobilfunk-Basisstationen.

Mit diesem Befund pulverisiert Karipidis eine der wirkmächtigsten Behauptungen organisierter Mobilfunkgegner, nämlich dass HF-EMF-Exposition zu Hirntumoren führen könne. Für die mit guten Argumenten nicht reich gesegnete Anti-Mobilfunk-Szene ist der Verlust der Hirntumorkarte existenzgefährdend, deshalb müssen Karipidis und die Review, koste es was es wolle, entwertet werden. Gelingt die Entwertung vollständig, ist die Person erledigt, da ihr niemand mehr glaubt. Abgesehen davon, dass sich der Nachweis für einen derart durchschlagenden Erfolg nicht erbringen lässt, ist mir auch kein derartiger Fall bekannt. Realitätsnäher ist die Teilentwertung einer Person. Im konkreten Fall in den Echokammern der Szene. Dort ist wegen kollektiver kognitiver Wahrnehmungsverzerrungen der Insassen eine Entwertung ziemlich einfach mit den Mitteln des Populismus erreichbar.

Diagnose-Funk griff Karipidis am 14. September 2024 mit diesem Artikel an. Wie bei dem Verein üblich, rollt der Angriff weitschweifig auf breiter Front und viele Querverweise suggerieren einem die Botschaft, im Hintergrund hätten die Ankläger noch viel mehr Belastungsmaterial auf Lager. Die vermeintlich erdrückende Informationsfülle stellt Kritiker des Vereins stets vor das gleiche Problem: Wo in diesem Sammelsurium anfangen mit Kritik, wo aufhören? Es kostet Überwindung, sich den Fragen zu stellen, statt abzuwinken.

Sollte die literarische Abschreckung nicht auf Unvermögen beruhen, sondern auf Absicht, geht der Plan von Diagnose-Funk mMn auf. Denn abgesehen vom IZgMF ist mir niemand bekannt, der das Treiben des Stuttgarter Vereins kritisch verfolgt. So hat Diagnose-Funk ein nur kleines Risiko, bei der Verbreitung alternativer Fakten oder Schlimmerem erwischt zu werden. Denn wenn überhaupt jemand die 12-Gänge-Menüs des Vereins kritisch liest, bleibt Kritik sporadisch und aus naheliegenden Gründen auf wenige Kostproben begrenzt.

Wenn Evidenz unter Schwindsucht leidet

Was den fraglichen Artikel von Diagnose-Funk anbelangt, habe ich mich für die folgende Kostprobe entschieden, deren relevanter Teil rot formatiert ist:

[...] Zum zweiten stützen sich Karipidis et al. wiederum auf Studien mit falschen Dateninterpretationen. Louis Slesin deckt in MicrowaveNews Beispiele auf, u.a. diese:

„Die erste kam zwei Wochen vor Weihnachten 2018 heraus; auch hier war Karipidis der Hauptautor. Es handelte sich um eine Analyse der Hirntumor-Trends in Australien. Zu seinem Team gehörten Elwood und Croft. Croft war zu dieser Zeit Vorsitzender der ICNIRP und Karipidis war wissenschaftlicher Berater der ICNIRP. Das Studiendesign des Papiers von 2018 wurde beanstandet. Überraschenderweise hatte Karipidis alle Australier, die älter als 59 Jahre waren, von seiner Analyse ausgeschlossen. Auf diese Weise wurde der größte Teil der Hirntumor-Population des Landes ignoriert, was praktisch ein risikoloses Ergebnis garantierte.“ [...]

Diagnose-Funk versucht hier, Karipidis als ein Cleverle hinzustellen, das "überraschenderweise" Hirntumorpatienten älter als 59 Jahre aus seiner Studie von 2018 ausschloss und sich damit einer "falschen Dateninterpretation" schuldig machte. Dieser Vorwurf ist so schön simpel, dass ihn jeder auf Anhieb versteht. Da aber Diagnose-Funk dafür bekannt ist, Sachverhalte mit populistischen Vereinfachungen zu verfälschen, haben bei mir die Alarmglocken geläutet und ich habe den Vorwurf einem Faktencheck unterzogen.

► Zuerst fällt auf: Diagnose-Funk hat nicht selber recherchiert, sondern kolportiert eine Recherche, die Louis Slesin am 2. Januar 2019 in seinem Blatt (Microwave News) veröffentlichte und am 10. Januar aktualisierte. Das Original des Vorwurfs von Slesin kann man sich hier ansehen.
► Nun muss man wissen: Wissenschaftler erwarten Kritik an ihren Studien nicht auf irgendwelchen Websites oder in fremden Publikationen, sondern in Form eines Leserbriefs, den ein Kritiker bei eben der Fachzeitschrift einreicht, welche die kritisierte Studie publiziert hat. Heißt im Klartext: Hätte Slesin es ernst gemeint, er hätte nicht nur auf seiner Website nörgeln dürfen, sondern seine Kritik bei dem Journal BMJ Open als Leserbrief einreichen müssen, um Karipidis et al. eine Entgegnung zu entlocken. Das aber hat er nicht getan, womit seine Kritik nicht wissenschaftliches Niveau erreichte, sondern im Status einer privaten Meinungsäußerung stecken blieb.
► Diagnose-Funk verwurstete in seinem Angriff dennoch die wissenschaftlich belanglose Meinungsäußerung Slesins und gibt damit zu erkennen, von der formalen Streitkultur unter Wissenschaftlern auch 2024 noch immer keine Ahnung zu haben.
► Der Faktencheck an dem Textfragment wäre an dieser Stelle wegen Substanzmangel schon zuende gewesen, hätte BMJ Open nicht am 4. Januar 2019 einen Leserbrief des britischen Mobilfunkkritikers Alasdair Philips publiziert. Philips wirft der Arbeitsgruppe Karipidis erhebliche Mängel und unhaltbare Schlussfolgerungen vor, unter anderem auch das Ausblenden der Altersgruppen am Anfang und am Ende der Altersskala. Philips schreibt:

[...] Wichtig ist, dass Karipidis et al. nur über Hirntumordaten für die Altersgruppe 20-59 berichten. Dies entspricht etwa 39 % aller australischen Hirntumoren (ca. 6 % der Fälle betreffen unter 20-Jährige und ca. 55 % über 59-Jährige). Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Interphone und andere Studien berichtet haben, dass Langzeitgebrauch und Latenz wichtige Faktoren sind, ist es nicht angebracht, die Gruppe von Menschen auszuschließen, (a) die ihr Telefon im Allgemeinen die längste Zeit über benutzt haben und (b) die auch die Altersgruppe sind, die bereits die höchste Inzidenz von Hirntumoren aufweist. [...]

► Philips hat sich mit seinem Leserbrief an die Konventionen gehalten. Er wurde deshalb von der AG Karipidis nicht übersehen, wie Slesin, sondern bekam am 14. Januar 2019 Antwort auf seine Vorwürfe. Man merkt der Antwort deutlich an, dass Philips und Karipidis wohl nie Freunde werden, u.a. wird Philips sein kommerzielles Interesse an der Mobilfunkdebatte angekreidet. Unter Punkt 5 gibt die AG Auskunft zu den ausgeschlossenen Altersgruppen:

[...] In seinem Brief kritisiert Philips, dass wir Daten von 20- bis 59-Jährigen und nicht von allen Altersgruppen ausgewertet hätten. Auch wenn Philips Vorteile darin sieht, möglicherweise eine ganz andere Studie als die unsere durchzuführen, bietet die von uns verwendete Methode viele Vorteile, die in Karipidis et al. beschrieben wurden. Unsere Studie sollte beispielsweise die Krebsinzidenz mit der aufgrund verschiedener Interpretationen der Interphone-Ergebnisse zu erwartenden vergleichen, und dies ist die Altersspanne, die in der Interphone-Studie verwendet wurde (die wiederum gewählt wurde, um „die Wahrscheinlichkeit einer Exposition zu maximieren“). Darüber hinaus weisen allgemeinere methodologische Überlegungen auf die Angemessenheit dieser Altersspanne hin: 1) Da Fälle über 60 Jahre stärker von den oben beschriebenen diagnostischen Problemen betroffen wären, wurden über 60-Jährige nicht einbezogen, weil ihre Einbeziehung die Wahrscheinlichkeit von handybedingten Veränderungen der Tumorinzidenz verringern würde; 2) Da wir testen wollten, ob Latenzen des Tumorbeginns von > 10 Jahren die beobachteten Tumorinzidenzraten erklären könnten, und da dies voraussetzen würde, dass Fälle unter 20 Jahren vor dem 10. Lebensjahr in erheblichem Umfang Mobiltelefone genutzt haben (was nicht der Fall ist), war die Altersgruppe unter 20 Jahren für die Zwecke dieser Studie nicht geeignet. Die relativ geringe Anzahl von Fällen in der Altersgruppe unter 20 Jahren (die viel seltener sind als bei Erwachsenen) würde auch die Dateninstabilität erhöhen, wodurch es weniger wahrscheinlich wäre, bedeutsame Änderungen der Tumorinzidenz zu beobachten. [...]

Ich kann jetzt als Zaungast nicht behaupten, die Auskünfte der AG inhaltlich in voller Tiefe verstanden zu haben. Für mich sieht es aber so aus, als ob mit dem Schlagabtausch zwischen Philips und Karipidis die Fronten auf wissenschaftlichem Niveau geklärt wurden. Denn a) weder Philips noch Slesin stellten die Auskünfte von Karipidis infrage und b) gab es keine weiteren Leserbriefe in dieser Angelegenheit.

Fazit

► Indem Diagnose-Funk die persönliche Meinung des US-amerikanischen Mobilfunkkritikers Louis Slesin verwendete, um zu versuchen, damit den unliebsamen Wissenschaftler Karipidis zu entwerten, hat der Verein einmal mehr Zeugnis für seinen Dilettantismus an den Tag gelegt.
► Formal besser als Slesin und Diagnose-Funk machte es der britische Mobilfunkkritiker Alasdair Philips. Er kritisierte die fragliche Arbeit von Karipidis nicht auf seiner privaten Website (Powerwatch), sondern reichte einen Leserbrief bei dem Journal ein (BMJ Open), das die Karipidis-Studie 2018 publizierte. Der Weg den Philips gewählt hat ist unter Wissenschaftlern anerkannt und üblich.
► Mit seiner Entgegnung auf Philips' Leserbrief brachte Karipidis Anfang 2019 seine Kritiker (Slesin, Philips) zum Schweigen. In ganz anderem Zusammenhang (Karipidis systematische Hirntumor-Review für die WHO) legt Diagnose-Funk 2024 die alte Platte neu auf, um Karipidis Ruf zu schaden. Der Verein bringt von der Geschichte jedoch nur Slesins bedeutungslose Anklage und lässt die substanzielle Auseinandersetzung zwischen Philips und Karipidis einfach weg.
► Die Kostprobe aus dem Diagnose-Funk-Artikel umfasst nur wenige Zeilen. Ihre Widerlegung erforderte deutlich mehr Zeilen vom Zeitaufwand nicht zu reden. Gefühlt 95 Prozent des Diagnose-Funk Artikels sind weiterhin ungeprüft und tischen den Lesern möglicherweise ähnliche Desinformation auf wie mit der Kostprobe. Wer soll das alles Prüfen? Niemand wird sich diese Mühe machen! Diagnose-Funk profitiert damit erheblich von seinem Status, ein bedeutungsloser Verein zu sein.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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