GÄHN (Allgemein)

Realist, Sonntag, 17.10.2010, 21:03 (vor 5150 Tagen) @ AnKa

Im heutigen SPIEGEL (#41 v. 11.10.10) ist ein ausgezeichneter Essay über die neueste sogenannte Protestkultur in Deutschland zu lesen. Titel: "Der Wutbürger". Ich finde, es ist ein überragend hellsichtiger Beitrag. Leider kann man ihn derzeit nicht verlinken.

Zitate daraus:

"Eine neue Gestalt macht sich wichtig in der deutschen Gesellschaft: Das ist der Wutbürger. Er bricht mit der bürgerlichen Tradition, dass zur politischen Mitte auch eine innere Mitte gehört, also Gelassenheit, Contenance. Der Wutbürger buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und nicht mehr jung. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zutiefst empört über die Politiker. Er zeigt sich bei Veranstaltungen mit Thilo Sarrazin und bei Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21."

"Der Wutbürger denkt an sich, nicht an die Zukunft seiner Stadt. Deshalb beginnt sein Protest in dem Moment, da das Bauen beginnt, also die Unannehmlichkeit. Nun schiebt er das beiseite, was Bürgertum immer ausgemacht hat: Verantwortlichkeit, nicht nur das Eigene und das Jetzt im Blick zu haben, sondern auch das Alllgemeine und das Morgen."

"Der Wutbürger macht nicht mehr mit, er will nicht mehr. Er hat genug vom Streit der Parteien, von Entscheidungen, die er nicht versteht und die ihm unzureichend erklärt werden. (...) Der Wutbürger verteidigt zwar das christliche Abendland, geht aber nicht in die Kirche. (...) Was wird aus meinem Land, ist eine Frage, die sich Bürger stellen. Was wird aus mir, ist die Frage, die sich Wutbürger stellen."

Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Zeitgenossen, die in Leserbriefen gegen Sendemasten wüten, sind wohl nicht rein zufällig. Sie drängen sich geradezu auf.

GÄHN. Ich habe mich selten so gelangweilt wie bei diesem Artikel. Das Gleichsetzen von Protestierenden mit Rechtsradikalen / Ausländerfeinden ist ein ururalter Hut, wird schon seit Atomkraft-Nein-Danke-Zeiten als pauschale Keule benutzt und ist deshalb heutzutage längst reichlich abgenutzt. Ob Atomkraft-Gegner, Mobilfunk-Gegner, Stuttgart 21-Gegner.... (die Liste liesse sich beliebig verlängern) - alle tendenziell rechtsradikal oder ausländerfeindlich. (Warum bloß krebsen die rechtsgerichteten Parteien dann - zum Glück - immer noch bei so geringen Quoten herum? Und was hat Ausländerfeindlichkeit mit Stuttgart 21 zu tun? Wird dieser Bahnhof womöglich von Ausländern geplant? Fragen über Fragen.).
Von einem "journalistischen" Artikel (auch wenn er als Essay gekennzeichnet ist), hätte ich mir mehr Fakten gewünscht. Es wird einfach Mal pauschal unterstellt, Protestierende tickten ähnlich wie Ausländerfeinde. Belege für diese These fehlen allerdings völlig.


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