Phonegate: Anses legt Studienreview für SAR > 2 W/kg vor (Technik)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 23.10.2019, 12:18 (vor 1689 Tagen) @ H. Lamarr

Anses, die nationale französische Gesundheitsagentur für Lebensmittel-, Umwelt- und Arbeitssicherheit, erhielt im Oktober 2017 u.a. von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des französischen Gesundheitsministeriums den Auftrag zu prüfen, inwieweit SAR-Werte oberhalb des zulässigen Teilkörpergrenzwerts von 2 W/kg gesundheitsschädlich sind. Anlass waren Meldungen der französischen Funknetzagentur ANFR, die bei geringem Messabstand zwischen Mobiltelefon und Körper (0 mm bis 5 mm) etliche Modelle fand, die SAR-Werte bis zu 7 W/kg verursachten. Früher war es den Geräteherstellern noch erlaubt, Messabstände zwischen 5 mm und 25 mm zu wählen, die meisten entschieden sich für 15 mm. Inzwischen ist es mit dieser Wahlfreiheit vorbei, seit spätestens 12. Juni 2017 müssen Hersteller die SAR, bezogen fürs Tragen am Körper, bei maximal 5 mm Abstand zum Körper messen. Dies verlangt die EU-Richtline 2014/53/EU vom 16. April 2014 (bekannt als "Red"-Richtline; Radio Equipment Directive). Die EU-Staaten waren gehalten, diese Richtlinie bis 13. Juni 2016 in nationales Recht umzusetzen, die daran anschließende Übergangsfrist dauerte 1 Jahr.

Da Mobiltelefone von ihren Besitzern durchschnittlich drei bis fünf Jahre benutzt werden, ist jedoch zu erwarten, dass noch viele Altgeräte in Gebrauch sind, die nach heutigen Maßstäben unzulässig hohe SAR-Werte im Körper bewirken. Vor diesem Hintergrund ist der Auftrag an Anses zu sehen.

Im Juli 2019 legte Anses das Ergebnis der Prüfung vor und jetzt ist der 16 Seiten umfassende Bericht auch in englischer Übersetzung zu haben.

Einen von Mobilfunkgegnern erhofften lauten Alarm oder die von der Mobilfunkbranche erhoffte klare Entwarnung gibt der Bericht indes nicht her. Denn die geprüfte Studienlage ist zu widersprüchlich, um eindeutige Aussagen treffen zu können. So gibt es durchaus einige Studien, die bei SAR-Werten oberhalb von 2 W/kg Effekte gefunden haben. Dennoch löst Anses keinen Alarm aus, weil eine dauerhafte Einwirkung hoher SAR-Werte, wie dies in den Studien praktiziert wurde, im Alltag nicht vorkommt. Vorgebracht wird auch der Einwand, dass eine Ganzkörperbefeldung, die SAR-Werte über 2 W/kg und damit verbundene Organerkrankungen verursacht (Beispiel NTP-Studie), in der realen Welt nicht gegeben ist, da die maximal zulässige Ganzkörper-SAR auf 0,08 W/kg begrenzt ist. Aus diesem Grund sind Mobilfunksendemasten weitab von der Schusslinie, die Studienreview bezieht sich allein auf körpernah betriebene Funktechnik.

Wie bei so einer verschwommenen Faktenlage, die weder Mobilfunkgegner noch Mobilfunkindustrie glücklich macht, üblich, wählt Anses den goldenen Mittelweg und rät zur vorsorglichen Immissionsbegrenzung bei allem, was körpernah nennenswerte Funksignale aussendet, also nicht nur bei Mobiltelefonen, sondern z.B. auch bei Tablets und Kinderspielzeug. Den Gerätenutzern empfiehlt Anses, vorsorglich die in Gebrauchsanleitungen empfohlenen Sicherheitsabstände zu beachten. Den Herstellern von Mobiltelefonen rät Anses, Altgeräte, die gemäß aktueller Messvorschrift weit über dem zulässigen Limit sind, entweder mit Firmware-Updates die maximale Sendeleistung grenzwertkonform zu drosseln oder, wenn dies nicht möglich ist, die betroffenen Geräte mit Rückrufaktionen vorsorglich aus dem Markt zu nehmen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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