Kompetenzinitiative kommt mit angeblich neuer Hecht-Broschüre (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 14.04.2012, 23:21 (vor 4605 Tagen)

Das letzte, was ich ungefähr 2010 von Prof. Karl Hecht vom Hörensagen aus gut unterrichteter Quelle mitbekommen habe, war, dass er wegen eines Schwächeanfalls als Referent auf einer Anti-Mobilfunk-Veranstaltung vorzeitig unter der Obhut seiner Frau den Saal verlassen musste. Irgendwelche öffentlichen Auftritte des bald 90-Jährigen sind mir seither nicht zu Ohren gekommen, auch Suchmaschinen wissen davon nichts.

Umso überraschender zaubert die sogenannte Kompetenzinitiative (KOI) jetzt eine angebliche neue Broschüre aus dem Hut, die, so der Anschein des Titelblatts, von Karl Hecht geschrieben wurde. Dieses Heft 6 hat den Titel: Zu den Folgen der Langzeitwirkungen von Elektrosmog (PDF, 64 Seiten).

Ein Blick ins Impressum lässt erste Zweifel aufkommen: Dort wird Hecht "nur" neben anderen als Herausgeber geführt, die Redaktion des Heftes schreiben sich zu "Prof. Dr. Karl Richter (1936) in Zusammenarbeit mit Uwe Dinger und Peter Hensinger". 1. Auflage: März 2012.

In der Einleitung auf Seite 7 des Werks heißt es gleich zu Beginn: "Wenn ich als Arzt einen neuen therapeutischen ..." Hier schreibt also offenkundig der Mediziner Prof. Hecht (1924). Also ist Hecht anscheinend doch der Autor. Nur, warum dann im Impressum das Herumgedruckse mit "Herausgeber" und "Redaktion" statt klar erkennbarer Autorenschaft?

Ich meine die richtige Antwort darauf gefunden zu haben.

Am 7. Juli 2006 hielt Hecht auf der turnusmäßig von den "Grünen" im Bayerischen Landtag veranstalteten Elektrosmog-Anhörung einen Vortrag. Unser guter alter "Charles" war so freundlich, die 43-seitige Dokumentation dieses Vortrags als PDF auf seiner Website zu horten.

Tja, und wenn man dann anfängt, das alte PDF mit dem neuen PDF zu vergleichen, dann zeigt sich, dass das neue Fragmente des alten enthält. Hier ein paar auf die Schnelle gefundene Beispiele, wahrscheinlich gibt es noch viel mehr:

Neues PDF, Seite 7: "Wenn ich als Arzt einen neuen therapeutischen Wirkstoff oder ein neues diagnostisches Gerät bei Patienten anwenden möchte ...".
Altes PDF, Seite 13: "Wenn ich als Arzt ein neues Gerät oder ein neues Arzneimittel einführe möchte, muss ich für deren Unschädlichkeit Sorge tragen ...".

Neues PDF, Seite 18: "Tabellarische Übersicht über weitere Beispiele von Studien zu Langzeitwirkun-gen von EMF und deren Auswirkungen auf funktionelle Systeme des Menschen"
Altes PDF, Seite 24: "Beispiele von Langzeitwirkungen von EMF und deren Auswirkungen auf funktionelle Systeme des Menschen". Die Überschrift der Tabelle wurde neu getextet, der Inhalt blieb der alte.

Neues PDF, Seite 30: "An dem Richmonder Symposium nahm auch der Vertreter der Tschechoslowakei, Dr. Karel Marha et al. [1968/71], Leiter der Abteilung Hochfrequenzen am Institut für Betriebshygiene und Berufskrankheiten aus Prag, teil."
Altes PDF, Seite 21: "In der ehemaligen CSSR (Tschechoslowakei) war es Karel Marha et al. [1968/71],Leiter der Abteilung Hochfrequenzen am Institut für Betriebshygiene und Berufskrankheiten in Prag, der Untersuchungsergebnisse über die gesundheitsschädigende Wirkung von Mikrowellen mit analoger Symptomatik wie in Polen und Deutschaland fand."

Die Suche kann man auf andere ältere Dokumente ausdehnen, etwa auf Hechts Analyse russischer EMF-Studien aus dem Jahr 1997 (PDF, 115 Seiten):

Neues PDF, Seite 24: "Höreffekte von Impuls-EMF im SHF-Bereich. Die Entstehung subjektiver Hörempfindungen als unspezifische Reaktion des Organismus ist das Ergebnis der Umwandlung elektromagnetischer Energie in mechanische ...".
Altes PDF, Seite 23: "Höreffekte von Impuls-EMF im SHF-Bereich. Die Entstehung subjektiver Hörempfindungen als unspezifische Reaktion des Organismus, ist das Ergebnis der Umwandlung elektromagnetischer Energie in mechanische ...".

Für Hecht ungewöhnlich, da in den älteren Vergleichsdokumenten nicht zu finden, sind zwei anonyme Fallgschilderungen von überzeugten Elektrosensiblen (Fall Mary M. und Fall Vera F.). Auffällig am Fall Vera F.: Sie soll 2009 von Prof. Hecht begutachtet worden sein ("Bevor Vera F. zu mir kam ...") für einen Gerichtsprozess, den sie 2009/2010 wegen angestrebter Erwerbsunfähigkeit geführt haben will. Leider schreibt der Professor nicht, ob sein Gutachten die erwünschte Wirkung hatte, dies aber wäre mMn die eigentlich wichtige Information gewesen. Dass sie fehlt, sagt allerdings auch schon viel.

Fazit: Das angeblich neue Werk von Karl Hecht ist zumindest passagenweise keineswegs neu, sondern ein "Relaunch" wortgleicher oder umformulierter Passagen aus sechs bis 15 Jahre alten Dokumenten des Professors. Die "Bearbeitung" ist zweifelsfrei Verdienst der Redaktion des Heftes, ob Sie so gefällig war, auch gleich die neu hinzu gekommenen Passagen (z.B. die über Elektrosensible) zu formulieren, das sei dahingestellt. Wenn es so wäre, stellt sich die Frage nach dem "Warum?". Doch darüber lässt sich nur spekulieren, nach einigen Jahren der Auseinandersetzung mit der KOI und deren wilden Spekulationen übers IZgMF wage auch ich diesmal eine:

********* Spekulation ein *********
Für die auf Prestig stark bedachte KOI ist Prof. Hecht eine wichtige Galionsfigur, die man möglichst lange behalten möchte. Doch der alten Herr könnte womöglich ganz andere Sorgen haben, als sich mit 88 noch für etwas aus dem Fenster zu lehnen, das ihm zu entgleiten droht. Eine hilfreiche "Redaktion" erledigt daher die eigentliche Arbeit an Heft 6, mix aus Altem und Neuem etwas, was nach einem noch immer rüstigen Karl Hecht aussieht - lässt dies Hecht vielleicht sogar noch "mit letzter Tinte" abnicken, und hat damit die Galionsfigur für ein paar Jahre gebrauchsfertig konserviert. Das wäre nun alles nicht so wild, würde die KOI die Karten offen auf den Tisch legen. So aber sehe ich in dem Heft 6 eine Täuschung. Sollte dagegen ich mich täuschen, bitte Bescheid geben, damit ich diese Spekulation berichtigen kann. Gerne hätte ich selber bei dem Professor nachgefragt, doch a) ist es dafür ziemlich spät und b) einen Prof. Karl Hecht kennt die Auskunft in ganz Deutschland nicht.
********* Spekulation aus *********

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Gutachten, Richter, Täuschung, Hensinger, Broschürenreihe, Blendwerk, Prag, Hecht, Relaunch, EMF-Publikationen, Dinger, Metastudie, Trittbrettfahren, Marha, Richmond, Galionsfigur


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