Schweizer 5G-Paralyse dauert angeblich weiter an (Allgemein)
Die Schweiz foltert ihre Mobilfunknetzbetreiber seit der 5G-Lizenzversteigerung mehr denn je. Das basisdemokratische Land tut sich schwer, substanzielle Differenzen in Sachfragen effizient zu lösen, vielleicht weil zu viele Köche meinen, ihre Vorstellungen vom bestmöglichen Zubereiten eines Breis unbedingt mit einbringen zu müssen. Nach dem kürzlichen Schwexit der Eidgenossenschaft will nun ein unerträglich selbstgewisser Ex-Elektriker das Land auch noch von sämtlichen 5G-Antennen befreien.
Im Februar 2019 ersteigerten die Schweizer Mobilfunknetzbetreiber für 380 Mio. CHF bis 2034 gültige Lizenzen für die Bänder 700 MHz, 1400 MHz und 3500 MHz. Zügig bauten sie anschließend die 5G-Flächenversorgung auf den tieferen Frequenzen aus. Dann begann das Warten, denn der Bund hatte für die Bewilligung adaptiver Antennen im 3,5-GHz-Band (Kapazitätsversorgung) keine Vollzugempfehlung für die Kantone und Gemeinden zur Hand. Doch ohne diese wollten und konnten Kantone Baugesuche für die neuen Antennen nicht bewilligen, es kam zu einem Bewilligungsstau. Notdürftig wurden adaptive Antennen einstweilen wie gewöhnliche Antennen (ohne Beamforming) bewilligt, wodurch die Leistungsfähigkeit der neuen Antennen jedoch in etwa so begrenzt wurde, als ob ein Sportwagen nur mit angezogener Handbremse in Gang gesetzt werden darf. Erst zwei Jahre nach der Versteigerung legte das Bafu im Februar 2021 die Vollzugsempfehlung vor, mit der die Handbremse für adaptive Antennen endlich gelöst werden und der Bewilligungsstau sich auflösen sollte.
Doch kaum war dieses Problem gelöst, taten sich neue auf, wie Schweizer Mobilfunkgegner berichteten.
► Gemäß dem Verein E-Smog Hadlikon wird die Vollzugsempfehlung des Bafu für "5G-fähige Antennen" im Moment von keinem Kanton angewendet. Grund: Sie wird derzeit durch die Bpuk (Konferenz der kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektion) fachlich und rechtlich geprüft. Ob dies zutrifft oder nur Wunschdenken des Vereins ist habe ich bei der Bpuk angefragt.
► Ein ganz anderes Hindernis für 5G-Antennen sehen Gigaherz-Präsident Jakob und einige Schweizer Medien. Sie erkennen, begrenzt auf den Kanton Bern, eine weitere Blockade der Bewilligungen wegen einer juristischen Hürde. Ein Rentner-Ehepaar sieht sich von einer seit 2018 geplanten 5G-Antenne in Steffisburg (nahe Thun) bedroht und klagte gegen deren Errichtung bis vors Bundesgericht. Dort liegt der Fall nun und wartet auf die höchstrichterliche Entscheidung, ob die Antenne errichtet werden darf – oder eben nicht. Bis zur Entscheidung des Bundesgerichts liegen nun mindestens im Kanton Bern anstehende Baugesuche für 5G-Antennen angeblich auf Eis. Ob es sich bei der strittigen 5G-Antenne um ein gewöhnliches Modell handelt (wahrscheinlich) oder um eine adaptive Antenne (unwahrscheinlich) geht aus den Meldungen nicht hervor. Sollte es sich um eine gewöhnliche 5G-Antenne handeln sehe ich für die beiden Kläger schwarz, denn aus meiner Sicht gibt es keinerlei substanzielle Gründe, deren Bewilligung zu untersagen. Wie in solchen Fällen üblich führen die Kläger als Gründe auch nichts an, was über das hinlänglich bekannte Munkeln & Raunen in der Anti-Mobilfunk-Szene hinaus geht. Daran ändert auch die Berufung auf den neuen gegenwärtig sehr beliebten Popanz "oxidativer Stress" nichts.
Gigaherz-Jakob nutzt die Gelegenheit, Politiker der Schweiz mit den bizarren Forderungen eines ewig Gestrigen zu konfrontieren. Frei nach dem unvergessenen Monaco Franze (A bissel was geht immer) verlangt der Ex-Elektriker vom Bund, den Mobilfunkbetreibern die Konzessionsgebühren von 380 Millionen zurück zu erstatten, per Gesetz jegliche weiteren 5G-Bauvorhaben zu untersagen und bereits ausgeführte zurück bauen zu lassen. Drunter macht er's nicht. Der rüstige Neuzeit-Tell 2.0 will unbedingt als Statuen-Held in die Geschichte der Schweiz eingehen .
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
gesamter Thread:
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