Fliegengewicht Hensinger fordert Schwergewicht Röösli heraus (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 30.07.2022, 20:15 (vor 628 Tagen)

Im Dezember 2021 publizierte eine Autorengruppe um den Schweizer Epidemiologen Prof. Martin Röösli in einer Fachzeitschrift einen Artikel über mutmaßliche Gesundheitsrisiken von 5G. Dies rief Peter Hensinger, den zweiten Vorsitzenden des Vereins Diagnose-Funk auf den Plan. Mit zwei Gegendarstellungen will Hensinger die Abhandlung der Autorengruppe entkräften. Das IZgMF hat mit Stichproben geprüft, ob es dem Herausforderer gelungen ist, den Champion in Verlegenheit zu bringen.

Sachverhalt

Der Artikel der siebenköpfigen Schweizer Autorengruppe erschien in der medizinischen Fachzeitschrift Aktuelle Kardiologie unter dem Titel "Gesundheitsrisiko Mobilfunkstrahlung? Was ändert sich mit 5G?" (Volltext). Korrespondenzautor ist Martin Röösli. Mit einem Impact-Factor von 0,1 zählt die Zeitschrift nicht zu den wissenschaftlich hochrangigen Journalen, was mutmaßlich auch daran liegt, dass das Blatt Mitteilungsorgan von zwei Kardiologenverbänden ist. In der Wissenschaftsliteratur ist der Impact-Factor in etwa das, was bei TV-Sendungen die Einschaltquote ist. Aktuelle Kardiologie hat eigenen aktuellen Angaben zufolge pro Heft eine verkaufte Auflage von 3'770 Exemplaren, eine ganzseitige 4-farbige Anzeigenseite steht zum Listenpreis von 5'140 Euro in den Mediaunterlagen.

Im März 2022 erhielt Röösli von der Zeitschrift die Nachricht, Peter Hensinger und zwei Mitglieder des Ärztearbeitskreis digitale Medien Stuttgart hätten bei Aktuelle Kardiologie eine Gegendarstellung in Form eines Leserbriefs eingereicht. Weder der Leserbrief noch Rööslis Erwiderung darauf wurden bisher von der Zeitschrift veröffentlicht. Doch dies ist zu verschmerzen, denn am 16. Mai 2022 erschien, nun exklusiv von Hensinger, in der Zeitschrift Umwelt Medizin Gesellschaft (UMG) eine 7-seitige Langfassung der Kritik unter dem Titel "Eine Auseinandersetzung mit Prof. M. Rööslis Darstellung der Studienlage zu nicht-ionisierender Strahlung und 5G" (Volltext, deutsch). Mit einem Impact-Factor von 0 ist UMG wissenschaftlich völlig unsichtbar. Das quartalsweise erscheinende Blatt ist Mitteilungsorgan von sieben Vereinen niedergelassener Umweltmediziner, die verbreitete Auflage gemäß der Mediadaten für 2022 beträgt 2'500 Exemplare und eine ganzseitige 4-farbige Anzeigenseite ist für 650 Euro Listenpreis zu haben.

Der Artikel Hensingers in der Zeitschrift UMG ist Gegenstand unserer Betrachtungen.

Augenscheinlich hält Peter Hensinger seine Entgegnungen zur Darstellung der Schweizer Autorengruppe für so bedeutsam, dass er von UMG extra einen englischsprachigen Sonderdruck seines Beitrags anfertigen ließ und diesen Louis Slesin übergab, dem Herausgeber von Microwave News, USA. Slesin ließ sich nicht lumpen. Er nahm die Steilvorlage aus Deutschland an und verwurstete sie am 20. Juli 2022 auf seiner Website unter dem Titel "Der üble Geruch der Wahrheit" mit dem Untertitel "Die Korruption der wissenschaftlichen Literatur geht weiter". Diese Titelzeilen sind eine enttäuschende Offenbarung. Sie belegen, der New Yorker glaubt Hensinger ungeprüft jedes Wort. Der alternde Slesin riskiert damit nach diesem Ausrutscher, der ebenfalls auf Diagnose-Funk zurückzuführen ist, erneut seinen guten Ruf, den er sich seit 1981 als ausforschender, kritischer und gut vernetzter Beobachter der endlosen Debatte um mögliche und unmögliche Risiken einer Einwirkung elektromagnetischer Felder auf Menschen erworben hat. Hensinger werden solche Überlegungen fremd sein, er kann sich darüber freuen, dass Slesin ihm auf den Leim ging und die Verbreitung seines Sonderdrucks übernommen hat.

Wird fortgesetzt ...

Hintergrund
Untergang und Wiederauferstehung der Zeitschrift UMG
Ärztearbeitskreis digitale Medien Stuttgart: Fußabdruck im IZgMF-Forum

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Wissenschaftler, Hensinger, Umwelt-Medizin-Gesellschaft, Slesin, Verbandszeitschrift, Röösli, Pseudo-Experte, Divergierende Risikobewertung, Sonderdruck, Selbstdarstelller

Hensinger vs. Röösli: Kompetenzausstattung der Kontrahenten

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 03.08.2022, 10:15 (vor 625 Tagen) @ H. Lamarr

Bevor sie in den Ring steigen, werden Boxer einer Wiegung unterzogen. Dies soll im Interesse der Chancengleichheit gewährleisten, dass nur Gegner derselben Gewichtsklasse gegeneinander antreten. Im Argumentationsduell Hensinger vs. Röösli ersetzt die Kompetenzausstattung der Kontrahenten diese Wiegung. Geht man von der Papierform der beiden aus, ist der Herausforderer dem Champion hoffnungslos unterlegen. Er muss darauf spekulieren, gemäß der biblischen Legende von David vs. Goliath als Überraschungssieger vom Schauplatz der Auseinandersetzung zu gehen.

Der Herausforderer

Peter Hensinger (Jg. 1948), verheiratet, kinderlos, ist ein Ur-Stuttgarter. Nach dem Abitur studierte er Germanistik und Pädagogik, machte anschließend eine Druckerlehre und übte diesen Beruf einige Jahre aus, bevor er in die Psychiatrie wechselte. In den 90er Jahren baute er nach einer Ausbildung zur Fachkraft für Arbeits- und Behindertenförderung in den Werkstätten für Behinderte des Rudolf-Sophien-Stifts eine Druckerei mit auf – für psychisch kranke Menschen, die wieder in die Berufswelt integriert werden sollten. Während seiner Berufstätigkeit war er 25 Jahre Betriebsrat und in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aktiv. 2006 trat der Stuttgarter, inzwischen vorzeitig im Ruhestand, der Anti-Mobilfunk-Szene bei. Ein Mobilfunkmast war in direkter Nachbarschaft zu seiner Wohnung errichtet worden. Damals wurde er Mitbegründer der Bürgerinitiative Mobilfunk Stuttgart-West, die den Funkmasten zu Fall bringen wollte. Das gelang zwar nicht, auf Betreiben Hensingers wurde der Pachtvertrag des Standortvermieters mit dem Mobilfunknetzbetreiber jedoch nicht verlängert. Am Ende der Vertragslaufzeit im Dezember 2020 musste der umkämpfte Dachstandort deshalb ersatzlos abgebaut werden. Für Hensinger war dies kein Grund sich zurück zu ziehen, er hatte längst Gefallen an der Aufmerksamkeit gefunden, die ihm sein vielfältiges Engagement gegen Funkwellen aller Art einbrachte. 2007 gründete er den Verein zum Schutz der Bevölkerung vor Elektrosmog, dessen Vorsitzender er ist, 2010 war er Mitbegründer des Vereins Diagnose-Funk Deutschland, dessen zweiter Vorsitzender er bald wurde (zuständig für "Wissenschaft") und 2017 war er Mitinitiator des Projekts "Bündnis für humane Bildung". Für das Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) trat das Ehepaar Hensinger zur Kommunalwahl 2019 an, er auf Listenplatz 54, seine vermögende Ehefrau auf Platz 19. Peter Hensinger hält vor Laienpublikum häufig Vorträge über das Thema "Risiko Mobilfunk & Digitalisierung", er ist im www mit zahlreichen Artikeln zu seinem Thema vertreten, vier davon sind im EMF-Portal gelistet. Hensinger sieht sich selbst nicht als Mobilfunkgegner, er versteht sich als Umweltschützer, der für gesundheitsverträgliche Alternativen eintritt.

Der Champion

Martin Röösli (Jg. 1967), verheiratet, zwei Kinder, studierte zunächst erfolgreich Lehramt und erwarb parallel zu seiner Tätigkeit als Lehrer einen MSc in Umweltwissenschaften an der ETH Zürich. An dieser Hochschule erhielt er ab 1997 nach Aufgabe seiner Lehrertätigkeit als Forschungsassistent Einblick in die Atmosphärenphysik, später wurde er dort auch in angewandter Statistik ausgebildet. Seinen Doktorgrad in Umweltepidemiologie erwarb er 2001 an der Universität Basel. Danach folgte eine Station als leitender Epidemiologe am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern, 2009 wurde ihm von der Universität die Lehrbefugnis erteilt. Röösli wechselte anschließend ans Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Basel und übernahm dort die Leitung der Einheit Umwelt und Gesundheit, zunächst als Assistenzprofessor, seit 2016 als außerordentlicher Professor für Umweltepidemiologie. Auf dem Gebiet der nichtionisierenden Strahlung führte er mehrere Expositionsabschätzungen und epidemiologische Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder durch, darunter bevölkerungsbasierte Studien zu Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen, zu Krankheiten mit unspezifischen Symptomen sowie eine Untersuchung über Berufskrankheiten von Eisenbahnern. Röösli leitet in der Schweiz die Beratende Expertengruppe Nis (Berenis), zudem ist/war er Mitglied in vielen nationalen und internationalen Kommissionen für Umweltgesundheitsforschung, darunter die deutsche Strahlenschutzkommission (Ausschuss Nis), die Expertengruppe der schwedischen Strahlenschutzbehörde, die Cosmos-Beratergruppe (2016 bis 2021) und der wissenschaftliche Beirat der WHO-Krebsagentur Iarc (2015 bis 2018). Er hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, Rezensionen und Buchbeiträge verfasst, das EMF-Portal listet gegenwärtig 125 seiner Veröffentlichungen. Seit 2016 ist der Schweizer Mitglied der Icnirp-Kommission. Gemäß dem Ranking der Mediengruppe TX Group zählte Röösli 2019 zu den 30 bekanntesten Persönlichkeiten der Schweiz.

Ausführlicheres Profil von Röösli: https://www.swisstph.ch/en/staff/profile/people/martin-roeoesli

Wird fortgesetzt ...

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1. Hensinger vs. Röösli: Ziel und Zweck des Angriffs

H. Lamarr @, München, Sonntag, 07.08.2022, 12:34 (vor 621 Tagen) @ H. Lamarr

Dieses Posting geht der Frage nach, warum Peter Hensinger sich die große Mühe machte, auf den 6-seitigen Artikel der Autorengruppe um Röösli mit einer 7-seitigen Erwiderung öffentlich zu reagieren.

Der von Hensinger angegriffene Artikel hat sieben Autoren, Korrespondenzautor ist Röösli. Der korrespondierende Autor trägt die Verantwortung dafür, dass die übrigen genannten Autoren mit der Veröffentlichung in der vorgelegten Fassung einverstanden sind.

Hensinger identifiziert im Vorspann seiner Erwiderung Röösli als "Hauptautor" des Artikels und spricht an gleicher Stelle noch korrekt von "Röösli et al.". Dann aber schaltet Hensinger um und macht deutlich, ihm geht es nicht um die die Widerlegung der Autorengruppe, sondern allein um Röösli, dessen Namen er 38-mal nennt, häufig verbunden mit einer negativen Wertung. Hier einige Beispiele (Hervorhebungen von mir):

[...] Der Artikel von Röösli trifft drei Hauptaussagen, die in ihrer Summe „Entwarnung“ signalisieren [...]

[...] Was Röösli den ÄrztInnen als Stand der Forschung vermittelt, ist unvollständig und irreführend. [...]

[...] Rööslis Formulierung zur 5G-Beamforming-Übertragung ist eine verharmlosende Halbwahrheit [...]

[...] Röösli täuscht den Leser doppelt [...]

Schwergewichte in Fliegengewichte verwandeln

Hensinger reduziert die siebenköpfige Autorengruppe auf die Person Rööslis mit dem offensichtlichen Ziel, dessen Glaubwürdigkeit in der Mobilfunkdebatte zu erschüttern und so einen Widersacher zu entwerten, der mit seiner anerkannten Autorität organisierten Mobilfunkkritikern im Weg steht die Deutungshoheit in der Mobilfunkdebatte zu erlangen. Mit dieser Entwertungsstrategie versuchen organisierte Mobilfunkkritiker systematisch alle ihre Argumentationsgegner in Wissenschaft und Politik zu schwächen. Typisches Angriffsziel sind öffentlich wahrgenommenen Autoritäten (Personen und Bundesämter), denen organisierte Mobilfunkkritiker in der direkten Auseinandersetzung mit Rede und Gegenrede fachlich unterlegen sind. Die Entwertung findet deshalb grundsätzlich nicht im "Nahkampf" statt, sondern aus der Distanz mit öffentlichem "Artilleriebeschuss", z.B. auf Webseiten, in Medienbeiträgen, Interviews, Veranstaltungen, Offenen Briefen und dergleichen. Wenn überhaupt, können sich die so Entwerteten nur nachträglich und auf Publikationsplattformen wehren, die in den Echokammern organisierter Mobilfunkkritiker keine Beachtung finden. Wegen dieser Entkopplung von der Gegenrede erscheinen angriffslustige Mobilfunkkritiker in den Echokammern ihrer Szene überlebensgroß und erfolgreich, außerhalb werden sie hingegen eher als klein und bedeutungslos wahrgenommen.

Ein Gegenargument zugunsten Hensingers

Gegen meine begründete Behauptung, Hensingers Absicht sei die gezielte Entwertung Rööslis, ließe sich einwenden, Hensinger habe dies nicht im Sinn gehabt. Er verwende, um den Lesefluss nicht zu stören, in seiner Entgegnung "Röösli" lediglich als Synonym für das sperrige "Röösli et al.". Dieser Einwand wirkt zwar an den Haaren herbeigezogen, völlig ausschließen lässt sich dieses harmlose Motiv jedoch nicht.

Freundlicherweise widerlegt Peter Hensinger selbst den Einwand. Denn auf einem anderen Schauplatz der Mobilfunkdebatte setzt er sich energisch dafür ein, dass Fiorella Belpoggi, die Autorin des Stoa-Berichts "Health impact of 5G" nicht als einzelne Person wahrgenommen wird, sondern als Autorengruppe. Die Grafik am Linkziel, entnommen dem Webinar 19 von Diagnose-Funk, verdeutlicht dies nicht mit der Intensität, mit der die künstliche Verbreiterung der Autorenbasis in dem Webinar ab Minute 31:24 betrieben wird (Hensinger: "Das ist wissenschaftliche Elite"). Je nach Interessenlage reagiert Hensinger anders: Will er einen Argumentationsgegner gezielt entwerten, dampft er eine Autorengruppe kurzerhand auf die Zielperson ein, will er hingegen eine alarmierende Gesinnungsfreundin aufwerten, bekommt diese, wenn auch etwas verkrampft, eine ganze Schar von Wissenschaftlern an die Seite gestellt, um ihrem Alarm mehr Gewicht zu verleihen.

Hintergrund
Bundesamt für Strahlenschutz entgegnet auf Vorwurf eines Europaabgeordneten
Prof. Röösli vs. Konsumentenzeitschrift »Gesundheitstipp«
Rückversicherer Swiss Re sieht Elektrosmog als typisches Phantomrisiko
Wissenschaftliche Studien lassen Elektrosensible nicht gezielt verschwinden
Resolution 1815: Überraschungscoup im Europarat
Das Bundesamt für Strahlenschutz aus Sicht der sogenannten Kompetenzinitiative

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2. Hensinger vs. Röösli: Anstieg der Strahlenbelastung durch 5G

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 10.08.2022, 13:11 (vor 618 Tagen) @ H. Lamarr

Hensinger wirf Röösli u.a. vor, er verharmlose den Anstieg der Strahlenbelastung der Bevölkerung infolge der Einführung von 5G. Wir können uns die Entgegnungen des Mobilfunkkritikers in den Folgepostings 2.x dazu schlecht anschauen, ohne zuvor den Standpunkt der Autorengruppe um Röösli zu kennen.

Röösli et al. zeigen in ihrem Artikel, belegt mit Quellenangaben, die mittlere Exposition der Bevölkerung durch körperferne EMF-Quellen (z.B. Mobilfunkmasten) lag vor Einführung von 5G deutlich unter den zulässigen Expositionsrichtwerten (maximal 61 V/m). Messwerte über 1 V/m waren selten. Dosimetrische Berechnungen des EU-Forschungsprojekts "Geronimo" hätten gezeigt, Mobilfunkmasten würden zur mittleren Tagesdosis der vom Gehirn absorbierten HF-Energie nur rd. vier Prozent beitragen, körpernah betriebene Mobiltelefone bei Sprachtelefonie (Gerät am Kopf) hingegen zu 83 Prozent. Auch bei der mittleren HF-Energieabsorption durch den gesamten Körper (Tagesdosis) ginge der Löwenanteil von 68 Prozent aufs Konto von Mobiltelefonen (Summe aus: Gerät am Kopf, in der Hand gehalten oder am Körper getragen). Der Anteil von Mobilfunkmasten läge hier bei rd. acht Prozent. Wie immer bei der Nennung von Mittelwerten kann die individuelle Exposition mehr oder weniger deutlich oberhalb oder unterhalb der Mittelwerte liegen.

Die Ausführungen der Autorengruppe machen einmal mehr deutlich: In der Diskussion über Gesundheitsrisiken der Mobilfunktechnik fällt Mobiltelefonen eindeutig die Hauptrolle zu. Dies steht im krassen Gegensatz zur Risikoeinschätzung der Bevölkerung und den Aktivitäten von Anti-Mobilfunk-Vereinen, welche Mobilfunkmasten als dominante Gefährdungsquelle sehen. Schon allein aus diesem Grund muss Peter Hensinger im überlebenswichtigen Interesse seines Vereins Diagnose-Funk der Autorengruppe widersprechen.

Was ändert sich mit 5G?

Rund 30 Jahre nach Einführung des GSM-Mobilfunks (2G) ist der Wissensstand über gesundheitliche Auswirkungen aller bisherigen Mobilfunksysteme naheliegenderweise detailreicher als über das 2019 gestartete 5G. Hinzu kommt: Mit jedem neuen Mobilfunksystem nimmt die technische Komplexität zu, was sich auf die Erforschung gesundheitlicher Auswirkungen verzögernd auswirkt. Die Frage "Was ändert sich mit 5G?" kann deshalb gegenwärtig nur die Momentaufnahme eines unfertigen Puzzles sein. Gesellschaftlich tolerierbar ist die weltweite Einführung von 5G trotz fehlender Puzzleteile, weil die Mehrheit der Wissenschaftler vom Fach keinen ernsthaften Anfangsverdacht hegt, 5G könnte sich anders auf Mensch und Umwelt auswirken, als alle vorangegangenen Mobilfunksysteme. Eine Minderheit akademischer Mobilfunkkritiker sieht dies anders. Deren Stimmen verlieren jedoch ebenso an Bedeutung wie (verfehlte) Weltuntergangsprognosen, wenn man bedenkt, dass es im Kern stets dieselben Mahner und Warner sind, die sich seit GSM mit jedem neu aufkommenden Mobilfunksystem gebetsmühlenartig zu Wort melden. Bislang hat sich keine ihrer düsteren Befürchtungen bestätigt, obwohl frühe Befürchtungen, Funkwellen könnten zu Zahnausfall, Haarausfall und Irrsinn führen, bereits älter als 100 Jahre sind.

Genug der Vorrede. Was Röösli et al. in ihrem Artikel konkret über die künftige Exposition der Bevölkerung mit 5G zu sagen haben lautet:

[...] Wie sich die Einführung von 5G gesamthaft auf die Exposition der Bevölkerung auswirken wird, hängt von den zukünftigen Applikationen ab, die zurzeit noch weitgehend unbekannt sind. So war bei der Einführung von 2G auch nicht vorhersehbar, dass Textnachrichten eine wichtige Anwendung dieser Technologie sein würden. Danach schaffte der 3G-Standard die Voraussetzungen für die Nutzung von Smartphones, welche einige Jahre später entwickelt wurden.

Grundsätzlich führt, unabhängig von 5G, die zunehmende mobile Datennutzung zu einem erhöhten Bedarf an Mobilfunkbasisstationen. 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab [6]. Eine weitere Neuerung von 5G sind adaptive Antennen. Das bedeutet, dass gezielt in die Richtung der Datennutzung gesendet wird. Je höher die Frequenz, desto gezielter kann die Senderichtung eingestellt werden. Bei den 5G-Frequenzen um 3,5 GHz kann der Sendewinkel auf etwa 10° reduziert werden, während konventionelle Antennen typischerweise einen Sendewinkel von 60 bis 120° besitzen. Mit diesem sogenannten „Beamforming“ kann zeitlich begrenzt die Exposition am Ort von starker Datennutzung ansteigen. Jedoch nimmt sie in allen anderen Gebieten ab. Simulationsstudien kommen zum Schluss, dass die durchschnittliche Exposition bei adaptiven 5G-Antennen bei gleicher übermittelter Datenmenge rund 2- bis 5-mal geringer ist als mit den heutigen Technologien [5, 7]. Zudem sind die Emissionen von 5G-Mobilfunkbasisstationen im Stand-by-Betrieb geringer als bei älteren Technologien.

Die zunehmende mobile Datennutzung und die damit verbundene Nutzung von höheren Frequenzen für 5G wird zu einer Zunahme von Mobilfunkbasisstationen führen. Das muss aber nicht notwendigerweise eine Zunahme der Bevölkerungsexposition gegenüber HF-EMF nach sich ziehen. So kam eine Simulationsstudie für die Schweiz zum Schluss, dass mehr Mobilfunkbasisstationen, d. h. eine Reduktion des Zellenradius, zu einer Verringerung der Gesamtexposition von Mobilfunknutzenden um einen Faktor 2–10 führen [5]. Der Hauptgrund liegt darin, dass in einem dichteren Netz die Signalqualität besser ist und damit die Sendeleistung des eigenen Mobiltelefons geringer ausfällt. Je nach Art der Technologie und Art der Nutzung kann der Unterschied durch diese Leistungsregelung einen Faktor von 100000 oder mehr ausmachen [8].

Wird fortgesetzt ...

[Admin: Am Beginn des Zitats von Röösli et al. Absatz eingefügt am 12.08.2022]

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2.1 Hensinger vs. Röösli: "massiver Anstieg der Belastung"

H. Lamarr @, München, Samstag, 13.08.2022, 01:34 (vor 615 Tagen) @ H. Lamarr

Wie sich die Einführung von 5G gesamthaft auf die Exposition der Bevölkerung auswirken wird, hängt von den zukünftigen Applikationen ab, die zurzeit noch weitgehend unbekannt sind. So war bei der Einführung von 2G auch nicht vorhersehbar, dass Textnachrichten eine wichtige Anwendung dieser Technologie sein würden. Danach schaffte der 3G-Standard die Voraussetzungen für die Nutzung von Smartphones, welche einige Jahre später entwickelt wurden.

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

Unbekannt ist jedoch fast nichts. Zur Realisierung der digitalen Transformation soll alles mit allem vernetzt dauernd funken.(3) Röösli selbst konzediert einen „erhöhten Bedarf an Mobilfunkbasisstationen“, die Milliarden Geräte des Internets der Dinge vernetzen sollen, den autonomen Auto-, Bus-, Straßenbahn- und Zugverkehr, die Streitkräfte und Sicherheitsorgane, drahtlose Bezahlsysteme, WLAN in Schulen und Behörden, Videostreaming und nicht zuletzt Smartphones im Dauerbetrieb. Das wird zu einem massiven Anstieg der Belastung führen.

Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich den Stuttgarter in zehn Jahren an seine Worte erinnern, von den dann praktizierten 5G-Anwendungen sei im Jahr 2022 fast nichts unbekannt gewesen :-).

Das Internet der Dinge (IoT) hat ursächlich nichts mit 5G zu tun. Ein Großteil der Milliarden "IoT-Geräte" werden batteriebetriebene IoT-Sensoren sein, die häufig so selten und so wenige Daten per Funk senden, dass selbst GSM dies noch bewältigen könnte, gäbe es inzwischen nicht so viele dieser Sensoren und wäre GSM nicht so stromhungrig. IoT-Sensoren nutzen gegenwärtig z.B. auf LTE den Kanal Narrowband-IoT (NB-IoT) gerne auf tiefen Trägerfrequenzen wegen der hohen Reichweite und der guten Gebäudedurchdringung. Sind Datenrate und Latenzzeit von NB-IoT zu schwach, kommt mit besseren Leistungsdaten z.B. LTE-M ins Spiel (M wie Maschinen). Klar, auch 5G kann IoT, und wie! Gegenwärtig schafft 5G im SA-Betrieb maximal eine Datenrate von etwa 3 Gbit/s, später sollen es mehr werden. Und jetzt nehmen wir in einer kleinen Modellberechnung an, das 5G-IoT-Funkmodul in einem Funk-Wasserzähler sendet den Zählerstand minütlich mit einem 1-kbit-Datenpaket. Der 5G-Funkkanal wäre mit diesem kleinen Datenpaket für ganze 0,33 µs aktiv. Das ist 300'000-Mal kürzer als ein Wimpernschlag! Oder anders gesagt: Unser flotter 5G-Funkkanal könnte die Datenpakete von 3 Mio. Funk-Wasserzählern in nur 1 s übertragen.

Mit der Modellberechnung will ich sagen: Hensingers Milliarden IoT-Geräte wird es mutmaßlich tatsächlich geben, daraus aber den Schluss zu ziehen, 5G-Mobilfunknetze würden ständig unter Volllast brummen, ist mit Sicherheit falsch. Zumal IoT in der Industrie nicht in öffentlichen 5G-Funknetzen stattfinden wird, sondern in 5G-Campusnetzen auf Firmengelände. Die Überlegung, dass 5G mit seiner hohen Datenrate die Übertragungszeit verkürzt und damit auch die Zeitspanne, in der ein 5G-Funkkanal "auf Sendung" ist, gilt auch für alle anderen von Hensinger vorgetragenen 5G-Anwendungen. Was ist schon dabei, angelt sich ein Sitznachbar in wenigen EMF-emmissionsrelevanten Sekunden einen 90-minütigen Spielfilm, um sich den anschließend offline anzuschauen? Dazu muss man wissen: Ungenutzt ist ein 5G-Funkkanal nahezu emissionsfrei (Quelle).

Was "WLAN in Schulen und Behörden" mit 5G zu tun haben soll, wollte sich mir nicht erschließen. Ebenso wenig der "Dauerbetrieb von Smartphones", dem im 5G-Modus die begrenzte Akkukapazität schnell ein Ende setzen wird.

Fazit

In dieser Erwiderung transformiert der Herausforderer seine persönliche Meinung ohne jeden Beleg in die Tatsachenbehauptung "Das wird zu einem massiven Anstieg der Belastung führen". Als Meinung könnte man dies unwidersprochen gelten lassen, als Tatsachenbehauptung nicht. Mag schon sein, dass wegen neuer flächendeckend verfügbarer 5G-Anwendungen die EMF-Exposition der Bevölkerung zunehmen wird, doch um wie viel, das weiß heute niemand. Möglicherweise stuft der Herausforderer auch nur eine bescheidene Zunahme um fünf Prozent schon als "massiv" ein. Eines aber ist sicher: Eine Überschreitung der zulässigen Expositionsgrenzwerte gemäß 26. BImSchV wird es nicht geben, und weil diese bislang in aller Regel nur wenig ausgeschöpft werden, ist noch reichlich Platz nach oben.

Fürs Protokoll: Der Herausforderer leistet sich mit der Behauptung "Röösli selbst konzediert einen 'erhöhten Bedarf an Mobilfunkbasisstationen'" eine kleine Zitatverfälschung durch Weglassung. Denn Röösli fährt im Original fort mit: "Das muss aber nicht notwendigerweise eine Zunahme der Bevölkerungsexposition gegenüber HF-EMF nach sich ziehen. So kam eine Simulationsstudie für die Schweiz zum Schluss, dass mehr Mobilfunkbasisstationen, d. h. eine Reduktion des Zellenradius, zu einer Verringerung der Gesamtexposition von Mobilfunknutzenden um einen Faktor 2–10 führen [5]."

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer

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2.1.1 Hensinger vs. Röösli: "Unbekannt ist jedoch fast nichts"

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 20.10.2022, 20:43 (vor 546 Tagen) @ H. Lamarr

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

Unbekannt ist jedoch fast nichts. Zur Realisierung der digitalen Transformation soll alles mit allem vernetzt dauernd funken.(3) Röösli selbst konzediert einen „erhöhten Bedarf an Mobilfunkbasisstationen“, die Milliarden Geräte des Internets der Dinge vernetzen sollen, den autonomen Auto-, Bus-, Straßenbahn- und Zugverkehr, die Streitkräfte und Sicherheitsorgane, drahtlose Bezahlsysteme, WLAN in Schulen und Behörden, Videostreaming und nicht zuletzt Smartphones im Dauerbetrieb.

Unbekannt ist Herrn Hensinger offensichtlich geblieben, was BMW in seinem Leipziger Werk vorhat. Täglich rollen hier rund 1000 neue Fahrzeuge vom Band. Auf dem Weg zu einer vollvernetzten Fabrik betreibt BMW in den Produktionshallen ein lokales 5G-Netz (Campusnetz), um die Möglichkeiten der 5G-Technik für die Autoproduktion zu testen. Erstmals kommt dort nun auch ein neuartiges hochpräzises 5G-Positionierungssystem unter Live-Bedingungen zum Einsatz. Maschinen, Werkzeuge, Autos und Ersatzteile können damit jederzeit mittels 5G und Edge-Computing in Echtzeit hochpräzise geortet werden. Das 5G-Positionierungssystem, das Vodafone gemeinsam mit Nokia testet, soll auf zwei rund 4500 Quadratmeter großen Flächen in der Montagehalle und im Logistikzentrum die Transparenz im Produktionssystem erhöhen und die Automatisierung von Prozessen und Qualitätskontrollen unterstützen.

[image]◄ 5G-Positionierungstechnik im BMW-Werk Leipzig.
Bild: BMW

Mehr als 5300 Beschäftigte gehen im Werk in Leipzig täglich ihrer Arbeit nach. Unterstützt von autonom fahrenden Fahrzeugen, die tausende Werkzeuge und Ersatzteile im Minutentakt über das Werksgelände transportieren. Um diese Prozesse zu optimieren, bedarf es einer hochpräzisen Positionierung aller Geräte, Fahrzeuge und Maschinen. Doch die Lokalisierung in Produktion und Logistik ist herausfordernd. Zum einen kommt häufig eine Vielfalt unterschiedlicher Ortungstechnologien (beispielsweise Bluetooth Low Energy, WiFi, RFID, iBeacon) zum Einsatz. Zum anderen spielen die räumlichen und technischen Gegebenheiten vor Ort eine große Rolle und haben Einfluss auf die verwendete Technik und die Qualität der Ortungsdaten.

Die neue 5G-Positionierungstechnik, die Vodafone gemeinsam mit Nokia testet, könnte künftig das wichtigste Ortungssystem für zentimetergenaue Ortung werden. Dabei werden in Echtzeit über zeit- und winkelbasierte Messungen die Positionen berechnet. Somit kann jedes mit 5G ausgestatte Objekt auch in Indoor-Anlagen hochpräzise geortet werden. Bei dem Pilotprojekt im Leipziger BMW-Werk werden zunächst fahrerlose Transportfahrzeuge, Paletten mit Autoteilen und höherwertige Werkzeuge mit 5G-Technik versehen. Aber auch für Werkskräfte verspricht die Positionierungstechnologie zukünftig erhöhte Sicherheit und Ergonomie im Arbeitsalltag.

Quelle: Vodafone-Pressemitteilung vom 18. Oktober 2022

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2.2 Hensinger vs. Röösli: "Dauerexposition durch Beamforming"

H. Lamarr @, München, Sonntag, 14.08.2022, 17:44 (vor 613 Tagen) @ H. Lamarr

Eine weitere Neuerung von 5G sind adaptive Antennen. Das bedeutet, dass gezielt in die Richtung der Datennutzung gesendet wird. Je höher die Frequenz, desto gezielter kann die Senderichtung eingestellt werden. Bei den 5G-Frequenzen um 3,5 GHz kann der Sendewinkel auf etwa 10° reduziert werden, während konventionelle Antennen typischerweise einen Sendewinkel von 60 bis 120° besitzen. Mit diesem sogenannten „Beamforming“ kann zeitlich begrenzt die Exposition am Ort von starker Datennutzung ansteigen. Jedoch nimmt sie in allen anderen Gebieten ab.

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

Rööslis Formulierung zur 5G-Beamforming-Übertragung ist eine verharmlosende Halbwahrheit: „Mit diesem sogenannten ‚Beamforming‘ kann zeitlich begrenzt die Exposition am Ort von starker Datennutzung ansteigen“ (S. 534). Doch der Anstieg wird nicht nur zeitlich begrenzt sein, sondern das angestrebte ‚always-on‘ führt zum Gegenteil: einer steigenden Dauerexposition. Das Beamforming, ein hochenergetischer gebündelter Strahl, wird vorherrschend. Die Realsituation: In der Haupteinkaufsstraße nutzen zur gleichen Zeit viele Menschen ihr Smartphone, alle werden von Beams verfolgt, und die Beams werden keinen Bogen um nebenstehende Personen machen.

Mobilfunk ohne Beamforming

Bis zur Einführung von Beamforming wurde der Versorgungsbereich um einen Funkmasten in aller Regel mit drei Sektorantennen (Abstrahlwinkel horizontal 120°) annähernd kreisförmig mit drei Funkzellen abgedeckt. Die am Zellenrand erforderliche Empfangsfeldstärke für die störungsfrei Nutzung der Mobilfunkdienste bestimmte die Strahlungsleistung der Antennen. Bei großen Funkzellen war diese höher als bei kleinen Funkzellen. Gemäß Abstandsgesetz 1/r² verringerte sich die Immission in einer Funkzelle mit zunehmendem Abstand zu den Antennen homogen, im Nahbereich der Antennen verursachten unerwünschte "Nebenkeulen" eine inhomogene Feldverteilung mit mehreren Minima und Maxima. Entscheidend ist: Abgestrahlt wurde die Strahlungsleistung zeitlich und räumlich weitgehend konstant. Alle Personen, die sich in einer Funkzelle aufhielten wurden deshalb von einem Funkmasten dauerhaft befeldet, egal ob sie ein Mobiltelefon nutzten oder nicht. Am Zellenrand war diese Dauerbefeldung durch den Funkmasten schwächer als im Zellenzentrum. Umgekehrt war die Befeldung einer Person durch ein benutztes Mobiltelefon am Zellenrad höher als im Zellenzentrum, die Gründe dafür waren Zellatmung und die zur Überbrückung der größeren Distanz zum Funkmasten erforderliche höhere Sendeleistung des Mobiltelefons.

Bildlich ausgedrückt: Ohne Beamforming bedient ein Funkmast sein Versorgungsgebiet nach dem Gießkannenprinzip.

Mobilfunk mit Beamforming

Beamforming ändert die beschriebene Situation mit der Abkehr vom Gießkannenprinzip grundlegend. Eine "adaptive Antenne" bedient ihre Funkzelle jetzt nicht mit einem einzigen breitflächigen Funkstrahl für alle Teilnehmer in der Funkzelle, sondern mit mehreren (z.B. acht) schmalen Funkstrahlen (Beams), die sich elektrisch verzögerungsfrei und gezielt auf aktive Teilnehmer in der Funkzelle ausrichten lassen. Ist ein aktiver Teilnehmer mobil (z.B. Fußgänger) folgt ihm ein Beam auf seinem Weg durch die Funkzelle. Bewegt sich der Teilnehmer zum Zellenrand, hebt der Funkmast die Strahlungsleistung des Beams (in den Versorgungsmomenten des Teilnehmers) an, kommt der Teilnehmer dem Funkmast näher, reduziert dieser die Strahlungsleistung. Um wesentlich mehr als z.B. nur acht Teilnehmer bedienen zu können, werden die Beams im Zeitmultiplexverfahren betrieben. Ein Funkmast versorgt Teilnehmer dann nicht kontinuierlich mit Daten, sondern nur in den "Zeitschlitzen" (Versorgungsmomenten), die er einem Teilnehmer zugewiesen hat.

Bildlich ausgedrückt: Mit Beamforming bedient ein Funkmast sein Versorgungsgebiet gezielt dort, wo Teilnehmer Mobilfunkdienste anfordern.

Wer sich den geschilderten Sachverhalt durch den Kopf gehen lässt, kommt wie Röösli et al. zwangsläufig zu der Erkenntnis: Dort, wo in einer Funkzelle mit Beamforming Mobilfunkdienste angefordert werden, ist die Immission höher als an Stellen, wo dies nicht der Fall ist. Unbeteiligte Passanten oder Anwohner werden daher mit Beamforming weniger stark befeldet als in herkömmlichen Funkzellen ohne Beamforming. Damit geht ein alter Wunsch überzeugter Mobilfunkgegner in Erfüllung.

Die Irrtümer des Herausforderers

Wie schon in 2.1 gezeigt ist Hensingers Darstellung, Beamforming führe zu einer steigenden Dauerexposition nicht mehr und nicht weniger als eine unbelegte persönliche Vermutung des Herausforderers. Abwegig ist insbesondere der angsteinflößende Begriff "Dauerexposition", denn wie oben gezeigt, ist eine Dauerexposition typisch für die älteren Funktechniken GSM, UMTS und LTE gewesen, für Beamforming ist hingegen typisch, dass es gerade keine Dauerexposition bewirkt, sondern die Exposition zeitlich und räumlich so dosiert, dass die unnötige Bereitstellung von Strahlungsleistung im Versorgungsbereich minimiert wird. Was sich übrigens auch positiv auf den Strombedarf von adaptiven Antennen auswirkt.

Von der Lust des Herausforderers an dramatischen Formulierungen zeugt auch sein Satz: "Beamforming, ein hochenergetischer gebündelter Strahl, wird vorherrschend." Das klingt nach den todbringenden Laserschwertern in Krieg der Sterne. Hochenergetische Strahlen werden adaptive Antennen jedoch nie aussenden, dazu fehlt der schneidende Bedarf, die Bündelung auf Öffnungswinkel < 10° wird mit steigenden Trägerfrequenzen und mit adaptiven Antennen, die auf gleicher Fläche mehr Dipole unterbringen als heute, jedoch keine Fiktion bleiben.

Noch fehlen schlagende Beweise

Dem diffusen Bedrohungsszenario, das Hensinger dem Beamforming andichtet, hätte ich gerne nicht nur Überlegungen vom grünen Tisch entgegen gestellt, sondern konkrete aussagekräftige Ergebnisse von Messkampagnen. Denn die oben angestellten Überlegungen bilden das Immissionsgeschehen um adaptive 5G-Antennen nicht vollständig ab. So fehlt z.B. die Betrachtung der Signalisierung (SSB), die bei 5G zwar keinen dominanten Beitrag zur Immission liefert, bei einer realistischen Betrachtung aber nicht unterschlagen werden darf. Interessant wäre auch eine detaillierte Betrachtung des Zeitmultiplexverfahrens, denn dieses führt dazu, dass alle Teilnehmer in einer Funkzelle von einem Funkmasten nur häppchenweise bedient werden, wobei die strahlungsfreien Lücken im Datenfluss so klein sind, dass die Teilnehmer sie nicht bemerken. Der Zeitmultiplex bewirkt zudem selbst in einer randvollen Funkzelle, dass, abhängig von der Anzahl der Beams, nur ganz wenige Teilnehmer gleichzeitig direkt befeldet werden.

Diese und andere Einflussfaktoren auf die Exposition lassen sich messtechnisch glaubhafter und zuverlässiger erfassen als durch verwinkelte theoretische Überlegungen. Doch noch ist Beamforming mit adaptiven Antennen nicht weit genug verbreitet, als dass Messkampagnen ein wirklichkeitsgetreues Abbild der Exposition liefern könnten, wie es bei Vollausstattung von Ballungszentren mit der neuen Technik gegeben ist. Zudem genügt es nicht, allein die Exposition durch die adaptiven Antennen von Funkmasten zu betrachten, weil dies den zunehmenden Beitrag der Mobiltelefone an der Gesamtexposition völlig außer Acht lässt.

Bisherige 5G-Messkampagnen (Beispiel) zeigen auch für Beamforming nur einen unauffälligen Anstieg der Exposition durch die Funkmasten. Erklärt wird dieses Ergebnis mit der gegenwärtig noch geringen Nutzung adaptiver Antennen durch 5G-taugliche Smartphones im 3,6-GHz-Band. Aus technischen Gründen ist Beamforming Trägerfrequenzen ab etwa 3,6 GHz vorbehalten. Ob Netzbetreiber hierzulande im 3,6-GHz-Band ausschließlich Beamforming betreiben oder teilweise darauf verzichten ist mir nicht bekannt, auch nicht, ob Beamforming an 5G-Smartphones besondere Anforderungen stellt, die möglicherweise nicht jedes Modell erfüllt.

Fazit

Das von Hensinger belegfrei vorgetragene populistisch überhöhte Bedrohungsszenario durch Beamforming hält einfachen theoretischen Überlegungen nicht stand. Ob der Herausforderer auch von Messkampagnen widerlegt wird, ist gegenwärtig noch offen.

Im Bestreben organisierter Mobilfunkgegner, die Bevölkerung nach Einführung einer neuen Mobilfunktechnik mit Meldungen über eine zunehmende Exposition zu beunruhigen, steckt ohnehin ein grundsätzlicher Denkfehler. Diesen begehen alle, die gebannt allein auf die Exposition starren und das mit Mobilfunk übertragene Datenvolumen unbeachtet lassen. Eine Analogie mag den Einwand verdeutlichen. Betrachten wir dazu fiktiv den Wasserverbrauch einer Großstadt über einen längeren Zeitraum hinweg. Wer dann beklagt, die verschwenderischen Bewohner der Stadt würden zunehmend mehr Wasser verbrauchen, ohne die Bevölkerungsentwicklung der Stadt berücksichtigt zu haben, dem darf getrost eine "Milchmädchenrechnung" vorgehalten werden.

Eine kompetente faire Langzeitbetrachtung der Expositionsentwicklung von Funkfeldern kommt um die Einbeziehung der Datenvolumenentwicklung im Mobilfunk nicht umhin. Wie das sachkundig zu machen wäre will mir spontan zwar nicht einfallen, in der Literatur lässt sich dazu aber wahrscheinlich etwas aufstöbern. Den Herausforderer haben solche Fragen nicht beschäftigt. Auf den sieben Seiten von Hensingers Artikel konnte ich das Wort Datenvolumen oder dessen unsinniges Synonym Datenverbrauch jedenfalls nicht finden. Das finde ich beunruhigend.

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

2.3 Hensinger vs. Röösli: Beweise für Strahlungsanstieg

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.08.2022, 22:28 (vor 606 Tagen) @ H. Lamarr

[...] 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab [6]. [...]

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

Rööslis beruhigende Aussage, dass „5G effizienter ist als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab“, ist eine weitere Halbwahrheit, denn wir haben hier einen Rebound-Effekt, das heißt, die einzelne Datenübertragung ist effizienter, aber die explodierenden Datenmengen führen zu einer höheren elektromagnetischen Strahlungsdichte – dies wird durch erste Messungen bestätigt.

Hensingers Vorwurf ist formal gesehen stimmig, denn die Datenübertragung mit 5G soll gemäß Nokia tatsächlich bezogen auf gleiche Datenmengen um bis zu 90 Prozent energieeffizienter sein als 4G. Aber: Nokia hat als Netzwerkausstatter kommerzielles Interesse, 5G möglichst gut aussehen zu lassen. Die Aussage "um bis zu 90 Prozent" dürfte sich daher auf bestmögliche Bedingungen beziehen, die im Alltag selten gegeben sind. Außerdem betrachtet Nokia allein das Radio-Access-Network (Ran), also das Funkzugangsnetz eines Mobilfunknetzes ohne das Kernnetz mit allen seinen Komponenten. Hinz und Kunz werden sich deshalb wohl mit weniger als 90 Prozent zufrieden geben müssen. Andere (z.B. Fraunhofer IAO) schreiben, die Energieeffizienz werde in der Regel in bit/Joule gemessen und soll sich, verglichen mit dem Mobilfunkstandard 4G, bei 5G um den Faktor 100 verbessern. Das wäre dann aber nicht um 90 Prozent energieeffizienter, sondern um sage und schreibe 9900 Prozent! Wir merken schon, sich mal eben schnell zwischen Tür und Angel über den Effizienzgewinn von 5G schlau zu machen, das führt ins Chaos. Gehen wir also auf Nummer sicher und bleiben bei der Pauschalaussage, 5G sei effizienter als 4G.

Ins Schleudern gerät Hensinger, wenn er den zweifelsfrei vorhandenen negativen Rebound-Effekt allein mit "explodierenden" (?) Datenmengen erklärt. Denn zum Rebound-Effekt tragen einer Studie zufolge auch die wachsende Netzwerkdichte bei (mehr Basisstationen), die starke Abhängigkeit 5Gs von IT-Systemen und -Infrastrukturen sowie die höhere Netzwerknutzung durch die 5G-interne Signalisierung. Was der Herausforderer komplett unterschlägt ist der positive Enablement-Effekt (fördernder Effekt) von 5G, der sich auftut, starrt man nicht mit Tunnelblick allein auf 5G-Netze, sondern bezieht deren Auswirkungen auf unser Berufs- und Privatleben mit ein. Was ich damit meine zeigt eine Grafik aus dieser aktuellen Studie.

Im Graben ladet Hensinger schließlich mit seinem Vorwurf, Rööslis Feststellung zur Energieffizienz von 5G sei eine "Halbwahrheit". Denn das ist sie ohne Wenn & Aber nicht, weil Röösli seine Feststellung auf eine bestimmte Datenmenge normiert und damit vom Datenwachstum entkoppelt. Hensingers Einwand kommt damit dem Witz nahe, in dem eine Blondine sagt, der zunehmend höhere Spritpreis sei ihr egal, sie tanke ohnehin immer nur für 20 Euro :-).

Glücklicherweise zweifelt der Herausforderer die Behauptung von Röösli et al. nicht grundsätzlich an, wegen der höheren Energieeffizienz von 5G würden die Emissionen (pro Dateneinheit) abnehmen. Denn damit hätte er mich auf dem linken Fuß erwischt. Rööslis Quellenangabe führt zu dem bekannten Schweizer "Bericht Mobilfunk und Strahlung", dort konnte ich jedoch nichts finden, was eine höhere Energieeffizienz von 5G kausal in Zusammenhang bringt mit abnehmenden Emissionen. Wahrscheinlich stimmt die Behauptung von Röösli et al., eine Quelle, welche die Herleitung des Zusammenhangs plausibel macht, wäre mir jedoch willkommen gewesen.

Hensinger setzt sein oben begonnenes Zitat fort ...

[...] Koppel et al. 4 veröffentlichten ihre Messreihe im Umfeld einer Ansammlung von Basisstationsantennen in Stockholm, die in geringer Höhe, nah an den Köpfen der Fußgänger, montiert sind. Das Ergebnis: Der Mittelwert über alle Sendeanlagen beträgt 12,1 V/m (= 388.355 μW/ m²) und der Maximalwert 31,6 V/m (= 2.648.700 μW/m²). [...]

Zu diesem angeblichen Messbeleg Hensingers für eine höhere elektromagnetische Strahlungsdichte von 5G infolge "explodierender" Datenmengen gibt es eine Menge zu sagen.

► Wichtigster Einwand: Die Messungen von Koppel et al. fanden am Nachmittag des 14. Januar 2019 statt. Zu diesem Zeitpunkt gab es in ganz Schweden noch gar kein 5G! Die ersten 5G-Netze Schwedens gingen erst im Mai 2020 in Betrieb, ein kleines Test-5G-Netzwerk von 3 Sweden gab es zwar schon 2019 in Stockholm, jedoch erst gegen Jahresende. Was der Herausforderer hier als Beleg für eine zunehmende EMF-Strahlungsdichte als Folge von 5G anbietet ist keiner, das Papier beweist eher das Gegenteil.

► Co-Autoren von Tarmo Koppel waren Mikko Ahonen, Michael Carlberg und Lennart Hardell. Alle drei Co-Autoren beteiligten sich entweder an dem 5G-Space-Appell des schrägen US-Amerikaners Arthur Firstenberg oder an dem Anti-5G-Appell von Hardell und Nyberg. Zweifel an der Ergebnisoffenheit der Co-Autoren sind daher zulässig.

► Das von Koppel verwendete Breitbandmessgerät Narda NBM-52 ist ein Profimodell für den Frequenzbereich 100 kHz bis 3 GHz. Gemessen wurde mit einer omnidirektoralen Feldsonde. Damit eröffnen sich die typischen Risiken von Breitbandmessgeräten für Messfehler, nämlich die Messung von Emissionen, die nichts mit Mobilfunk zu tun haben (z.B. Rundfunk- und TV-Sender, Schiffsradar, Smartphones von Passanten, Behördenfunk usw).

► Wer dieses Bild vom Ort der Messungen betrachtet, erkennt auf Anhieb den Ausnahmecharakter dieses Messprojekts.

► Was Hensinger irreführend Mittelwert und Maximalwert nennt, sind in Wahrheit in beiden Fällen gemessene Maximalwerte! Der Median der Mittelwerte liegt bei 3,5 V/m, der Median der Maximalwerte bei 5 V/m. Koppel hatte die Messzone in 33 quadratische Zellen aufgeteilt und in jeder Zelle 1 Minute mit der Schwenkmethode in 1 m bis 1,8 m Höhe über Grund gemessen, wobei das Messgerät den höchsten gemessenen Maximalwert und Mittelwert speicherte. Über welchen (beim NBM-52 einstellbaren) Zeitraum der Mittelwert gebildet wurde verrät das Paper nicht.

► Im Original sind die Feldstärkemesswerte umgerechnet im mW/m². Das ergab für Hensinger keine furchterregend hohen Messwerte. Deshalb rechnete er auf µW/m² um, aus z.B. 2648 mW/m² (2,648 W/m²) wurden so ansehnliche 2'648'700 μW/m². Wahrscheinlich bestellt Herr Hensinger im Wurstladen auch nicht 100 g Salami, sondern 100'000'000 µg :-).

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer (eigentlich hätte er wegen Koppel et al. -1 verdient)

Wird fortgesetzt ...

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2.3.1 Hensinger vs. Röösli: Messkampagne Frankreich

H. Lamarr @, München, Montag, 29.08.2022, 12:04 (vor 599 Tagen) @ H. Lamarr

[...] 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab [6]. [...]

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

[...] Die französische Regierung startete eine landesweite Messreihe mit dem Gesamtergebnis eines durchschnittlichen Anstiegs (Mittelwertbetrachtung) der Exposition durch 5G um 16 Prozent und vermutet, „dass die Gesamtbelastung in Gebieten, in denen das 3,5-GHz-Band eingesetzt wird, langfristig um etwa 20 Prozent zunehmen wird“. [...]

Randnotiz: Der Drang des Herausforderers, seine Belege stets eindrucksvollen Autoritäten zuzuordnen (hier: französische Regierung), hat ihm im IZgMF-Forum bereits den Spotttitel "Blähboy" eingebracht. So ist es diesmal nicht die französische Regierung gewesen, die eine landesweite Messkampagne startete, sondern eine ihrer Behörden, konkret die französische Funknetzagentur ANFR (Agence nationale des fréquences).

Auf Sand gebaute Argumentation

Inhaltlich ist die Erwiderung Hensingers wenig aussagekräftig, denn er nennt für den Immissionszuwachs lediglich relative Werte (Prozentangaben). Ein Zuwachs von 16 Prozent oder 20 Prozent bezogen auf 1 V/m ist jedoch etwas ganz anders als ein solcher Zuwachs bezogen auf z.B. 40 V/m. Alleinige Prozentangaben sind daher überall dort sehr beliebt, wo Sachverhalte verschleiert werden sollen. ANFR wollte im Original-Messbericht nichts verschleiern und nennt deshalb auf Seite 24 konkrete Messwerte (Bild):

[image]ANFR hat an unterschiedlichen 5G-Basisstationen gemessen wie sich die Immission am Messpunkt verändert, wenn mit dem Download einer 1 GByte großen Datei eine typische Lastsituation provoziert wird. Die Tabelle nennt den aus 369 Messwerten gebildeten Mittelwert (Average) und Median jeweils für die Lastsituation mit und ohne Download. Gemessen wurde sowohl breitbandig (Case A) als auch selektiv im 3,5-GHz-Band (Case B). Der von Hensinger präsentierte Immissionszuwachs von 16 Prozent schrumpft nun gemäß der Tabelle auf den unbedeutenden Wert von 0,14 V/m (Case B). Dieser bescheidene Zuwachs spielte sich bei ebenso unbedeutenden Absolutwerten der Immission um 1 V/m herum ab!

Der 25-seitige Messbericht nennt noch eine Fülle anderer Messwerte, die ausnahmslos Hensingers Darstellung von einem erheblichen Immissionszuwachs infolge von 5G widerlegen. So zeigte die selektive Messung der Immission an 1062 5G-Basisstationen im 3,5-GHz-Band (nur dort wird Beamforming praktiziert), dass bei 99,7 Prozent der Basisstationen die Immission unter 1 V/m blieb (Seite 17). Nur bei drei (0,3 Prozent) der Stationen wurden Werte bis 3 V/m gemessen.

Fazit: Der Herausforderer versucht mit relativen Wertangaben einen hohen Immissionszuwachs von 16 Prozent und langfristig bis 20 Prozent als Bedrohungsszenario darzustellen. In Anbetracht des bei 3,5 GHz geltenden zulässigen Immissionsgrenzwerts von 61 V/m ist der aus 369 Messungen ermittelte tatsächliche Zuwachs von durchschnittlich 0,14 V/m anlässlich einer typischen Lastsituation (Download einer 1-GByte-Datei) jedoch völlig unbedeutend. Entscheidender als der geringe Zuwachs ist die von ANFR dokumentierte Tatsache, dass die Immission durch 5G im Beamforming-Band 3,5 GHz bislang, gestützt auf mehr als 1000 Messungen, zu fast 100 Prozent unter 1 V/m blieb. Ein von ANFR erwarteter Zuwachs um 20 Prozent ist unter diesen Umständen alles andere als bedrohlich. Peter Hensinger gelang mit dieser Quelle das Kunststück, seinen Standpunkt nicht zu untermauern, sondern sich selbst zu widerlegen. Das Missgeschick passierte dem Herausforderer, weil er entweder nur die Pressemitteilung von ANFR ausgewertet oder einfach von dieser Meldung des IZgMF abgeschrieben hat, den Messbericht der Agentur jedoch nicht anfasste.

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
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2.3.2 Hensinger vs. Röösli: Meßprojekt NRW

H. Lamarr @, München, Montag, 29.08.2022, 22:37 (vor 598 Tagen) @ H. Lamarr

[...] 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab [6]. [...]

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

[...] Eine Messreihe des Landes Nordrhein-Westfalen ergab Maximalwerte von 30,44 V/m (= 2.460.000 μW/m²) in Dortmund, in Köln 14,6 V/m (= 565.000 μW/m²). Das sind extrem hohe Belastungen und 5G-Anwendungen liefern hierzu aufgrund der neuen Antennentechnik (im 3,6 GHz Band) einen überproportional hohen Anteil. [...]

Die Messreihe "Elektromagnetische Felder in NRW – Feldmessungen im Umfeld von 5G-Mobilfunksendeanlagen" (Volltext) wurde im Auftrag des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW erstellt und im November 2021 veröffentlicht.

Auf die Umrechnung der Immissionswerte in μW/m² durch Peter Hensinger will ich nicht noch einmal eingehen, bleiben wir also bei der vernünftigen Immissionsgröße elektrische Feldstärke (V/m). Was gibt es an Hensingers Darstellung zu beanstanden?

► Der Herausforderer hat sich von den 40 Messpunkten des Projekts (je vier Messpunkte im Umkreis von zehn 5G-Basisstationen) die zwei herausgepickt, die sich aus seiner Sicht wegen besonders hoher Werte zur Bestätigung seiner Einschätzung eignen. Warum er als Zweitplatzierten Köln nennt (14,6 V/m) und nicht Bonn (15,11 V/m) bleibt sein Geheimnis.

► Hensingers Beurteilung, die beiden Werte wären "extrem hohe Belastungen" zeigt seine Nähe zu wissenschaftlich nicht begründbaren "baubiologischen Richtwerten". Gemessen an den geltenden Referenzwerten gemäß Icnirp beträgt die maximale Grenzwertausschöpfung rd. 47 Prozent und gibt somit keinerlei Anlass zur Sorge.

► Die von Hensinger genannten beiden Werte sind keine Messwerte, sondern auf Vollauslastung der Basisstationen hochgerechnete Werte. Der Unterschied zu tatsächlich gemessenen Momentanimmissionen ist erheblich. So wurden in Dortmund (MP 10.3) statt 30,44 V/m nur 2,94 V/m gemessen, in Köln (MP 6.1) statt 14,6 V/m nur 0,69 V/m.

► Der Messpunkt (MP 10.3) in Dortmund liegt horizontal nur 32 Meter von der Antenne entfernt, Sichtverbindung und der flache Vertikalwinkel von 14° zwischen Sendeantenne und Messpunkt erklären die höhere Exposition.

► Die von Hensinger genannten Werte bilden die Gesamtimmission ab, darin enthalten sind Immissionsanteile von GSM, LTE, DSS (Dynamische Spektrumaufteilung zwischen 4G und 5G) und von 5G im 3,6-GHz-Band. Hensingers Behauptung, "5G-Anwendungen liefern hierzu aufgrund der neuen Antennentechnik (im 3,6 GHz Band) einen überproportional hohen Anteil" trifft nur auf die Ausnahmesituation Vollauslastung zu (siehe Seite 62, Tabelle 3.17). Im Normalfall prägen LTE/GSM die Immission, was auf die (noch) geringe 5G-Netzauslastung zurückzuführen ist (siehe Seite 62, Tabelle 3.18).

► Da die 5G-Netzauslastung zum Zeitpunkt der Messungen noch schwach war, wurde bei sechs der zehn untersuchten Basisstationen an den Messpunkten eine typische Lastsituation herbeigeführt (Streamen des ARD-TV-Programms), um realistischere Messwerte zu bekommen. Die Ergebnisse sind auf Seite 57, Tabelle 3.14, ersichtlich. In Köln (MP 6.1) führte die Lastsituation zu 0,31 V/m, in Dortmund (MP 10.3) zu 1,15 V/m.

Fazit: Der Herausforderer betreibt Rosinenpickerei, indem er sich aus dem Messbericht zwei hohe Immissionswerte angelt und den falschen Eindruck erweckt, dabei handle es sich um gemessene Maximalwerte. Tatsächlich sind es auf Volllast hochgerechnete Werte. Verboten ist diese Darstellung nicht, sie gibt jedoch einen extremen Betriebszustand einer 5G-Basisstation wieder. Üblicherweise heißt es, Basisstationen würden nur selten unter Volllast arbeiten, genauere Abgaben sind nur dem jeweiligen Netzbetreiber bekannt. Momentan gemessene Immissionen im 3,6-GHz-Band lagen um mindestens Faktor zehn unter den Maximalwerten. Die Autoren des Messberichts führen diese niedrigen Messwerte auf die seinerzeit geringe Nutzung des 3,6-GHz-Bandes zurück. Eine gezielt abgerufene typische Lastsituation wirkte sich jedoch nur wenig auf die gemessene Immission aus (siehe Grafik). Die Grafik visualisiert auch, wie verzerrt Hensingers Fixierung auf zwei der höchsten Maximalwerte das tatsächliche Immissionsgeschehen zum Messzeitpunkt abbildet.

[image]
Bild: Lanuv NRW

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer (diesmal scheiterte er trotz allem nur knapp)

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Tags:
Diagnose-Funk, Hensinger, Irreführung, Irrtum, Faktencheck, Rosinenpickerei, Zweifel säen

Aktuelle Kardiologie: Leserbrief & Replik veröffentlicht

H. Lamarr @, München, Montag, 15.08.2022, 11:03 (vor 613 Tagen) @ H. Lamarr

Im März 2022 erhielt Röösli von der Zeitschrift die Nachricht, Peter Hensinger und zwei Mitglieder des Ärztearbeitskreis digitale Medien Stuttgart hätten bei Aktuelle Kardiologie eine Gegendarstellung in Form eines Leserbriefs eingereicht. Weder der Leserbrief noch Rööslis Erwiderung darauf wurden bisher von der Zeitschrift veröffentlicht.

Am 8. August 2022 veröffentlichte "Aktuelle Kardiologie" in Ausgabe 4/2022 den Leserbrief und die Erwiderung.

► Leserbrief Hensinger et al.: Kritik am Artikel zu 5G: Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Forschung (Volltext)

► Erwiderung, Röösli et al.: Antwort auf den Leserbrief „Kritik am Artikel zu 5G: Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Forschung“ (Volltext)

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Diagnose-funk und Yakymenko, nicht schon wieder....!

Schutti2, Dienstag, 16.08.2022, 18:18 (vor 611 Tagen) @ H. Lamarr

► Erwiderung, Röösli et al.: Antwort auf den Leserbrief „Kritik am Artikel zu 5G: Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Forschung“ (Volltext)

... und Klartext!

Die Ärzte vom Arbeitskreis digitale Medien Stuttgart und der Verein diagnose:funk kritisieren unseren Artikel mit einer Reihe rhetorischer Manöver: Strohmann-Argumente, Rosinenpickerei, Diskreditierung und Intransparenz bezüglich der eigenen Interessenkonflikte.
[...]
2. Rosinenpickerei: Die auf elektromagnetische Felder (EMF) spezialisierte Literaturdatenbank EMF-Portal listet 4338 experimentelle oder epidemiologische Originalstudien zu hochfrequenten (HF) EMF auf [1]. Daraus werden in der Korrespondenz einige Studien selektiv zitiert und deren Inhalt verzerrt wiedergegeben. So steht in keiner der zitierten Arbeiten zum oxidativen Stress, dass die gefundenen biologischen Effekte nachweislich die Gesundheit schädigen.

A propos Rosinenpickerei:
Eine immer wieder gern von Diagnose-Funk gepflückte Rosine ist die hier:
"Yakymenko et al. (2015)", muss heißen 2016,
mit dem Titel:
"Oxidative mechanisms of biological activity of low-intensity radiofrequency radiation"
in diesem Leserbrief aus dem Kinderpostamt ist das die Literaturstelle Nr. 12

Dr. Ratto hat zu dieser Publikation kritische Anmerkungen gemacht.
Siehe auch hier.

Igor Yakymenko hat auch Arbeiten zur Wirksamkeit von esoterischen Handy-Strahlenschutzaufklebern veröffentlicht, und er lässt siche seine Forschungen der Einfachheit halber vom Hersteller der Aufkleber bezahlen.
Womit wir beim Interessenkonflikt wären.

Hier mal
ein Link
und
noch ein Link
dazu.

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