Kommerzialisierung der Anti-Mobilfunk-Szene (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 01.02.2015, 22:42 (vor 3343 Tagen)

Der Umweltmediziner Dr. med. J. Mutter fällt durch seinen ausgeprägten Geschäftssinn auf. Nachdem der Versuch scheiterte, in Brasilien eine florierende Funklochklinik für zahlungskräftige Privatpatienten aufzubauen, hat der Mediziner den Schwerpunkt seiner Aktivitäten auf teure Bücher und Vortragsveranstaltungen verlegt.

Jüngster Anlauf ist ein Seminar, das von Dr. Mutter "Sehr geehrten Therapeuten" u. a. per Mail für den 7. und 8. März 2015 in Kirchzarten im großen Saal des maroden Kurhauses angeboten wird. Kosten: 400 Euro, zu überweisen auf das Privatkonto Mutters. Standgebühr für Aussteller: 300 Euro pro Tag.

Irritierend ist folgende Passage aus dem Werbetext, die so gar nicht zu der Zielgruppe "Therapeuten" passen mag:

Für Elektrosensible:
Im Kurhaus ist während der Veranstaltung WLAN ausgestellt, Mikrofon u.a. wird per Kabel
übertragen (nicht per Funk), alle Teilnehmer werden gebeten, ihre Handys, WLAN etc
auszuschalten. Teilnehmer anderer Veranstaltungen werden informiert, nur im
Außenbereich funkbasiert zu telefonieren: Ziel: Mehr Wohlbefinden und Konzentration.

So sinnfrei wie es scheint ist diese Passage jedoch nicht. Denn der Verein für Elektrosensible, München, bewirbt erstaunlicherweise Mutters Veranstaltung auf seiner Website. Wer sich beeilt, findet im Google Cache vom 8. Januar 2015 noch die üppige Langfassung der Werbung, in der die zitierte Passage, die im Originaltext weiter unten steht, nach ganz oben geholt wurde. Der Verein will offensichtlich "Elektrosensible" zur Teilnahme an der Veranstaltung animieren. Heute ist diese Langfassung bei den Elektrosensiblen nicht mehr zu sehen, sie wurde Anfang Februar gegen eine Kurzfassung mit PDF ersetzt.

Der Verein ist gegenüber seinen Mitgliedern rücksichtslos, denn was sollen überzeugte "Elektrosensible" auf einer teuren Veranstaltung, auf der es u.a. um Folgendes geht (Original-Wortlaut):

Depressionen/ Burn out/ Schlafstörungen, Borrelien, Parasiten, Folatpush plus Tetrahydrobiopterin bei cerebralen Folatdefizit, GcMAF, PEA, liposomales DMPS für Gehirnentgiftung, GcMAF, Exakte Kieferdiagnostik

Meine Meinung: Sie sollen dort nichts verstehen, sondern zahlen, in ihrem Leiden bestätigt werden und bei den Ausstellern ggf. einkaufen. Ich halte diese Veranstaltung für eine Art Fliegenfalle, um bislang noch nicht ausgebeutete "Elektrosensible" den einschlägigen "Helfern" mit allen persönlichen Daten bekannt zu machen.

Doch es kommt noch gröber!

Ganz unverblümt heißt es im Werbetext unter der falschen Überschrift "empfohlene Vorbereitung":

Lektüre von „Lass Dich nicht vergiften“ vor Beginn des Seminars wird für die Teilnahme am Seminar vorausgesetzt (Kapitel: „Alzheimer“ und „Autoimmunerkrankungen“)
Weiteres u.a.: „ Gesund statt chronisch krank“ Kapitel: „Autismus I“, „Autismus II“,
„Borreliose“, „Impfen“

Voraussetzung für eine Seminarteilnahme (alle Teilnehmer, nicht nur "Elektrosensible") ist damit vorab der Erwerb und die Lektüre von zwei Büchern, zu denen der Werbetext keinen Autor nennt. Das eine Buch kostet rd. 20 Euro, das andere 30 Euro.

Autor beider Bücher ist Dr. Mutter.

Der Geschäftssinn dieses Arztes ist für meinen Geschmack so stark entwickelt, dass ich ihn unter die Rubrik schamlose Geschäftemacher einordne. Schamlos deshalb, weil Dr. Mutter bekanntlich große Anstrengungen unternommen hat, "Elektrosensibilität" als ernst zu nehmende Krankheit zu etikettieren. Der Mann "erzeugt" damit gleichsam "Elektrosensible", die anschließend, so sehe ich das, von skrupellosen Baubiologen, Heilpraktikern und Medizinern nach allen Regeln der Kunst, die hier im Forum an mehreren Stellen konkret beschrieben sind, ausgenommen werden.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Geschäftsidee, Werbung, Buch, Mutter, Autoimmunerkrankung, Kommerzialisierung


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