Belpoggi: Kann eine Mobilfunkgegnerin noch ergebnisoffen sein? (Forschung)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 13.06.2021, 14:28 (vor 1257 Tagen) @ H. Lamarr

Beipflichten kann ich dem nicht, denn meiner Einschätzung nach sind die Vielen lediglich eine Handvoll (vielleicht ein Dutzend) der schätzungsweise weltweit 1000 Wissenschaftler, die sich mit Bioelektromagnetik beschäftigen. Darunter sind eingeschworene Kritiker wie Lennart Hardell und Mitglieder der "BioInitiative", die sich schon seit Jahren systematisch an der ihrer Ansicht nach zu Laschen 2B-Wertung der IARC stoßen und das Thema regelmäßig neu in die Diskussion einschleusen.

Unter den wissenschaftlichen Gewohnheitskritikern befindet sich die Italienerin Fiorella Belpoggi, wissenschaftliche Leiterin des Instituto Ramazzini in Bologna.

Belpoggi hat sich zwischen 2002 und 2016 an fünf von sechs Wissenschaftlerappellen gegen Mobilfunk beteiligt und damit ihre kritische Einstellung zum "Risiko Mobilfunk" zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Belpoggi 2018 bekannt, als das Ramazzini-Institut eine große alarmierende EMF-Rattenstudie publizierte.

Was mich umtreibt ist die Frage: Wie ergebnisoffen kann eine einflussreiche Wissenschaftlerin noch sein, wenn sie sich zuvor ohne Wenn und Aber auf die Seite der Mobilfunkkritiker geschlagen hat? In ihrer Position am Institut hat Belpoggi alle Möglichkeiten, auf Studiendesigns und -auswertungen Einfluss zu nehmen, um das Ergebnis zu bekommen, das zu ihrer Einstellung passt. Womit ich nicht sagen will, dass Belpoggi bewusst Einfluss genommen hat, sondern möglicherweise unbewusst. Dies könnte z.B. schon dadurch passiert sein, dass das Laborpersonal in Bologna unbewusst die bekannte Erwartungshaltung der Chefin erfüllen wollte. Nicht umsonst gelten schließlich in der Wissenschaft Blindstudien als der Goldstandard, damit die persönliche Überzeugung von Forschern zum Gegenstand ihrer Untersuchung bei der Auswertung der Ergebnisse nicht unbewusst zu einer Verfälschung führt.

Auf meine Frage werde ich keine klare Antwort bekommen, denn Belpoggi wird selbstverständlich jegliche Einflussnahme weit von sich weisen, der Verdacht aber bleibt, dass sie um ein paar Ecken herum vielleicht doch Einfluss genommen haben könnte, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Die Problematik, die ich hier andeuten möchte ist nicht auf die Italienerin begrenzt, sie betrifft alle Wissenschaftler, deren Studienergebnisse wegen ihrer Vorgeschichte vorhersehbar sind. Ein typisches Beispiel ist Lennart Hardell. Er findet in jeder Suppe ein Haar. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Schwede jemals eine EMF-Studie vorgelegt hat, die für EMF entlastend ist. Vermutlich liegt dies daran, dass Hardell sich aus dem großen Topf der Studienthemen stets welche heraussucht, die seiner Erwartungshaltung entgegen kommen. Doch damit sind Hardells Studienergebnisse berechenbar, was für Wissenschaftler das Gegenteil von einem Kompliment ist. Dass es auch anders geht hat Alexander Lerchl gezeigt. Der Bremer, für organisierte Mobilfunkgegner jahrelang eine Hassfigur, stürzte seine Kritiker in tiefe Verwirrung, als er 2015 und 2017 mit Studien eine tumorbegünstigende Wirkung von EMF belegte. Urplötzlich passte Lerchl nicht mehr in den ihm zugewiesenen Schubladen der "mobilfunkfreundlichen Wissenschaftler". Er zwang und zwingt damit die Anti-Mobilfunk-Szene zu grotesken Verrenkungen, denn die muss immer wieder neu den schmerzhaften Spagat zwischen der Hassfigur und deren alarmierenden Studien bewältigen.

Nun ist aber auch anzumerken: Die Freund-Feind-Stigmatisierung von Wissenschaftlern ist eine wacklige Angelegenheit, weil sie sich häufig weniger auf Fakten stützt und mehr auf Zuneigung/Abneigung. In der Szene der Mobilfunkgegner hat die Stigmatisierung dennoch große Bedeutung, denn dort entscheiden wenige Anführer für viele Mitläufer, wer als Freund zu sehen ist und wer als Feind. Ziel ist immer die Aufwertung/Abwertung von Personen. Das ist einfach und bequem, entbindet es einen doch von der schwierigen Sachauseinandersetzung mit dem Tun der Personen.

Noch ein Sprung zurück zu den mobilfunkkritischen Wissenschaftlern, die auffällig häufig in den USA und in Italien anzutreffen sind.

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Wieso ausgerechnet in Italien? Eine Erklärung bietet das Eurobarometer 2010, demzufolge in der EU die Italiener das Volk sind, das sich mit deutlichem Abstand am meisten Sorgen über das "Risiko Mobilfunk" macht. Unklar ist, woher diese Angst der Italiener stammt. Mein Verdacht: Auch in der Schweiz sind in der Bevölkerung irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog ungewöhnlich stark. Gemeinsamer Nenner: Italien und die Schweiz haben vor etwa 20 Jahren strenge Vorsorgewerte eingeführt. Dies könnte in der Bevölkerung einen Bumerang-Effekt bewirken, der da lautet: Da Vorsorge gegenüber harmlosen Einflussgrößen unnötig ist, muss mit EMF ein nennenswertes Risiko verbunden sein, wenn sogar die Staatsgewalt Vorsorge für nötig hält. Doch statt die Bevölkerung mit den Vorsorgewerten von Ängsten gegenüber Funkwellen zu erlösen, wird das glatte Gegenteil erreicht. Die Bevölkerung wird überhaupt erst auf das Thema aufmerksam gemacht, sie stellt das Maß der Vorsorge infrage und einige selbsternannte Experten nutzen die Gunst der Stunde, die Zweifel in der Bevölkerung zu ihrem persönlichen Vorteil unablässig zu befeuern. Aus dieser Sicht heraus haben Italien und die Schweiz vor 20 Jahren den Grundstein für ihre Probleme mit Elektrosmog in guter Absicht selbst gelegt.

Wenn Elektrosmog in einer desinformierten und gegenüber staatlichen Maßnahmen misstrauischen Gesellschaft als Problem gesehen wird, liegt es nahe, dass sich auch die Wissenschaft in den betroffenen Ländern stärker als anderswo mit dem Thema befasst. Dies könnte erklären, warum die USA (gespaltenes Land) und Italien (Vorsorgewerte, politisch instabil) so auffallend viele mobilfunkkritische Wissenschaftler haben. Da die Schweiz nicht in der EU ist, fehlt sie im Eurobarometer. Sie hätte dort mMn einen Spitzenplatz eingenommen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Schweiz, Stigmatisierung, Italien, Befangenheit, Ramazzini, Belpoggi, Vorsorgewerte, STOA-Kampagne


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