Matti Niemelä, neuer Belastungszeuge aus Finnland (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Montag, 20.10.2014, 13:18 (vor 3687 Tagen)

Eva W. verbreitet in den einschlägig bekannten Foren die Meldung: "Nokia Technologie-Chef verlor seine Gesundheit" (wir hoffen er findet sie wieder). Darin wird der 44-jährige Matti Niemelä, der 2007 wegen Krankheit bei Nokia ausschied als schwerkranker "Elektrosensibler" geschildert.

Nur zwei Auszüge:

Matti Niemelä, ehemaliger Technologie-Chef bei Nokia, in der Entwicklung der ersten Mobiltelefone seit 1997 tätig, wurde sehr krank durch Mikrowellen-Strahlung.

Also, wenn Nokia ab 1997 mit der Entwicklung der ersten Mobiltelefone für das 1992 in Betrieb genommene GSM beschäftigt war, dann höre ich den Wurm, der in dieser Falschinformation steckt, geradezu knabbern.

Zusätzlich wurde Multiple Sclerosis (MS) diagnostiziert. Einige Studien zeigen, dass Mikrowellenstrahlung das Risiko von MS erhöhen könnte.

Zu dumm: Einige andere Studien zeigen das genaue Gegenteil. Und nun?

Quelle der W.-Meldung ist der Leszczynski-Blog, der wiederum auf eine finnische Zeitung verweist. Vom finnischen ins englische und dann ins deutsche - allein das ist schon ein guter Grund, unverhoffte Richtungswechsel zu befürchten.

Man kann den englischen Text nun zur Kenntnis nehmen wie gestern die Sendung von Günther Jauch über den Freitod von Udo Renner - und gut ist. Denn was Niemelä da einer Journalistin erzählt, ist die Meinung eines geschundenen Mannes, der sich sicherlich die Frage stellt: Warum ich, warum ausgerechnet ich? Der konstruierte Zusammenhang zwischen MS und der beruflichen Tätigkeit von Niemelä ist das, worauf Elektrosensible naturgemäß abfahren, überraschenderweise aber auch Leszczynski, ohne den unsere "Eva" von alledem nichts wüsste. Bekanntlich ist der Zusammenhang jedoch nur der arme Verwandte des Kausalzusammenhangs - und den kann Niemelä nicht belegen, keinem einzigen überzeugten Elektrosensiblen gelang dies bislang. Dabei muss man nicht einmal Wissenschaftler sein, um die Schwächen in Niemeläs Behauptung zu erkennen. Nokia beschäftigte bestimmt hunderte Handy-Entwickler. Und da soll es ausgerechnet einen "Technologie-Chef" erwischen, der sowieso die meiste Zeit am Schreibtisch oder auf Sitzungen verbringt, statt im Labor HF-Stufen zusammen zu löten? Nein, Plausibilität sieht anders aus, die Geschichte des Matti Niemelä erinnert eher an die der ehemaligen WHO-Chefin Gro Harlem-Brundtland, die ebenfalls eine zeitlang fest davon überzeugt war, "elektrosensibel" zu sein. Ungewöhnlich ist dies nicht, bei rund 7 Mrd. Menschen müssten sich noch wesentlich mehr als selbsterklärte EHS zu erkennen geben, denn statistisch muss es diese Ausnahmen von der Regel geben.

Aus meiner Sicht hat sich Leszczynski den Artikel nicht wegen der EHS-Phantasien von Niemelä geangelt, sondern wegen dessen Behauptungen, bei Nokia wäre das Thema "Strahlung" gezielt unter den Teppich gekehrt worden. Solche Töne hört jeder Verschwörungsfan gerne. Leicht möglich: Der Nokia-Mann lügt nicht, er hat die Unterdrückung angeblich brisanter Informationen so wahrgenommen, wie er sie der Journalistin erzählte. Doch wer skeptisch ist, und Journalisten sollten dies von Berufs wegen sein, der müsste nach unabhängigen Bestätigungen oder klaren Beweisen für Niemeläs Behauptungen forschen. Dies aber blieb aus. So nehme ich auch diese Information Niemeläs nicht ernst, denn sie kommt von einem Mann, der sich, warum auch immer, öffentlich als "Elektrosensibler" outet. Egal, die Szene wird dennoch begeistert sein. Nachdem Harlem-Brundtland als Vorzeige-Elektrosensible ausgeschieden ist, wird jetzt als neuer Pappkamerad eben ein Ex-Technologie-Chef von Nokia installiert. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir noch das eine oder andere mal von Herrn Niemelä hören werden. Enttäuschend und überraschend ist mMn, dass sich Dariusz Leszczynski mit seinem Blog auf Boulevard-Niveau begibt und wiederholt seichte Meldungen in die Welt trägt, die besser im Land der Finnen hätten bleiben sollen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
EHS-Phobie, EHS-Geschichte, Leszczynski, Eisbär, Alarmist, Belastungszeuge


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