Dr. Ratto zerlegt Magda Havas' DECT-Studie (Forschung)

Gast, Dienstag, 28.05.2013, 17:59 (vor 4196 Tagen) @ Kuddel

Ein wenig plagt mich ja das schlechte Gewissen, daß ich ohne Kenntnis der Details ein vorschnelles Urteil zu Havas abliefere.

Ich gebe es umunwunden zu:
Meiner persönlichen Meinung nach sind bei der Frau nicht mehr alle Reagenzgläser beisammen.

Damit Kuddel kein schlechtes Gewissen hat:

Der qualitative Unterschied beider oben verlinkter Arbeiten (Parazzini vs Havas) ist wie Tag und Nach.

Übersicht
Die Arbeit von Havas ist umfangreicher, sie hat auch das größere Kollektiv untersucht (69 Personen gegenüber 26 bei Parazzini). Die Alterspanne ist bei Havas 26 - 80, es überwiegen Frauen; bei Parazzini sind es 12 Frauen und 14 Männer, Alter 21 - 28. Aus statistischen Gründen ist ein größeres kollektiv besser, allerdings sollt es auch homogen sein, also möglichst geringe Altersunterschiede und gleich viele Männer wie Frauen (oder aber nur ein Geschlecht). In diesem Punkt habe also beide Studien Vor- und Nachteile.

Parazzini-Studie
Die Studie von Parazzini wurde verblindet durchgeführt, es gab zwei Sitzungen an unterschiedlichen Tagen, einmal mit und einmal ohne Feld, jeweils 13 min liegend und 13 min stehend. Beide Session wurden Vormittags zur selben Uhrzeit durchgeführt. Exponiert wurde mit einem modifizierten GSM-Telefon der am Kopf fixiert war. Der SAR Wert in relevanten Hirnarealen, die den Herzschlag steuern (Hypothalamus, Hirnstamm) wurde am Kopfphantom gemessen (0,02 W/kg, 10-13 cm Tiefe). Die Daten wurden komplex mathematisch ausgewertet, ohne subjektive Einflüsse, und dann statistisch verglichen. Es gab keinen Unterschied.

Havas-Replikationsstudie
Die Studie von Havas wurde ebenfalls doppelblind durchgeführt - das heißt, weder die Versuchsperson noch der anwesende Experimentator wussten wann exponiert und wann scheinexponiert wurde. Tests wurden an 6 verschiedenen Standorten durchgeführt, die wohl kaum identisch waren. Exponiert wurde mit einer DECT Basistation (laut Abstract, im Text steht dann nur cordless phone, das bleibt also offen) in der Nähe des Kopfes. SAR wurde nicht bestimmt, nur Flussdichte angegeben (3 - 8 µW/cm² in Kopfnähe). Es wurde überprüft ob das Messgerät gestört wird, indem die DECT Quelle bis zum Herz und zum Messgerät bewegt wurde und 100 - 200 µW/cm² erreicht wurden. Angeblich passierte nichts, gezeigt wurde es nicht. Perioden von 3 min mit oder ohne Exposition wechselten sich randomisiert ab, Befeldungspausen galten als Scheinexposition, eine zweite Session ganz ohne Exposition gab es nicht, das ist absolut unzulässig. Systematisch ausgewertet wurde die Studie nicht, in Ergebnissen finden sich nur einzelne Beispiele (6 von 69 Testpersonen, das ist nicht repräsentativ) mit subjektiven Kommentaren der Autorin. Diese visuelle Bewertung der Daten erfolgte also mit Sicherheit unverblindet. Aufgrund der visuellen Bewertung wurden dann einzelne Personen einer bestimmen Kategorie von Elektrosensibilität zugeordnet (moderate to very, low to moderate, not to low, not, unknown). Jegliche Veränderung, egal wann, wurde als Reaktion bewertet, notfalls eben "delayed". Wenn einer gar nicht reagiert hat, hieß es, der ist schon so geschwächt, dass er gar nicht reagieren kann (adrenal exhaustion, unable to mount a response) und so jemand wurde gerne in Kategorie "unknown" (anstatt "not") einsortiert. Diese subjektive Kategorisierung wurde dann mit der subjektiven Einschätzung der Probanden verglichen und in Prozent angegeben. Eine statistische Auswertung gibt es nicht.

Wie diese Havas-Studie ein Peer-Review-Verfahren bestehen konnte ist mir schleierhaft, dagegen ist "Jugend forscht" mit Kresse und Geldrollen noch richtige Wissenschaft. Ein Blick auf das Editorial-Board erklärt jedoch einiges (http://informahealthcare.com/page/ebm/EditorialAdvisoryBoard), viele der Namen dort finden sich auch im Bioinitiative Report.

Dr. Ratto

Tags:
Peer-Review, Studienkritiker, Kresse, Studienbewertung


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