Schlaganfälle bei Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen (Medien)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 06.02.2011, 23:41 (vor 5000 Tagen)

In seinem jüngsten Newsletter [Hinweis: Linkziel am 08.04.2019 gelöscht, siehe hier] erweckt der Mediziner Braun-von Gladiß indirekt den Eindruck, die zunehmende Anzahl von Schlaganfällen bei Jüngeren hätte etwas mit Funkfeldern (Handys) zu tun. Er schreibt (rot = Zitat):

Was früher selten war, gehört heute zum medizinischen Alltag: Schlaganfälle, die bislang als typische Alterserscheinung galten, treten seit einigen Jahren zunehmend sogar bei Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Dabei äußert sich der Schlaganfall bei Neugeborenen und kleinen Kindern nur selten durch Lähmungen, sondern häufiger durch Krampfanfälle.

Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe sieht dies merklich undramatischer: "Der Schlaganfall ist keine reine 'Alterskrankheit'. Er kann Menschen jeden Alters treffen bereits ungeborene Kinder im Mutterleib. Schätzungen von Experten gehen davon aus, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 200-300 Kinder einen Schlaganfall erleiden. Die Dunkelziffer liegt vermutlich höher, da nicht alle Schlaganfälle (rechtzeitig) erkannt werden. Bisher ist es der Öffentlichkeit und auch der medizinischen Fachwelt nur wenig bekannt, dass auch Kinder einen Schlaganfall erleiden können. Betroffene Eltern sind nach der Diagnose schockiert, fallen häufig in ein tiefes Loch."

Nicht amtlichen Quellen zufolge ist jemand bis 14 Kind, ab 14 Jugendlicher, ab 18 Heranwachsender und ab 21 Erwachsener.

In einer Gemeinschaftsarbeit aus den Instituten für Neurochirurgie, Neuropädiatrie, Kinderheilkunde und Neuroradiologie der Universitätsklinik Düsseldorf, die am 3.12.2010 veröffentlicht wurde, wird berichtet, dass pro Jahr 200 Schlaganfälle bei Kindern und Jugendlichen in einer Stadt wie Hamburg auftreten.

Der obige Text der Stiftung steht zu Braun-von Gladiß' Behauptung im Widerspruch: Nicht 200 Schlaganfälle bei Kindern und Jugendlichen in einer Stadt wie Hamburg, sondern 200-300 solche Schlaganfälle in ganz Deutschland. Aber es kommt noch besser ...

Diese Informationen sind dem Deutschen Ärzteblatt 48, 3.12.2010. S. 851 ff. entnommen. Autoren: Steiger, Hans-Jakob; Hänggi, Daniel; Assmann, Birgit; Turowski, Bernd - Universitätsklinikum der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf: Zerebrale Angiopathien als Ursache von ischämischen Schlaganfällen im Kindesalter.

Leider hat es Braun-von Gladiß versäumt, einen Link zu der von ihm genannten Arbeit zu nennen. Dabei ist diese Arbeit unentgeltlich verfügbar. Erstaunlicherweise findet sich darin jedoch keinerlei Angaben, der Art: "... dass pro Jahr 200 Schlaganfälle bei Kindern und Jugendlichen in einer Stadt wie Hamburg auftreten." Woher Braun-von Gladiß diesen Bezug hat ist unklar. Der von ihm zitierten Arbeit hat er ihn jedenfalls, entgegen seiner Darstellung, augenscheinlich nicht entnommen.

Die aktuellen Zahlen seien mehr als doppelt so hoch wie Zahlen aus früheren Jahrzehnten. Zusätzlich müsse man aber von einer bedeutenden Dunkelziffer ausgehen, eben weil bei kleinen Kindern die Symptome eines Schlaganfalles anders aussehen können.

Diese Information wird von der Arbeit gestützt. Prof. Steiger und seine Mitarbeiter geben jedoch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass EMF im Zusammenhang mit dieser Entwicklung steht. Es werden in der Arbeit (Tabelle 1) aber eine ganze Reihe anderer Ursachen genannt. Den Bezug zu EMF stellt allein der Newsletter (reichlich spät und vage) im Text so her:

Elektromagnetischen Belastungen durch niederfrequent gepulste Hochfrequenztechnik (Handy, Schnurlostelefon, WLAN, DLAN, besonders akzentuiert durch die neuen mobilen Bildübertragungstechniken wie zum Beispiel LTE) kommt eine vorrangige Stellung zu, wenn man schädliche Einwirkungen von Umweltreizen auf das Gehirn, die Nervenfunktionen und das Immunsystem betrachtet.

Einen wissenschaftlich belastbaren Beleg für seine Behauptung bleibt der Mediziner schuldig.

Gemäß ICD fallen ischämische Schlaganfälle unter die Klassifizierung I63. Auf der Website der Gesundheitsberichterstattung des Bundes lassen sich allerlei Statistiken abfragen, auch eine über die Entwicklung zerebrovaskulärer Krankheiten (I60-69; genauer geht's dort leider nicht). Und diese Entwicklung ist keineswegs so alarmierend, wie es Braun-von Gladiß darstellt, bei den unter 15-Jährigen hat die Fallzahl seit 2000 nicht etwa sprunghaft zugenommen, sondern sie nimmt leicht ab! Ebenso bei den Älteren (Hinweis: die Werte beziehen sich auf 100'000 Einwohner, absolut gesehen müssen die Zahlen bei Älteren natürlich steigen, da es immer mehr Ältere gibt). Die Tabelle unten belegt dies allerdings nicht ganz ohne ein "Aber", denn dort sind nicht alle Fälle erfasst, sondern nur die im Krankenhäusern behandelten. Ein an einem Schlaganfall zuhause Verstorbener taucht hier z.B. nicht auf..

[image]

Tabelle: Diagnosedaten der Krankenhäuser ab 2000 (Eckdaten der vollstationären Patienten und Patientinnen). Gliederungsmerkmale: Jahre, Region, ICD10

Leider lässt sich die Tabelle nicht dauerhaft verlinken, deshalb hier der Pfad zu der Tabelle: Startseite > Daten aus Deutschland > Datenquellen des Statistischen Bundesamtes > Datenquelle: Krankenhausstatistik - Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern

Nachtrag vom 07.02.2011
Darstellung des Themas bei Gigaherz
Diskussion im Gigaherz-Forum
Darstellung im hese-Forum (Medizin)
NRhZ-Online einmal mehr Sprachrohr eines Mobilfunkgegners

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Braun von Gladiss, NRhZ-Online, Alarmschläger, Deutsche Aerzteblatt, Vermessenheit, Klassifizierung, Schlaganfall, GDB, Hybis


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