Schwache Argumentationskette (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 05.11.2008, 11:34 (vor 5861 Tagen) @ Gast

Kläger Ulrich A. argumentiert in seiner Klage gegen die Stadt, die Antenne hätte nicht gebaut werden dürfen, weil dies gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Der in einem Nachbargebäude im 3. Stock wohnende Mann macht unter anderem Gesundheitsgefahren geltend. So sei nicht ausgeschlossen, dass ein Mensch mit Herzschrittmacher von dem Sendemasten beeinträchtigt werde. Auch Dachdecker oder Schornsteinfeger seien gefährdet.

Ach du meine Güte, der arme Mann ist ja nun wirklich inkompetent beraten, mit diesen schwachen Argumenten einen Rechtsstreit anzuzetteln. Da war die Niederlage fast schon garantiert, bevor er Klage erhoben hat. Allein beim Argument mit dem Herzschrittmacher hebt sich einem als Techniker noch die Augenbraue. Beim VG Stuttgart (Az.: 13 K 4465/06) ist dieser Punkt des Klägers etwas genauer gefasst:

Der Kläger macht geltend, dass die Anlage gegen den Bebauungsplan verstoße und die gemessene Feldstärke über der Mindeststörfestigkeit von medizinischen und anderen technischen Geräten liege ...

Machen wir einfach mal den kleinen Plausibilitätstest: Der Sendemast also soll weg, weil wegen seiner Strahlung der Schrittmacher aus dem Takt geraten soll? Ein völlig unbrauchbares Argument, denn mit einem Handy in der Brusttasche, einer DECT-Anlage auf dem Schreibtisch oder einem WLAN-Router am Klo wäre Ulrich A. mit Sicherheit einer vielfach höheren Maximal-Feldstärke ausgesetzt, als durch den Sendemast nebenan. Wenn überhaupt, haben Träger von (älteren) Herzschrittmachern ein Risiko bei körpernah betriebener Funktechnik. Plausibilitätstest nicht bestanden - der Nächste bitte!

Am Donnerstag wird das Urteil verkündet. Und aller Voraussicht nach wird Herr A. unterliegen weil er eben nichts zu melden hat. Wenn überhaupt eine Chance zu sehen ist, dann allein aus formalen Gründen und nicht wegen technisch/gesundheitlich zwingender Argumentation. Das heißt, selbst bei einer überraschenden Wendung wird nicht viel Herausspringen, wenn das Urteil stark von der in der Bismarckstraße gegebenen Bedingungen abhängt, die es so in der Republik kein zweites mal gibt. Das ist das Ärgerliche an solchen Fällen, dass irgendwelche Drahtzieher im Hintergrund Ahnungslose vorschicken, damit die die Kohlen aus dem Feuer holen. Mit Grillzange ausgestattet wäre dies sogar eine Überlegung wert, ohne - wie mMn in diesem Fall - zeugt es lediglich vom schwachen Urteilsvermögen der Berater.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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