Adlkofer hadert weiter mit deutscher Justiz (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 08.02.2022, 23:49 (vor 1018 Tagen) @ H. Lamarr

Solange er vor Gericht die Oberhand behielt, waren von Franz Adlkofer keine Klagen über die deutsche Justiz zu hören. Doch kaum unterliegt der Ex-Tabaklobbyist im Rechtsstreit mit der Süddeutschen Zeitung in zweiter Instanz, hadert er tränenreich mit dem Rechtsstaat und fragt am 12. Oktober 2020 bestürzt: Endet die deutsche Rechtsstaatlichkeit dort, wo die Interessen von Politik und Mobilfunkindustrie betroffen sind?

470 Tage später: Franz Adlkofer hat seine Niederlage im Streit mit der Süddeutschen noch immer nicht verdaut. Seine Geschichte vom Ende der deutschen Rechtsstaatlichkeit gibt es jetzt in einer Neuauflage als 3-teilige Miniserie. Wenn man sich überlegt, dass der Streit letztlich nur um die Bedeutung des 2-Buchstaben-Wörtchens "so" in einem fallspezifischen Kontext ging (ob "Reflex" so und nicht anders repliziert wurde), dann sind die rd. 35'700 Buchstaben, die Adlkofer allein für Teil 1 seiner Trilogie in Stellung bringt, eine eindrucksvolle Leistung im Zerreden eines Gerichtsurteils. Wer soll diesen Roman, abgesehen von dem Ex-Tabaklobbyisten, lesen und wozu? Das Urteil ist längst rechtskräftig.

Da mein Verlangen den Text zu lesen schwach war, habe ich versucht auf andere Weise hinter Adlkofers Absicht zu kommen. Nämlich mit Suchbegriffen. Das IZgMF kommt in der Geschichte nur 2-mal vor, Lerchl 13-mal, Adlkofer 16-mal und Reflex 68-mal. Aha, es geht Adlkofer also einmal mehr darum, sein angeschlagenes "Reflex"-Projekt vor der Welt zu rehabilitieren. Doch warum schmerzt ihn bei seinen vielen Siegen ausgerechnet die Niederlage gegen die Süddeutsche so sehr, dass er das Urteil jetzt wieder angreift? Die Antwort sieht Adlkofer in diesem IZgMF-Posting aus dem Jahr 2012, das er explizit als zutreffend anerkennt und in dem die Schlüsselpassage lautet:

[...] Und auch um Reflex geht es nicht direkt, sondern darum, ob Reflex erfolgreich repliziert werden konnte. Sollte dies vor Gericht festgestellt werden, hat Dr. Adlkofer sein Ziel erreicht. Andernfalls hat er es verfehlt und Prof. Lerchl die Oberhand.

Das also ist es, was Adlkofer auf die Palme bringt, die gerichtliche Feststellung, "Reflex" habe nicht erfolgreich repliziert werden können. Aus heutiger Sicht ist Adlkofers Ärger darüber gut nachvollziehbar. Denn nachdem Ende 2020 das OLG Bremen entschied, Lerchl dürfe seine Fälschungsvorwürfe bezüglich der umstrittenen Wiener "Reflex"-Studie nicht wiederholen, schien der Sieg Adlkofers über seinen Widersacher allumfassend zu sein. Zumindest feierten der Ex-Tabaklobbyist und seine Sprachrohre das Bremer Urteil auf eben diese Weise, obschon es der besagten "Reflex"-Studie ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte. Adlkofers ungetrübtem Triumph steht jedoch das Urteil des OLG Hamburg unverrückbar im Wege, weil es der "Reflex"-Studie abspricht, jemals erfolgreich repliziert worden zu sein. Ein triftiger Grund für den gewieften Taktiker, das Urteil in der öffentlichen Meinung als Fehlurteil zu diskreditieren.

Doch wer nun 1+1 zusammenzählt, kommt bei Betrachtung beider Urteile zu einem für Adlkofer höchst unliebsamen Ergebnis:

Urteil OLG Bremen: "Reflex" ist aus mathematisch-statistischer Sicht fehlerhaft. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Ergebnisse absichtlich manipuliert wurden, die Fehlerhaftigkeit könnte auch unabsichtlich entstanden sein.

Urteil OLG Hamburg: "Reflex" konnte mit identischer Methodik bislang nicht erfolgreich (gleiche Ergebnisse) repliziert werden.

Wenn ich mich recht entsinne gab es mehrere 1:1-Replikationsversuche, die alle scheiterten und keiner der Autoren hat Zweifel an der Methodik der Befeldung oder den angewendeten Analyseverfahren geäußert. Unter dieser Maßgabe lässt mein Logikverständnis nur den Schluss zu, dass die im Urteil des OLG Bremen eingeräumte Möglichkeit, die Fehlerhaftigkeit der Ergebnisse könnte unabsichtlich entstanden sein, auszuschließen ist. Die Ergebnisse müssen daher aus meiner Sicht auf einer absichtlichen Manipulation beruhen. Denn es ist a) extrem unwahrscheinlich, dass bei allen 1:1-Replikationsversuchen unwissentlich die gleichen Fehler gemacht wurden wie beim Original und b) selbst wenn es so gewesen wäre, dann hätten die Replikationen nicht alle misslingen dürfen, sondern erfolgreich verlaufen müssen.

Allerdings habe ich starke Zweifel an meiner "Entdeckung". Denn wenn es so einfach wäre, wie beschrieben, dann wäre dies in der Verhandlung vor dem OLG Bremen bestimmt zur Sprache gekommen und hätte, wäre es zutreffend, zu einem anderen Urteil geführt. Möglicherweise gehe ich auch nur von falschen Voraussetzungen aus. Um das zu klären, will ich versuchen eine Einschätzung von Lerchl zu bekommen, er hat wichtige Details mit Sicherheit besser im Kopf parat als ich.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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