Faktencheck: Was ist dran, an "War-Gaming für den Profit"? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 03.12.2019, 19:50 (vor 1567 Tagen) @ H. Lamarr

Das aus meiner Sicht größte Problem des Filmemachers Scheidsteger ist schnell gesagt: Er saugt in der Anti-Mobilfunk-Szene kolportierte Gerüchte oder schwach belegte Vermutungen auf wie ein trockener Schwamm, mischt die Stimmen überzeugter Mobilfunkgegner hinzu und serviert diesen Cocktail so, als bestünde der aus mühsam recherchierten harten Fakten. Doch machen Sie sich so vorgespannt selbst ein Bild von der Qualität der jüngsten Scheidsteger-Schöpfung:

Die Desinformation bei Klaus Scheidstegers Anti-Mobilfunk-Filmen ist so dicht, dass es schwierig ist, für einen Faktencheck einen Anfang und ein Ende zu finden. Wollte man alles zerpflücken, ergäbe dies ein Buch, – das kaum einer lesen würde. Ich habe deshalb eine Passage aus seinem jüngsten Werk herausgepickt, die aus meiner Sicht gut geeignet ist, exemplarisch die Desinformation durch den Filmemacher heraus zu arbeiten.

Meine Musterpassage dauert nur 3¼ Minuten, sie beginnt Minute 7:01 und endet Minute 10:15. Es geht in dieser Passage um das Interview, das Scheidsteger mutmaßlich 2004 mit Mike Repacholi in Genf führte. Der ehemals bei der WHO für elektromagnetische Felder zuständige Repacholi war eine herausragende Hassfigur der internationalen Anti-Mobilfunk-Szene, bis er Mitte 2006 die Altersgrenze erreichte und von der WHO verabschiedet wurde. Seit nunmehr 13 Jahren schwingt der Australier im EMF-Zirkus nicht mehr die Peitsche. Scheidsteger aber hat an dem Mann einen Narren gefressen und anscheinend noch immer genug altes Filmmaterial über ihn im Keller, dass er Mobilfunkgegners Lieblingsfeind noch bis mindestens 2025 weiter verwursten kann. Das Bildmaterial der Musterpassage verwendete Scheidsteger bereits vor Jahren in "Thank You for Calling".

Nun aber zur Sache. Elementare Voraussetzung, um Klaus Scheidsteger der Nagelprobe zu unterziehen, ist das folgende Transkript der Musterpassage.

[min 7:01]
[Scheidsteger aus dem Off] Wer im Thema Mobilfunk und mögliche Gesundheitsrisiken recherchiert kommt nicht an der Weltgesundheitsorganisation WHO vorbei. Die mächtige Behörde der Vereinten Nationen umfasst 194 Länder und hat bei allen relevanten Gesundheitsfragen die Hände im Spiel. Die Diskussion, ob die Handystrahlung eventuell schädlich für unsere Gesundheit sein konnte, durfte die WHO wohl nicht ignorieren, schließlich verfolgt sie eine edle Vision: Gesundheit ist ein fundamentales Menschenrecht, jeder hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand.

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte. Nun saß der Mann bei der WHO und stellte seine Studie infrage, betrieb quasi War-Gaming an sich selbst.

[Beginn O-Ton Repacholi, übersetzt von Scheidsteger] "In meiner Studie ging es um Mäuse, die für Lymphome [Tumoren des Lymphgewebes; Anm. Postingautor] veranlagt waren. Und wir entdeckten einen stetiges Wachstum an Lymphomen durch die Funkwellensignale. Wir beschäftigten uns sechs Monate damit, heraus zu bekommen, was wir falsch gemacht haben. Weil wir uns das einfach nicht erklären konnten. Und das können wir bis heute nicht!" [Ende O-Ton Repacholi]

[Scheidsteger] Er findet ein Problem, kann sich bis heute keinen Reim darauf machen wo das Problem wohl herkommt und deshalb gibt es kein Problem. Der dazugehörige Sprachgebrauch wurde vereinheitlicht und weltweit verordnet.

[Repacholi] "Wir haben keinerlei Hinweise, dass Handys nicht sicher sind."

[Scheidsteger] Unter der Flagge der WHO segelte der Australier von 1997 bis 2006 um die ganze Welt und verbreitete die frohe Botschaft: no problem. Dr. Mike Repacholi fühlte sich sehr sicher, er war schließlich die offizielle Mobilfunkstimme der WHO. Aber – er machte Fehler. Das liebe Geld!

[Repacholi] "Die Gelder, die von der Industrie kommen, müssen in einen separaten Topf bevor sie der WHO übergeben werden".

[Scheidsteger] Und so kam es, dass der gute Mann schließlich aufflog als von der Industrie bezahlter Fürsprecher und Verharmloser. Er ging daraufhin in den WHO-Ruhestand und arbeitet seither hinter den Kulissen als Industrieberater.

[Scheidsteger zeigt an dieser Stelle wortlos einen englischen Text, siehe Screenshot]
[image]

Während seiner Zeit als Projektleiter in Genf hat er ganze Arbeit geleistet. Die Wachstumsbranche Mobilfunk eroberte die Welt in einem rasanten Tempo. Hatte es noch zwölf Jahre gebraucht, bis die erste Milliarde Handyanschlüsse weltweit erreicht werden konnte, brauchte die zweite nur noch drei Jahre, die dritte Milliarde zwei Jahre und so weiter. Heute gibt es in der westlichen Welt mehr Handyverträge als Einwohner. Mission accomplished.
[min 10:15]

Da kleine Appetithäppchen bei Sachtexten besser ankommen als opulente 7-Gänge-Menüs, habe ich vor, mit einigen weiteren Postings in diesem Strang Scheidsteger Stück für Stück zu widerlegen, dann selbstverständlich mit nachvollziehbaren Quellenangaben. Das dauert ein bisschen, ich bitte daher um Geduld.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Unterstellung, Repacholi, Diagnose-Funk, Motorola, Qualitätsmängel, Filmemacher, Faktencheck, Gleichschaltungsmanipulation, Meinungsmache, Korruptionsvorwurf, War Game, Framing


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