War-Gaming für den Profit: Knurren gegen die "Mobilfunk-Mafia" (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 01.12.2019, 22:58 (vor 1610 Tagen)

Von Pseudowissenschaftlern ist bekannt, diese zitieren sich gerne gegenseitig, um die Zirkulation ihrer Publikationen bei Laien in Gang zu bringen. Organisierte Mobilfunkgegner praktizieren seit kurzem eine Variante dieses Spielchens: Der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk beauftragte den Gesinnungsfreund Klaus Scheidsteger, einen Kurzfilm über angebliche Machenschaften der Mobilfunkindustrie anzufertigen. Was dabei herausgekommen ist, jeder kann es sich leicht denken.

Das aus meiner Sicht größte Problem des Filmemachers Scheidsteger ist schnell gesagt: Er saugt in der Anti-Mobilfunk-Szene kolportierte Gerüchte oder schwach belegte Vermutungen auf wie ein trockener Schwamm, mischt die Stimmen überzeugter Mobilfunkgegner hinzu und serviert diesen Cocktail so, als bestünde der aus mühsam recherchierten harten Fakten. Doch machen Sie sich so vorgespannt selbst ein Bild von der Qualität der jüngsten Scheidsteger-Schöpfung:

Wie üblich schnippelte Scheidsteger für seine jüngste Auftragsarbeit zusammen, was bei Drei nicht auf den Bäumen war. Übrig blieben im wesentlichen wieder einmal dieselben Personen, die schon aus älteren Anti-Mobilfunk-Kriegsfilmen des Filmemachers bekannt sind: Michael Kundi, Wilhelm Mosgöller, Franz Adlkofer, Hugo Rüdiger, Mike Repacholi der unvermeidliche George Carlo sowie Tina Goebel. Das ist die personelle Stammmannschaft Scheidstegers. Neu hineingeschnitten wurden diesmal Investigate Europe, Mark Hertsgaard, Martin L.Pall, Henry Lai, Ron Melnik und Fiorella Belpoggi. Von Repacholi abgesehen fährt Scheidsteger in 26 Minuten nicht weniger als zwölf Verschworene gegen die "Mobilfunk-Mafia" auf. Der Kurzfilm bietet damit wie von Scheidsteger gewohnt eine extrem einseitige Sicht auf die Mobilfunkdebatte und der Zuschauer muss wohl oder übel glauben, was ihm vorgesetzt wird. Dass Scheidsteger noch immer auf George Carlo baut, obwohl gegen diesen US-Lobbyisten im www mühelos mehrere stabile und glaubwürdige Beweisketten zu finden sind, ist mir unverständlich. Möglicherweise spekuliert Scheidsteger darauf, seine in weiten Teilen älter Kundschaft würde vor den englischsprachigen Quellen kapitulieren, so diese Zielgruppe überhaupt auf die Idee kommen, im Internet nach Carlo zu suchen.

Neues erfahren die Stammleser dieses Forums nicht. Das ist nachvollziehbar, denn der Kurzfilm ist nicht an gut informierte Personen adressiert, sondern an bequeme Volllaien, die angebotene Information/Desinformation passiv konsumieren und wenig Neigung zum Hinterfragen zeigen.

Der Aufhänger des aktuellen Streifens ist ein "War-Game-Memorandum" der Agentur Burson-Marsteller an Motorola, das Scheidsteger bereits in "Thank You for Calling" verwurstet hat. Dieses Memo ist im www nicht zu finden. Auch Scheidsteger bietet sein Exemplar nicht zum Download an, so dass sich kein Betrachter von der Authentizität des Papiers und seines Inhalts selbst überzeugen kann. Der angebliche Beleg für das Memo in einer alten Ausgabe von Microwave News ist keiner, denn dabei handelt es sich um ein anderes Memo von Burson-Marsteller, was am Datum einfach zu erkennen ist.

Ziel des oder der Memos soll es gewesen sein, die beiden US-Wissenschaftler Henry Lai und Narendra P. Singh gezielt unglaubwürdig zu machen. Auch Lai behauptet dies. Motorola hingegen widerspricht. Das US-Unternehmen machte 2008 geltend, es habe nicht versucht, die Forschungsergebnisse der beiden zu unterdrücken, vielmehr wollte es die seinerzeit neuen Ergebnisse (DNA-Einzelstrangbrüche unter schwacher EMF-Einwirkung) von einer unabhängigen Replikation bestätigt sehen. Dies klingt nicht nach einer Ausrede, denn es ist gängiger wissenschaftlicher Standard, dass alarmierende Studien erst dann für voll genommen werden, wenn ihre Wiederholung durch mindestens eine andere Arbeitsgruppe gelingt. Im Fall von Lai/Singh muss die Replikation gescheitert sein, denn noch heute sehen internationale wie nationale Expertengremien keine ausreichende Evidenz für genotoxische Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder unterhalb der Grenzwerte.

Lai/Singh befeldeten 1995 in ihrem Labor Ratten mit Leistungsflussdichten von 10 W/m² und 20 W/m² was zu einer mittleren Ganzkörper-SAR von 0,6 W/kg und 1,2 W/kg führte. Diese Werte überschreiten die heute zulässige Ganzkörper-SAR von 0,08 W/kg um das 7- bis 15-fache. Damit kann auch diese Studie nicht gegen die Immission durch Sendemasten ins Feld geführt werden, sondern allein gegen körpernah betriebene Endgerät wie Smartphones. Scheidsteger verzichtet großzügig auf diese Differenzierung, ihm kommt es in seinem Film allein darauf an, Misstrauen gegenüber einer angeblich intriganten Mobilfunkindustrie zu säen. Dabei klingen die von ihm verlesenen Auszüge aus dem "War-Game-Memo", wenn man sie unaufgeregt wertet, gar nicht so dramatisch, wie er es gerne hätte. Gut möglich, dass er das Memo mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten künstlich dramatisieren möchte, und er es deshalb wohlweislich nicht heraus gibt.

Auch das Jonglieren mit der Angst vor DNA-Strangbrüchen lässt sich relativieren, denn jeder von uns erleidet täglich im Mittel in jeder Körperzelle deren 50'000 Einzelstrangbrüche. Die Zellen sind darauf eingerichtet und wissen damit umzugehen. Damit will ich das noch immer nicht restlos ausgeschlossene Krebsrisiko durch den Gebrauch von Mobiltelefonen nicht verharmlosen, sondern darauf hinweisen, dass DNA-Strangbrüche eben nicht automatisch Krebs bedeuten. Auch diese Differenzierung sucht man in Scheidstegers Streifen zum Thema Mobilfunk vergeblich.

Von 11. September 2019 bis heute ist Scheidstegers Kurzfilm auf YouTube 9'521-mal gestartet worden, 136 finden das Werk gut, sechs finden es schlecht. Die 25 Kommentare auf YouTube geben Auskunft, wie hell die Kerzen sind, die sich dort verewigt haben.

Auf Links zu Quellen habe ich diesmal absichtlich verzichtet, denn diese zu setzen ist eine mühsame Angelegenheit und Scheidsteger belegt seine Behauptungen aus dem Off ja ebenso wenig mit Quellen.

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Faktencheck: Was ist dran, an "War-Gaming für den Profit"?

H. Lamarr @, München, Dienstag, 03.12.2019, 19:50 (vor 1608 Tagen) @ H. Lamarr

Das aus meiner Sicht größte Problem des Filmemachers Scheidsteger ist schnell gesagt: Er saugt in der Anti-Mobilfunk-Szene kolportierte Gerüchte oder schwach belegte Vermutungen auf wie ein trockener Schwamm, mischt die Stimmen überzeugter Mobilfunkgegner hinzu und serviert diesen Cocktail so, als bestünde der aus mühsam recherchierten harten Fakten. Doch machen Sie sich so vorgespannt selbst ein Bild von der Qualität der jüngsten Scheidsteger-Schöpfung:

Die Desinformation bei Klaus Scheidstegers Anti-Mobilfunk-Filmen ist so dicht, dass es schwierig ist, für einen Faktencheck einen Anfang und ein Ende zu finden. Wollte man alles zerpflücken, ergäbe dies ein Buch, – das kaum einer lesen würde. Ich habe deshalb eine Passage aus seinem jüngsten Werk herausgepickt, die aus meiner Sicht gut geeignet ist, exemplarisch die Desinformation durch den Filmemacher heraus zu arbeiten.

Meine Musterpassage dauert nur 3¼ Minuten, sie beginnt Minute 7:01 und endet Minute 10:15. Es geht in dieser Passage um das Interview, das Scheidsteger mutmaßlich 2004 mit Mike Repacholi in Genf führte. Der ehemals bei der WHO für elektromagnetische Felder zuständige Repacholi war eine herausragende Hassfigur der internationalen Anti-Mobilfunk-Szene, bis er Mitte 2006 die Altersgrenze erreichte und von der WHO verabschiedet wurde. Seit nunmehr 13 Jahren schwingt der Australier im EMF-Zirkus nicht mehr die Peitsche. Scheidsteger aber hat an dem Mann einen Narren gefressen und anscheinend noch immer genug altes Filmmaterial über ihn im Keller, dass er Mobilfunkgegners Lieblingsfeind noch bis mindestens 2025 weiter verwursten kann. Das Bildmaterial der Musterpassage verwendete Scheidsteger bereits vor Jahren in "Thank You for Calling".

Nun aber zur Sache. Elementare Voraussetzung, um Klaus Scheidsteger der Nagelprobe zu unterziehen, ist das folgende Transkript der Musterpassage.

[min 7:01]
[Scheidsteger aus dem Off] Wer im Thema Mobilfunk und mögliche Gesundheitsrisiken recherchiert kommt nicht an der Weltgesundheitsorganisation WHO vorbei. Die mächtige Behörde der Vereinten Nationen umfasst 194 Länder und hat bei allen relevanten Gesundheitsfragen die Hände im Spiel. Die Diskussion, ob die Handystrahlung eventuell schädlich für unsere Gesundheit sein konnte, durfte die WHO wohl nicht ignorieren, schließlich verfolgt sie eine edle Vision: Gesundheit ist ein fundamentales Menschenrecht, jeder hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand.

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte. Nun saß der Mann bei der WHO und stellte seine Studie infrage, betrieb quasi War-Gaming an sich selbst.

[Beginn O-Ton Repacholi, übersetzt von Scheidsteger] "In meiner Studie ging es um Mäuse, die für Lymphome [Tumoren des Lymphgewebes; Anm. Postingautor] veranlagt waren. Und wir entdeckten einen stetiges Wachstum an Lymphomen durch die Funkwellensignale. Wir beschäftigten uns sechs Monate damit, heraus zu bekommen, was wir falsch gemacht haben. Weil wir uns das einfach nicht erklären konnten. Und das können wir bis heute nicht!" [Ende O-Ton Repacholi]

[Scheidsteger] Er findet ein Problem, kann sich bis heute keinen Reim darauf machen wo das Problem wohl herkommt und deshalb gibt es kein Problem. Der dazugehörige Sprachgebrauch wurde vereinheitlicht und weltweit verordnet.

[Repacholi] "Wir haben keinerlei Hinweise, dass Handys nicht sicher sind."

[Scheidsteger] Unter der Flagge der WHO segelte der Australier von 1997 bis 2006 um die ganze Welt und verbreitete die frohe Botschaft: no problem. Dr. Mike Repacholi fühlte sich sehr sicher, er war schließlich die offizielle Mobilfunkstimme der WHO. Aber – er machte Fehler. Das liebe Geld!

[Repacholi] "Die Gelder, die von der Industrie kommen, müssen in einen separaten Topf bevor sie der WHO übergeben werden".

[Scheidsteger] Und so kam es, dass der gute Mann schließlich aufflog als von der Industrie bezahlter Fürsprecher und Verharmloser. Er ging daraufhin in den WHO-Ruhestand und arbeitet seither hinter den Kulissen als Industrieberater.

[Scheidsteger zeigt an dieser Stelle wortlos einen englischen Text, siehe Screenshot]
[image]

Während seiner Zeit als Projektleiter in Genf hat er ganze Arbeit geleistet. Die Wachstumsbranche Mobilfunk eroberte die Welt in einem rasanten Tempo. Hatte es noch zwölf Jahre gebraucht, bis die erste Milliarde Handyanschlüsse weltweit erreicht werden konnte, brauchte die zweite nur noch drei Jahre, die dritte Milliarde zwei Jahre und so weiter. Heute gibt es in der westlichen Welt mehr Handyverträge als Einwohner. Mission accomplished.
[min 10:15]

Da kleine Appetithäppchen bei Sachtexten besser ankommen als opulente 7-Gänge-Menüs, habe ich vor, mit einigen weiteren Postings in diesem Strang Scheidsteger Stück für Stück zu widerlegen, dann selbstverständlich mit nachvollziehbaren Quellenangaben. Das dauert ein bisschen, ich bitte daher um Geduld.

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Faktencheck 01: Falsches Datum für Repacholi-Studie

H. Lamarr @, München, Dienstag, 03.12.2019, 21:55 (vor 1608 Tagen) @ H. Lamarr

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte.

Fangen wir zum Aufwärmen mit einer kleinen Fingerübung an. Repacholis Mäusestudie wurde nicht wie Scheidsteger behauptet 1995 veröffentlicht, sondern 1997 in der Fachzeitschrift "Radiation Research" (Beleg).

Schlimm ist dieser kleine Fehler nicht. Seine Existenz weist aber auf mangelnde Sorgfalt und fehlende Qualitätskontrolle bei der Produktion des Videos hin. Ein Blick ins EMF-Portal hätte genügt, um zu sehen, 1995 hat der sonst so produktive Mike überhaupt keine Studie publiziert. Diese Qualitätskontrolle hätte keine 30 Sekunden gedauert. Die falsche Datumsangabe erschwert Laien unnötig die Suche nach der Mäusestudie.

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Faktencheck 02: Wo blieben 1997 die korrupten Schlapphüte?

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 04.12.2019, 00:27 (vor 1608 Tagen) @ H. Lamarr

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte.

Scheidsteger versucht mit seinem Video den Eindruck zu erwecken, die Mobilfunkindustrie schrecke vor keiner Schandtat zurück, nur um ihren Profit zu sichern.

Das EMF-Portal aber macht ihm einen Strich durch die Rechnung:

Auszug aus EMF-Portal:

Studie gefördert durch

– National Health and Medical Research Council (NHMRC), Australia
– Telstra Research Laboratories (TRL), Australia

Der NHMRC ist Australiens wichtigster staatlicher Finanzierungstopf für medizinische Forschung. Er untersteht der Aufsicht durch den Gesundheitsminister und sollte deshalb auch hypersensiblen Mobilfunkkritikern als unverdächtig gelten.

Die Telstra Corporation ist hingegen ein international operierendes Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in Melbourne, Australien. Mit seinem Mobilfunknetz deckt das Unternehmen eine Fläche von 2,4 Millionen Quadratkilometer ab.

Da haben wir's!

Folgen wir Scheidstegers gradliniger Logik, müsste Repacholis Mäusestudie nun für die Öffentlichkeit inexistent sein und ein trauriges Schattendasein in einer abgesperrten Schublade fristen, anstatt seit 1997 über 600-mal in wissenschaftlichen Journalen zitiert worden zu sein. Dafür hätten Schlapphüte im Auftrag von Telstra sorgen müssen! Denn Repacholis Mäusestudie war seinerzeit eine Alarmstudie ersten Ranges, deren Publikation unter allen Umständen von "der Industrie" hätte verhindert werden müssen.

Doch es ist offensichtlich: Nichts dergleichen geschah.

Dies ist für jedermann sichtbar ein Fakt. Aber möglicherweise hat es Telstra erfolglos versucht! Ja, kann sein – oder auch nicht, solche substanzlosen Vermutungen entziehen sich üblicherweise solange jeder Beachtung, bis jemand glaubwürdiges Belastungsmaterial beibringt. Bis dahin gilt nach geltendem Recht die Unschuldsvermutung. Vielleicht kann das mal jemand Herrn Scheidsteger nahe bringen.

Scheidstegers populistische These von der durch und durch korrupten und auch mächtigen Mobilfunkbranche ist ihm augenscheinlich doch zu glatt geraten, als dass sie pauschal stimmen könnte. Schlichte Gemüter werden sich von diesem Einwand nicht abhalten lassen sie dennoch zu glauben. Wir wollen uns hier aber nicht an Glaubensfragen abarbeiten, sondern um nachprüfbare Fakten kümmern.

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Faktencheck 03: Schnee von 2006 oder älter

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 05.12.2019, 15:50 (vor 1606 Tagen) @ H. Lamarr

[Repacholi] "Wir haben keinerlei Hinweise, dass Handys nicht sicher sind."

Filmemacher Scheidsteger serviert diesen Ausspruch Repacholis im September 2019 ohne eine Datumsangabe mitzuliefern, wann der EMF-Koordinator der WHO den bedeutungsvollen Satz gesprochen hat. Dieses Datum aber wäre wichtig, denn die Wissenschaft der Bioelektromagnetik bringt im Wochentakt neues Studien hervor, die sich auf den kumulativen Wissensstand über das Risiko Mobilfunk auswirken. Scheidsteger lässt nicht nur das Datum weg, er lässt seine Zuschauer durch Weglassung auch in dem Irrglauben, Repacholi sei noch heute bei der WHO tätig. Allein die Vergangenheitsform der Kommentare aus dem Off ist ein grammatikalisch notwendiger aber nur sehr vager Hinweis darauf, dass sich die gezeigten Szenen nicht in der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit abspielten.

Doch warum drückt sich Scheidsteger krampfhaft um die zeitliche Einordnung herum?

Er lässt es weg, weil das, was Repacholi sagt, vor mindestens 13 Jahren von ihm gesagt wurde, also steinalt ist! Mutmaßlich präsentiert der Filmemacher ungeniert sogar eine 15 Jahre alte Aussage Repacholis. Wie seriös das ist kann jeder selbst beurteilen.

Die Beweisführung ist ziemlich simpel, denn das Interview, das Scheidsteger mit Repacholi führte, fand in dessen WHO-Büro statt. Ergo muss das Interview vor dem 30. Juni 2006 stattgefunden haben, denn an diesem Tag, es ist Repacholis Geburtstag, vollendete der EMF-Koordinator sein 62. Lebensjahr und hatte gemäß der Ruhestandsregelung der WHO seinen letzten Arbeitstag in Genf. Damit sind die 13 Jahre zweifelsfrei belegt.

Die 15 Jahre lassen sich nur weich belegen. Ich meine jedoch, die Repacholi-Szene ist auch in der ungekürzten Fassung von Scheidstegers EMF-Erstlingswerk "Der Handykrieg" enthalten und ich bin nicht der einzige, der dies meint. Diesen Film übergab Scheidsteger Ende 2005 an zwei TV-Sendeanstalten, eine in Frankreich, eine in Deutschland, beide mussten zugreifen, denn sie haben laut Scheidsteger den Film finanziert. Der deutsche Co-Finanzier war von dem Werk allerdings wenig begeistert. Um seinen Film hierzulande doch noch unters Volk zu bringen, verscherbelten diesen die beiden Geschäftspartner Scheidsteger und Bürgerwelle Deutschland ab Dezember 2006 für 15 Euro (zuzüglich Versand) auf DVD an Mobilfunkgegner. Etwa 2011 war der Markt abgegrast und eine gekürzte Fassung wurde mehrfach auf YouTUbe eingestellt. Rechnen wir nun für die Postproduktion des Films noch ein Jahr zu 2005 hinzu, dürften die letzten Szenen 2004 abgedreht worden sein, womit wir bei den 15 Jahren wären – die allerdings nur spekulativ sind.

Kuriosität am Rande: Klaus Scheidsteger bringt George Carlo in "Der Handykrieg" in Zusammenhang mit einem pseudowissenschaftlichen Produkt ("EMX"-Chip), das gegen "Handystrahlen" helfen sollte. Davon distanzierte sich Carlo, noch bevor der Film in Deutschland ausgestrahlt wurde. Auch dieser Vorfall zeigt, wie präzise die Recherchen des Filmemachers sind und dass er das Endprodukt seinen Akteuren nicht zur Freigabe vorlegt.

Ob Scheidsteger nun 13 oder 15 Jahre altes Material so verwurstet, als wäre dieses taufrisch, spielt letztlich keine Rolle, es ist so oder so hoffnungslos veraltet und damit grundsätzlich eine grobe Irreführung der Zuschauer.

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Faktencheck 03: Berichtigung

H. Lamarr @, München, Dienstag, 17.12.2019, 01:41 (vor 1595 Tagen) @ H. Lamarr

Scheidsteger lässt nicht nur das Datum weg, er lässt seine Zuschauer durch Weglassung auch in dem Irrglauben, Repacholi sei noch heute bei der WHO tätig.

Meine obige Behauptung, Scheidsteger lasse seine Zuschauer in dem Irrglauben, Repacholi sei noch heute bei der WHO tätig, trifft nicht zu, ich ziehe sie deshalb teilweise zurück. Denn etwas später räumt der Filmemacher ein:

[...] Er [Repacholi] ging daraufhin in den WHO-Ruhestand [...]

Nur teilweise ist mein Rückzieher, weil Scheidsteger offen lässt, wann Repacholi in den Ruhestand ging. Da seine Zuschauer nicht wissen können, dass dies schon Mitte 2006 der Fall war, steht beliebigen Fehleinschätzungen durch die Zuschauer, z.B. 2017 oder 2018, Tür und Tor offen.

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Faktencheck 04: ohne Reim, kein Problem

H. Lamarr @, München, Samstag, 07.12.2019, 21:32 (vor 1604 Tagen) @ H. Lamarr

[Beginn O-Ton Repacholi, übersetzt von Scheidsteger] "In meiner Studie ging es um Mäuse, die für Lymphome [Tumoren des Lymphgewebes; Anm. Postingautor] veranlagt waren. Und wir entdeckten einen stetiges Wachstum an Lymphomen durch die Funkwellensignale. Wir beschäftigten uns sechs Monate damit, heraus zu bekommen, was wir falsch gemacht haben. Weil wir uns das einfach nicht erklären konnten. Und das können wir bis heute nicht!" [Ende O-Ton Repacholi]

[Scheidsteger] Er findet ein Problem, kann sich bis heute keinen Reim darauf machen wo das Problem wohl herkommt und deshalb gibt es kein Problem. Der dazugehörige Sprachgebrauch wurde vereinheitlicht und weltweit verordnet.

Soso, Mike Repacholi kann sich also bis heute keinen Reim darauf machen wo das Problem wohl herkommt, verkündet Klaus Scheidsteger im September 2019. Hat er bislang in seinem Video klärende Zeitangaben sorgsam vermieden, patzt er an dieser Stelle. Denn heute ist bei ihm nicht etwa im Hier und Jetzt, sondern liegt mindestens 13 Jahre zurück. So alt ist nämlich sein Interview mit Repacholi. Dies wurde ihm in Faktencheck 03 nachgewiesen. Wer noch Zweifel an dieser Irreführung der Zuschauer hatte, jetzt kann er sie einpacken.

Doch warum konnte sich Repacholi von 1997 bis spätestens 2006 nicht erklären, warum seine Mäuse unter relativ schwacher EMF-Befeldung, die aber noch immer merklich über den heute gültigen Grenzwerten lag, signifikant häufiger Krebs bekamen als die unbefeldete Kontrollgruppe? Wollte Repacholi, angeblicher Scherge der Industrie vielleicht gar nichts finden und suchte deshalb in der Sahara nach Eisbären?

Machen Sie sich selbst ein Bild

Wenn ein wissenschaftliches Experiment ein unerwartetes Ergebnis liefert ist es Aufgabe jeder seriösen Forschergruppe, die Versuchsdurchführung auf jeden nur denkbaren Fehler hin zu prüfen, um das unerwartete Ergebnis erklären zu können. Unerwartet ist im Fall von Repacholis Mäusestudie die höhere Krebshäufigkeit, für die es bis 2006 und darüber hinaus bis heute kein wissenschaftlich allgemein anerkanntes Erklärungsmodell gibt. Denn im Gegensatz zu ionisierender Strahlung (Röntgenstrahlung) sind elektromagnetische Felder um Größenordnungen zu energieschwach, um die DNA in Körperzellen schädigen zu können. Die Ratlosigkeit von Repacholi ist daher noch heute gut nachvollziehbar, erst recht rückwirkend aufs Jahr 2006. Das ist das eine.

Das andere ist, dass Repacholi mit den Zweifeln an seiner eigenen Studie prominente Gesellschaft hat. Etwa die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK), die, nach Diskussion der Studienresultate mit Repacholi, in ihrer 148. Sitzung am 25. September 1997 keine Gültigkeit der Studie für Menschen sah (Beleg), weil ...

► ... die Experimente bewusst an transgenen Versuchstieren durchgeführt wurden, die durch Genmanipulation eine extrem hohe Instabilität gegenüber verschiedenen Mutagenen aufweisen. Weder bei nicht-transgenen Mäusen noch beim Menschen ist eine solche Reaktion zu erwarten.
► ... das Experiment einige von den Autoren aus versuchstechnischen Gründen in kauf genommene Probleme bei der Dosimetrie hat.
► ... Felder der im Experiment verwendeten Frequenz 900 MHz nur wenige Zentimeter in Körpergewebe eindringen. Bei einer Maus bedeutet dies eine Beeinflussung des gesamten Körpers, beim Menschen lediglich einen kleinen Bereich, z.B. des Kopfes.
► ... mehrere Publikationen vorliegen, die bei ähnlicher Exposition keine Effekte zeigen.

Im Zweifel replizieren

In der Wissenschaft gehören widersprüchliche Studienergebnisse zum Alltag und wenn der Gegenstand widersprüchlicher Studien Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben kann, fängt die Wissenschaft nicht an zu reimen, sondern versucht mit der Wiederholung alarmierender Studien zu klären, ob ein Alarm gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn voneinander unabhängige Arbeitsgruppen die Ergebnisse alarmierender Studien mit unverändert gleichem (oder einem verbesserten) Studiendesign bestätigen können. Je häufiger so eine Replikation gelingt, desto wahrscheinlicher ist es, dass der beobachtete Effekt tatsächlich real und nicht etwa einem Fehler im Studiendesign oder der Versuchsdurchführung geschuldet ist. Dieses Vorgehen ist sinnvoll und plausibel, fanatische Mobilfunkgegner sind die einzigen, die daran Anstoß nehmen und die Forderung nach Replikationen als Intrige oder Schikane "der Industrie" sehen. Ziel: Alarmstudien die Wirkung rauben.

Repacholis Mäusestudie wurde zweimal repliziert, zuerst 2002 von der Arbeitsgruppe Utteridge und 2007 noch einmal von der Arbeitsgruppe Oberto. Beide Arbeitsgruppen konnten die alarmierenden Ergebnisse Repacholis nicht bestätigen.

Die Zweifel, die der Australier im Interview mit Scheidsteger an seiner eigenen Studie einräumt, sind daher für jeden verständigen Menschen voll gerechtfertigt. Sie sind kein Grund, sich abwertend darüber zu äußern. Im Gegenteil: Aus meiner Sicht zeigen sie vielmehr die Ernsthaftigkeit, mit der Repacholi seine Arbeit als Wissenschaftler begriffen hat. Statt mit seiner weltweit Aufsehen erregenden Studie zu kokettieren und sich vielerorts mit den Studienergebnissen zu brüsten, mahnte der damalige EMF-Koordinator der WHO zur vorsichtigen Interpretation. Dies unterscheidet ihn gravierend von Franz Adlkofer, der keine Gelegenheit ausließ, mit seinem "Reflex"-Projekt in die Öffentlichkeit zu drängen und Alarm zu schlagen, anfangs verhalten, später zunehmend lauter. Auf Adlkofer werde ich in einem späteren Faktencheck des Scheidsteger-Elaborats noch einmal zurück kommen.

Sowohl Repacholis Mäusestudie als auch die beiden Replikationsstudien lösten etliche Kommentare von Wissenschaftlern in Fachjournalen aus. Wer wann kommentierte ist in den oben verlinkten Einträgen der Studien im EMF-Portal zu sehen (z.B. Lin J., Goldstein L. S., Kundi M., Lerchl A.). Leider sind für Zaungäste die ausnahmslos englischen Kommentare nicht gratis einsehbar, davon ausgenommen ist (aus technischem Grund) nur der Kommentar von Kundi. Der als Mobilfunkkritiker bekannte Österreicher hat Repacholis alarmierende Studie nicht kommentiert, die Entwarnung von Utteridge hingegen kommentiert er kritisch. Franz Adlkofer berief nach Gründung seiner Forschungsstiftung "Pandora" (sammelt u.a. Spenden für gezielt mobilfunkkritische Forschung) Michael Kundi in deren Stiftungsrat.

Dr. Repacholi mit Dr. No verwechselt

Wenn Zaungast Scheidsteger 2019 im nebulösen Passiv behauptet, der "dazugehörige Sprachgebrauch wurde vereinheitlicht und weltweit verordnet" (von wem?, fűr wen?), so ist anzunehmen, dass er als Täter den WHO-Mann Repacholi meint und als Opfer meinungsbildende Teile der Weltbevölkerung (z.B. Wissenschaftler, Ärzte, Politiker).

Dem Trachten von Dr. No nach der Weltherrschaft kam James Bond in die Quere, zur WHO stellt sich die Eitelkeit der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft quer, die sich ganz gewiss nicht etwas "verordnen" lässt. Womit ich sagen will: Scheidstegers formuliert nicht mehr und nicht weniger als eine kleine Verschwörungstheorie, für die er nicht den Funken eines Belegs bringt. Mutmaßlich hat der Filmemacher nicht auf dem Schirm, dass Wissenschaft ein kumulativer Prozess ist. Eine einzelne Alarmstudie erregt in einer von widersprüchlichen Ergebnissen dominierten Studienlandschaft keinen Wissenschaftler, Laien hingegen schon. Erst wenn sich durch gelungene/misslungene Replikationsstudien und innovative neue Studien ein mehrheitlich gefestigtes Bild der Studienlage herausgeschält hat, spricht die Wissenschaft mit einer Stimme. In der Realität spricht sie selbstredend nie mit einer Stimme, ein paar Abweichler finden sich immer – so ist das nun mal in Prozessen, die nach Grundregeln der Demokratie funktionieren.

Gäbe es den von Scheidsteger verordneten Sprachgebrauch tatsächlich, das Internet würde nicht seit eh und je schier überquellen an Alarmmeldungen über die angebliche Schädlichkeit elektromagnetischer Felder. Höchstens 1 Prozent dieser Meldungen, so meine Schätzung, sind fachlich fundiert, der Rest sind mehr oder weniger unqualifizierte Quellen, deren Bandbreite von Sonderlingen über Geschäftemacher, Filmemacher, Bürgerinitiativen und Anti-Mobilfunk-Vereine bis hin zu Pseudowissenschaftlern reicht. No problem? Doch, wer diese Spreu nicht vom Weizen trennen kann, hat ein erhebliches Orientierungsproblem und backt sein Brot nur zu leicht mit Spreu.

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Faktencheck 04: ohne Reim, kein Problem

H. Lamarr @, München, Sonntag, 15.12.2019, 21:23 (vor 1596 Tagen) @ H. Lamarr

Sowohl Repacholis Mäusestudie als auch die beiden Replikationsstudien lösten etliche Kommentare von Wissenschaftlern in Fachjournalen aus. Wer wann kommentierte ist in den oben verlinkten Einträgen der Studien im EMF-Portal zu sehen (z.B. Lin J., Goldstein L. S., Kundi M., Lerchl A.). Leider sind für Zaungäste die ausnahmslos englischen Kommentare nicht gratis einsehbar, davon ausgenommen ist (aus technischem Grund) nur der Kommentar von Kundi.

Ersatzweise zur Leserbriefdiskussion folgend ein Auszug aus dem Übersichtsartikel "Mobile phones and health: A literature overview", den Christian P. Karger, Deutsches Krebsforschungszentrum, 2005 in dem Fachjournal "Zeitschrift für Medizinische Physik", 15(2005) 73–85, veröffentlichte. In dem Auszug geht es um Widersprüche in Utteridges Replikationsversuch:

[...] Recently, the experiment of Repacholi et al. [79] was replicated by Utteridge et al. [97], indicating that long term microwave radiation does not increase lymphoma incidence. The experiment included 1600 mice and in contrast to the initial study, the animals were fixed during exposure and 4 different dose levels between 0.25 and 4 W/kg were used. Two groups of sham-treated animals were used, one with fixed and one with free moving animals. The experiment was performed for the initial transgenic strain as well as for the wild-type of the same strain. Great effort was spent on precise SAR measurements and in contrast to the initial study, all animals were necropsied. The publication was controversially discussed [35,36,63,66,67,98,99]. Since some exposure conditions were not exactly the same as in the initial study, the comparability of both studies was questioned [63,66,67]. The most important objection, however, was that the lymphoma incidence for the sham-treated transgenic mice in Utteridge et al. was significantly higher than that in Repacholi et al. (74 % vs. 28 %) [35,67]. In his reply [98], Utteridge solved this discrepancy by reprinting the survival curves as a function of age instead of the initially used days of exposure (which excluded weekends and publicholidays). After that, the incident rates agreed with those of Repacholi et al. In additional communications [36,99], some more details have been clarified. Finally, two recently published studies with similar experimental design also showed no significant effect [1,64]. In conclusion, the weight of evidence does not prove that microwave radiation adversely affects tumor promotion or progression [23]. [...]

Die beiden Studien mit ähnlichem Design [1,64] waren:

[1] Anane, R., Dilou P.-E., Taxile, M., Geffard, M., Crespeau F.-L., Veyret, B.: Effects of GSM-900 microwaves on DMBA-induced mammary gland tumors in female Sprague-Dawley rats. Radiat. Res. 160(2003) 492–497

[64] La Regina, M., Moros, E. G., Pickard, W. F., Strambe, W. L., Baty, J., Poti Roti, J. L.: The effect of chronic exposure to 835.62 MHz FDMA or 847.74 MHz CDMA radiofrequency radiation on the incidence of spontaneous tumors in rats. Radiat. Res. 160(2003) 143–151

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Faktencheck 05: "Handystrahlung"

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 12.12.2019, 22:17 (vor 1599 Tagen) @ H. Lamarr

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte.

Klaus Scheidsteger beschäftigt sich seit 2004 mit dem Risiko Mobilfunk, also seit nunmehr 15 Jahren. Da darf man mMn erwarten, dass er den Unterschied kennt zwischen einem Handy und einer Mobilfunk-Basisstation (Sendemast). Der Unterschied ist nicht banal, denn für die Funkimmission durch Handys und Basisstationen gelten unterschiedliche Grenzwerte. Handys befelden nur einen kleinen Teil eines Menschen, beim Telefonieren üblicherweise den Kopf, der zulässige Grenzwert (SAR) ist in diesem Fall mit 2 W/kg (Allgemeinbevölkerung) relativ hoch. Sendemasten befelden hingegen den gesamten Körper eines Menschen, der zulässige Ganzkörper-Grenzwert ist deshalb mit 0,08 W/kg (Allgemeinbevölkerung) erheblich kleiner (Faktor 25). Maßgebend für beide Grenzwerte ist, wie stark die Kerntemperatur eines Menschen unter der Funkeinwirkung zunimmt. Wer im Beruf elektromagnetischen Feldern ausgesetzt ist, für den gelten höhere Grenzwerte, da die Befeldung dann auf die Arbeitszeit begrenzt ist und empfindliche Personen (Kinder, Alte, Kranke) nicht am Berufsleben teilnehmen.

Wenn nun ein "Mobilfunk-Experte" wie Scheidsteger von Handystrahlung redet ist anzunehmen, dass er damit die Funkemission von Handys meint – nicht die von Sendemasten. Im Kontext des obigen Zitats ist dies jedoch falsch. Repacholi befeldete seine Mäuse nicht mit Handystrahlung (Teilköperbefeldung), sondern mit Sendemastenstrahlung (Ganzkörperbefeldung). Wie stark Repacholis Mäuse befeldet wurden weiß niemand genau, denn die Nager konnten sich während der Befeldung in ihren Käfigen frei bewegen und waren der Emissionsquelle mal näher, mal weiter von ihr entfernt. Genau bekannt ist nur: War eine Maus am weitesten von der Funkquelle entfernt, nahmen sie 0,008 W/kg elektrische Leistung auf (Faktor 10 unter Grenzwert), war sie am nähesten dran, waren es 4,2 W/kg (Faktor 52,5 über Grenzwert). Die Ungewissheit, wie viel Funkstrahlung eine Maus während des 18 Monate dauernden Experiments tatsächlich ausgesetzt war, ist eine der Schwächen von Repacholis Studie.

Zugegeben, Scheidstegers irreführende Wortwahl ist kein kapitaler Fehler. Seine Fehlleistung erinnert eher an einen unsauberen Trick, mit dem einige Mobilfunkgegner es gezielt vermeiden, sich nicht auf "Handystrahlung" oder "Sendemastenstrahlung" festlegen zu müssen, sondern nebulös von "Mobilfunkstrahlung" reden. Für Irreführer ist dies von Vorteil, um mit einer Studie Ängste gegenüber Sendemasten selbst dann schüren zu können, wenn die Studie starke Funkfelder einsetzte wie sie Handys verursachen, niemals aber Sendemasten. Bei dem Filmemacher liegt der Fall im konkreten Beispiel wahrscheinlich anders. Er dürfte auch im Jahr 15 seines Engagements gegen Mobilfunk noch immer von den technischen Feinheiten der Immissionsszenarien überfordert gewesen sein und wählte mit "Handystrahlung" einfach den nächstbesten Begriff, der ihm beim Vertonen seines Werks in den Sinn kam. Dass er den Begriff sachlich falsch gebraucht, auch seine Auftraggeber werden es wohl nicht bemerkt haben.

[Admin: Textpassage über berufliche Exposition präzisiert am 17.12.2019]

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Faktencheck 06: ICNIRP-Vorsitzender schlägt Alarm

H. Lamarr @, München, Sonntag, 15.12.2019, 20:25 (vor 1596 Tagen) @ H. Lamarr

Der Australier Dr. Mike Repacholi galt quasi als Kronzeuge der Mobilfunkkritiker, weil er in seiner 1995 veröffentlichten Studie bei Mäusen, die der Handystrahlung ausgesetzt wurden, eine vermehrte Krebsentwicklung gesehen hatte. Nun saß der Mann bei der WHO und stellte seine Studie infrage, betrieb quasi War-Gaming an sich selbst.

Wenn "Radiation Research" Mike Repacholis Studie im Mai 1997 veröffentlichte (nicht 1995) und allein die Befeldung der Mäuse 18 Monate dauerte, muss Repacholi spätestens Ende 1995 mit dem experimentellen Teil seiner Studie begonnen haben. Zuvor muss die Idee der Studie zu einem ausdiskutierten Studiendesign gereift und die Finanzierung in trockene Tücher gebracht worden sein. Der Beginn der Studie dürfte daher gut und gerne bis Anfang 1995 oder sogar bis 1994 zurück reichen.

Warum ist das von Bedeutung?

Weil Mike Repacholi bis 1996 erster Vorsitzender der 1992 gegründeten ICNIRP war! Das muss man sich in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen: Der erste ICNIRP-Vorsitzende startet mitten während seiner Amtszeit eine Studie, die 1997 mit dem viel zitierten öffentlich hörbaren Knall endet, Mobilfunk führe bei Mäusen zu Krebs.

Glaubt man Scheidsteger und seinen Gesinnungsfreunden, kann das, was damals passierte, jedoch gar nicht passiert sein, denn in den Kreisen des Filmemachers gilt ICNIRP als Handlanger "der Industrie", dessen Aufgabe es ist, jegliche gesundheitlichen Risiken von Mobilfunkfeldern zu leugnen. Ausgenommen von dieser Pauschalverdächtigung, die zu keiner Zeit mit belastbaren Fakten belegt wurde, ist allein die unstreitig schädliche Wärmewirkung von EMF oberhalb der 1998 definierten ICNIRP-Grenzwerte. Welche bestechende Logik dem Umstand innewohnt, dass ausgerechnet der Vorsitzende eines angeblich im Dienst der Mobilfunkindustrie stehenden korrupten Vereins eine Alarmstudie zulasten des Mobilfunks publiziert (statt diese verschwinden zu lassen), das mag jeder für sich beurteilen.

Vater aller ICNIRP-Hasser war der 2003 verstorbene Neuseeländer Dr. Neil Cherry. Er verbiss sich ab 1999 als Erster in ICNIRPs Wade und brachte mehrere Papiere hervor, in denen er ICNIRP der Industrienähe und der Vertuschung von Gesundheitsrisiken beschuldigte. In Kreisen der Wissenschaft nahm niemand Notiz von den Anwürfen, auch ICNIRP schwieg dazu. Laienhafte Mobilfunkgegner in aller Welt aber griffen Cherrys Anschuldigungen begeistert auf und verbreiteten sie über ihre Netzwerke bis ins letzte Dorf. Seither hat das Genörgel von Mobilfunkgegnern an ICNIRP nicht mehr aufgehört, begnügt sich jedoch mit dem Kolportieren von Vermutungen, Verdächtigungen und unbelegten Tatsachenbehauptungen. Im März 2019 reihte sich das sogenannte Journalistennetzwerk "Investigate Europe" in die Front der Kolporteure ein, freilich ohne etwas zu berichten, was in der Anti-Mobilfunk-Szene nicht schon zuvor kursierte. Wer exklusiv Gerüchte in der Anti-Mobilfunk-Szene investigiert kann per se keine besseren Resultate hervorbringen.

Hintergrund
Neil Cherry publizierte an der Wissenschaft vorbei

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War-Gaming für den Profit: Schreck am Morgen

H. Lamarr @, München, Dienstag, 10.12.2019, 12:05 (vor 1601 Tagen) @ H. Lamarr

Der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk beauftragte den Gesinnungsfreund Klaus Scheidsteger, einen Kurzfilm über angebliche Machenschaften der Mobilfunkindustrie anzufertigen. Was dabei herausgekommen ist, jeder kann es sich leicht denken.

Als ich heute Morgen noch etwas verschlafen im Internet stöberte, fiel mir fast die Kaffeetasse aus der Hand: Hatten doch die seriösen Faktenchecker von Correctiv auf ihre Website einen unerträglich wohlwollenden Eintrag über Klaus Scheidstegers jüngsten War-Gaming-Streifen gepackt. Was für ein Schlag ins Kontor! Ist es der gut geölten Desinformationsmaschinerie des Vereins Diagnose-Funk doch tatsächlich gelungen, sogar das Personal von Correctiv einzuwickeln. Einen Moment lang dachte ich das wirklich. Erst beim zweiten Hinschauen fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Ich war auf eine mutmaßlich freudsche Verwechslung hereingefallen, statt zu Correctiv hat mich ein unkonzentrierter Klick in einer Google-Trefferliste zu Connectiv geführt, was ungefähr der Verwechslung von Himmel und Hölle gleichkommt :lookaround:.

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