MedNIS: EHS-Szene wandert fröhlich singend auf dem Holzweg (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Montag, 01.07.2024, 20:10 (vor 145 Tagen) @ H. Lamarr

Kommentar: Mutmaßlich vollzieht sich die Rekrutierung der mindestens 500 Teilnehmer an der Kohortenstudie nicht wie erwartet. So jedenfalls interpretiere ich den Aufruf von Elisabeth Buchs (Gigaherz) vom 27. März 2024, mit dem sie um möglichst zahlreiche Teilnahme an der Studie bittet. Da Gigaherz-Präsident Jakob gerne von bis zu 900'000 "Elektrosensiblen" in der Schweiz phantasiert, sollte die Mindestanzahl von Teilnehmern an der Studie eigentlich längst erreicht sein :-).

Egal ob funkstrahlung.ch, Diagnose-Funk oder Gigaherz, die EHS-Szene der D-A-CH-Länder ist von MedNIS und noch mehr von der geplanten Kohortenstudie restlos begeistert. Diagnose-Funk freut sich gewohnt populistisch: "Das ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung! Damit wird eine individuelle medizinische Betreuung möglich [stimmt, nämlich eine psychotherapeutische! Anm. Postingautor] und die Betroffenen werden nicht mehr einfach als psychisch Kranke schubladisiert." Und Gigaherz-EHS-Vorständin Elisabeth Buchs ruft ihre Leidensgenossen eifrig zur Teilnahme an der Kohortenstudie auf.

Ohne rosarote Brille gesehen

Aus meiner Sicht blickt die naive Szene überhaupt nicht, was die Kohortenstudie von MedNIS wirklich für Folgen haben wird. Die Studie kann gar nicht anders, als die Einschätzung der WHO bestätigen, dass "Elektrosensibilität" eine somatoforme Störung ist. Mit dem Volksmund gesprochen: Die Betroffenen haben einen Knall. Selbstverständlich wird MedNIS sich anlässlich der Verkündung des Studienresultats vornehmer ausdrücken, das ändert den Befund jedoch nicht substanziell.

Bezeichnenderweise drückt sich Diagnose-Funk mit der Behauptung, "Betroffene werden nicht mehr einfach als psychisch Kranke schubladisiert" im Passiv aus und lässt damit offen, wer die Täter sind. Meiner Beobachtung zufolge sind die Täter in erster Linie die selbsternannten "Schutzorganisationen" (Vereine) für "Elektrosensible", die den Betroffenen seit rd. 20 Jahren in aller Regel ohne Quellenangaben einreden, sie würden "psychiatrisiert". Die Vereine entfremden damit "Elektrosensible" von einer hilfreichen kognitiven Verhaltenstherapie, die nur dann erfolgreich sein kann, wenn Betroffene noch nicht restlos in ihrem irrationalen Überzeugungssystem gefangen sind. Die Vereine haben mMn kein Interesse, ihren Opfern wirklich zu helfen, denn sie können zerknirschte "Elektrosensible" gut gebrauchen, um angebliche Schadwirkungen schwacher EMF-Befeldung dramatisch in Szene zu setzen.

Eine somatoforme Störung ist mit einer psychotherapeutischen Behandlung anzugehen, bei der im Vordergrund steht, dem Patienten ein plausibles Krankheitsmodell zu vermitteln, das die Entwicklung einer ausreichenden Motivation für die Behandlung erlaubt. Erst wenn der Patient das Krankheitsmodell begriffen hat, kann im zweiten Schritt die Bearbeitung der zugrunde liegenden Mechanismen erfolgen (Quelle). Heißt nichts anderes, als dass besonders Diagnose-Funk mit seiner unqualifizierten Einschätzung von MedNIS komplett neben der Spur ist. Der Verein redet "Elektrosensiblen" nach dem Mund und weckt damit bei den Betroffenen falsche Erwartungen, die mMn zu 100 Prozent enttäuscht werden.

Die MedNIS-Studie wird auch das Resultat erbringen, dass eine gewisse Anzahl x der Studienteilnehmer unter der somatoformen Störung beträchtliche körperliche Symptome entwickeln. Solche Teilnehmer darf man nicht als Spinner abtun, sie haben ein Recht auf eine psychotherapeutische Behandlung, um ihre Lebenssituation zu bessern. Wenn sie dafür überhaupt noch zugänglich sind. Meiner Baucheinschätzung nach wird diese Anzahl x unter 25 Prozent der Studienteilnehmer liegen und es wäre zu hinterfragen, ob für die Symptome medizinische Evidenz vorliegt oder die Befunde allein auf Schilderungen der Betroffenen beruhen. Die übrigen 75 Prozent sehe ich bei eher unglaubwürdigen Gelegenheits-EHS mit Bagatellsymptomatik und dem Trachten nach sekundärem Krankheitsgewinn sowie bei einer Minderheit von Personen mit anderen psychischen Problemen (Münchhausen-Syndrom, Pseudologie, ADHS ...).

Sollte meine Prognose zutreffend sein, muss die Szene spätestens bei Bekanntmachung der Studienresultate schäumen. Gewöhnlich wird dann Verrat gewittert und MedNIS mit Schmähungen überzogen. Die eigene Unfähigkeit, die Dinge, die mMn so sicher wie das Amen in der Kirche kommen werden, treffend vorauszusehen, werden die Vereine sich dann kaum eingestehen. Oder ich bin es, der zurückrudern muss :-).

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum