Konsumentenblatt "Beobachter" rastet auf Fall Reto Capeder ein (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Freitag, 09.12.2022, 23:58 (vor 527 Tagen) @ H. Lamarr

Seit Juli 2018 zieht Herr Capeder mit Kommentaren gegen das Digital-Radio DAB (DAB+) zu Felde.

Redlich Mühe gibt sich der Schweizer Beobachter in einem Beitrag vom 22. September 2022, in dem es um das "Geisterschiff" Reto Capeder geht. Von wissenschaftlich seriösen Erkenntnissen unbeirrt, bastelt der Beobachter an der Legende von "elektrosensiblen" Menschen, die, eine Laune der Natur, unter schwacher Funkeinwirkung auf unerklärliche Weise körperlich unangenehme Symptome entwickeln. Für eine Konsumentenzeitschrift ist es redaktionell ein Akt der Selbsterhaltung, derartige Legenden zu pflegen statt zu zerstreuen, denn Berichte über Geisterschiffe binden Leser ans Blatt. Aus Sicht der Betroffenen ist "Elektrosensibilität" kein Geisterschiff, sondern die unerwünschte individuelle Eigenschaft eines Organismus. Aus Sicht der Wissenschaft sind die Symptome häufig echt, jedoch kausal nicht einer Funkeinwirkung zuzuschreiben, sondern dem Nocebo-Effekt.

Spezialität von Capeder: Er gibt nicht wie die meisten "Elektrosensiblen" vor, unter Mobilfunk zu leiden, sondern unter dem UKW-Radio-Nachfolger DAB+, der gegenwärtig in der Schweiz mit Nachdruck eingeführt wird. Ein zweiter DAB+-Sensibler ist mir nicht bekannt. Dieses exklusive Alleinstellungsmerkmal dürfte der Grund gewesen sein, warum sich der Beobachter ausgerechnet für Capeders Fall interessiert hat.

Anlass dieses Postings ist nicht der "Elektrosensible", sondern die Art und Weise, wie der Beobachter die Leser schon mit seinen wenigen barrierefrei zu lesenden Zeilen davon überzeugen möchte, Capeder sei ernst zu nehmen und kein Simulant. In dem kurzen Textfragment sind mir die folgenden drei "Tricks" aufgefallen:

Überraschungseffekt: Altmeister Franz Adlkofer wurde als Tabak-Lobbyist ein Könner in eristischer Dialektik. So dramatisierte der unlängst verstorbene Mobilfunkkritiker das bekannte alarmierende Wiener/Berliner Ergebnis seines "Reflex"-Projekts gerne einleitend mit der entwaffnenden Behauptung ...

Unsere Ausgangshypothese war, dass wir trotz Einsatz modernster Untersuchungstechniken nicht in der Lage sein würden, den Nachweis zu führen, dass EMF das Programm lebender Zellen negativ beeinflussen kann. Wie Sie sehen werden, es kam anders als wir dachten.

Mit dem offenherzigen Beichten seines (angeblichen) Irrtums schaffte Adlkofer Spannung, Aufmerksamkeit und gewann an Glaubwürdigkeit.

Der Beobachter praktiziert den gleichen Trick, indem er in der Titelzeile Capeders (angebliches) Geständnis über "Elektrosensibilität" zitiert:

«Früher habe ich darüber gelacht, doch das Lachen ist mir vergangen»

Abwegige Unterlassung bemängeln: Warum wurde noch nie untersucht, wie sich das Fortpflanzungsverhalten von frei lebenden Eisbären in der Sahara auf die Eisbärenpopulation weltweit auswirkt? Weil eine solche Untersuchung schon deshalb abwegig ist, weil sich in der Sahara mit ziemlicher Gewissheit frei lebende Eisbären nicht auftreiben lassen. Für diese Erkenntnis muss auch keine Expedition in Marsch gesetzt werden, es genügt Allgemeinwissen. Der Beobachter aber schreibt in seinem Vorspann:

Das digitale Sendeverfahren DAB+ wird landesweit eingeführt. Mögliche gesundheitliche Risiken haben die Behörden nie untersucht.

Na sowas, was erlauben sich die Behörden! Doch warum sollten sie gesundheitliche Risiken einer DAB+-Ausstrahlung untersuchen, nur weil einer (meinetwegen auch zehn oder zwanzig) von rd. acht Millionen Schweizern behauptet, ihm bekomme DAB+-Befeldung schlecht? Schweizer Steuerzahler wären mutmaßlich wenig begeistert, hätten die Behörden tatsächlich gemacht, was der Beobachter vermisst. Meiner Einschätzung nach wären die Steuerzahler zurecht verärgert, denn in aller Welt wurden bislang tausende überzeugte "Elektrosensible" nach allen Regeln der Kunst wissenschaftlich getestet. Kein einziger aber konnte seine behauptete Fähigkeit der Wahrnehmung schwacher elektromagnetischer Felder statistisch signifikant unter Beweis stellen. Bei dieser Faktenlage mutet der Vorwurf des Beobachter gegenüber den Behörden ziemlich überkandidelt an, so als ob, wenn DAB+ mit weißer Weste aus der Untersuchung käme, der nächste Vorwurf des Beobachter lautet, die beim Test verwendete Musikgattung sei nicht die richtig gefährliche gewesen. Möglicherweise verwechselt der Autor des Beobachter-Beitrags aber auch nur die beiden Begriffe Gefahr und Risiko. Die reale Gefahr eines Gesundheitsschadens infolge DAB+-Einwirkung dürfte in etwa so groß sein, wie die von einem Meteor erschlagen zu werden. Leugnen lässt sich dies nicht. Doch das Risiko, dass dies tatsächlich passiert, ist für die allermeisten von uns praktisch gleich Null.

Fachkompetenz vorgaukeln: Um die Glaubwürdigkeit einer journalistisch verwursteten Hauptfigur zu dokumentieren, gieren besonders Boulevardmedien nach irgendwelchen akademischen Weihen ihrer Protagonisten. Herr Capeder wird uns im Beobachter nicht schlicht und prägnant als Informatiker vorgestellt, sondern umständlich als "Elektroingenieur, der im Informatikbereich arbeitet". Warum diese Umstände? Meiner Einschätzung nach wollte der Beobachter auf das Zauberwort "Elektroingenieur" nicht verzichten, denn Laien vermuten bei einem "Elektroingenieur" viel eher Fachkenntnisse in Hochfrequenztechnik (also in der Funktechnik), als bei einem, der "im Informatikbereich" arbeitet. Und wenn sogar so ein "Fachmann" unter DAB+-Funk leidet, dann muss aus Laiensicht an der Sache mehr dran sein als wenn ein Verwaltungsfachangestellter, der von Funk keine Ahnung hat, behauptet, unter DAB+ zu leiden. Das klingt plausibel, hat aber den Haken, dass ein Elektroingenieur ohne Nennung der Fachrichtung beruflich alles Mögliche sein kann und mit Nachrichtentechnik nichts am Hut haben muss. Am deutlichsten wird dies beim Elektroingenieur Fachrichtung Starkstrom.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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