Messtechnik scheitert angeblich an Digital Radio DAB+ (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Montag, 29.10.2018, 00:39 (vor 2247 Tagen)

Reto Capeder aus Bad Ragaz, Kanton St. Gallen, glaubt elektrosensibel zu sein. Seit Dezember 2017 schaltet er sich mit Kommentaren unter Elektrosmog-Medienberichten in die öffentliche Debatte um Risiken der Funktechnik ein. Gegen 5G hat er nichts, vorausgesetzt der Anlagegrenzwert bleibt unangetastet. Dies ginge, meint er, sei "für die Provider aber etwas teurer". Nachvollziehbar ist diese Haltung nicht, denn ohne Lockerung der Anlagegrenzwerte sind die schweizerischen Netzbetreiber zur "etwas teureren" Netzverdichtung verpflichtet, wollen sie 5G nicht nur in Ballungsgebieten, sondern auch auf dem flachen Land anbieten. Capeder riskiert also mit seiner moderaten Haltung gegenüber 5G, dass ihm ein Sendemast vor die Nase gesetzt wird. Doch als ihm genau dies im September 2018 droht, ist es wieder nicht in seinem Sinne, er beteiligte sich an einer Petition gegen den geplanten Sendemast an der Pizolstrasse in Bad Ragaz. Das soll einer verstehen.

Seit Juli 2018 zieht Herr Capeder mit Kommentaren gegen das Digital-Radio DAB (DAB+) zu Felde. Einen Kommentar habe ich mir herausgepickt, um ihn seinerseits zu kommentieren:

Ich stelle fest, dass alle Medien von der Mobilfunkstrahlung sprechen.

Naja, sagen wir lieber "viele" sprechen zuweilen davon.

DAB+ und DVB-T (Digitaler Rundfunk) ist aber viel schlimmer.

Gut, aber das ist jetzt erst mal nur eine unbelegte Behauptung ...

Die Sende-Leistung jedes der x 100 Sender in der Schweiz, wurde in den letzten 2 Jahren im Schnitt um den Faktor 5-10 erhöht.

Weiß ich nicht, möchte ich nicht mühsam recherchieren und muss ich Herrn Capeder deshalb glauben.

(Wir sprechen z.B. am Säntis von mehreren 100 kW Sendeleistung).

Nein, nicht "wir", nur Herr Capeder spricht davon. Wikipedia widerspricht der Behauptung von mehreren 100 kW. Die beiden vom Säntis ausgestrahlten DAB-Blöcke haben ERPs von nur 28,5 kW und 16 kW. DVB-T wird mit 4 kW ERP ausgestrahlt, der Rest ist alles gutes altes UKW und Analog-Fernsehen. Die Wikipediaseite wurde, Stand heute, zuletzt am 1. Oktober 2018 um 20:25 Uhr bearbeitet.

Dagegen scheint Handystrahlung wie ein warmes Lüftchen.

Kein fairer Vergleich, den 123 Meter hohen Säntis-Sendemast hält sich schließlich niemand ans Ohr. Die erfreuliche Schutzwirkung von schon geringem Abstand zwischen Emissionsquelle und Immissionsobjekt kann jeder ebenso mühelos wie schmerzhaft selbst erproben, indem er sich ein heißes Bügeleisen ans Ohr hält.

Das Problem: Niemand weiss davon und die Sender sind oft 10 km entfernt auf einem Berg.

Was andere wissen oder nicht wissen, Herr Capeder kann es nicht wissen, bestenfalls vermuten. Und wieder ein Widerspruch, diesmal zum "warmen Lüftchen": Ein 10 km entfernter DAB/DVB-T-Sender trägt mit Sicherheit nur den Bruchteil der Energie in den Kopf eines Menschen ein, den ein ans Ohr gehaltenes Handy mit seinem "warmen Lüftchen" einträgt.

Man denkt gar nicht daran, dass diese Sender einen treffen könnten.

Stimmt, seit etwa 100 Jahren denken die Menschen nicht daran, ausgenommen ein paar "Elektrosensible", ein Sender könnte sie mit seinen Funkwellen treffen. Einer der Vorgänger dieser Modekrankheit war die Neurasthenie (Nervenschwäche), sie gehörte im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu den Modekrankheiten einer gehobenen Gesellschaftsschicht. Hierzulande ist Neurasthenie mittlerweile so gut wie ausgestorben, zeitgemäße Ersatzkrankheiten wie "Burnout", "MCS" oder "Elektrosensibilität" sind attraktiver.

Ist aber so.

Mag sein. Macht aber nix.

Zudem strahlen diese Sender 365 Tage im Jahr ohne Unterbruch.

Richtig. Und doch wird ein Hühnerei nicht gar, lässt man es bei 20 °C geschlagene 365 Tage und länger liegen.

Die Belastung ist viel höher als bei Handystrahlung.

Richtig. Aber nur, wenn Sie mit einem Gleitschirm in Rufweite um die Antennen auf dem Säntis kreisen.

Sendet immer,

Interessant, also ungepulst.

tiefe Frequenzen, die auch durch alle Wände (auch Beton) gehen.

Richtig. DAB sendet in der Schweiz zwischen 175 MHz und 239 MHz auf deutlich tieferen Frequenzen als z.B. Mobilfunk. Doch UKW (88 MHz bis 107 MHz) ging noch viel besser durch Beton, gar nicht zu reden von den starken Mittelwellensendern z.B. auf 800 kHz. Je kleiner die Frequenz, desto größer die Wellenlänge und die Reichweite bei gleicher Sendeleistung. Das hat etwas mit Physik zu tun.

Lässt sich kaum sinnvoll abschirmen.

Richtig. Weil das sinnlos (unnötig) ist.

In allen amtlichen Statistiken wird DAB nicht berücksichtigt, da die dort eingesetzten Exposimeter diese Frequenz nicht korrekt messen können.

Falsch. Keine "amtliche Statistik" arbeitet mit Exposimetern. Nur ein paar Wissenschaftler, Messtechniker, "Baubiologen" und Mobilfunkgegner tun dies. Amtlicherseits werden teure Messstationen verwendet, für die DAB ein Kinderspiel ist, denn die messen runter bis auf 9 kHz.

Wer braucht im Wohngebiet im Zeitalter von Glasfaser noch DAB+, etc

Ich, weil ich Auto fahre und auch künftig Radio hören will. Auf langen Strecken wäre die rotierende Glasfaserkabelrolle im Kofferraum enorm hinderlich.

Soviel zum Kommentar von Reto Capeder auf zueriost.ch.

Jüngst hat sich Herr Capeder mit seinem Aha-Erlebnis, kein Exposimeter könne DAB messen, bei Gigaherz zu Wort gemeldet. Elektrosensible, die sich zur Objektivierung ihrer Funkwellenphobie ein Exposimeter ausleihen, meint er, würden in die Irre geführt, weil die Geräte eben nicht auf DAB-Funksignale reagierten. Der Mann aus Bad Ragaz hat damit einen wunderbaren Persilschein für alle "Elektrosensiblen" gefunden, die sich magerer Messwerte wegen ihre starken Symptome nicht recht erklären können. Bislang war diese Klientel gezwungen anzunehmen, sie reagiere schon auf ein paar µW/m². Dass die mickrigen Werte nur dadurch zustande kamen, weil das Exposimeter mörderisch starke DAB-Signale unterschlagen hat, das hatte niemand auf dem Schirm! Schlimmer noch: Auch die weit verbreiteten älteren Hobby-Messgeräte eines bayerischen Herstellers, gut erkennbar an der typischen grünen "Christbaumantenne", sind mit 700 MHz oder 800 MHz unterer Grenzfrequenz nicht imstande, DAB-Signale zu messen. Schrecklich. Die Geschichte der "Elektrosensiblen" muss womöglich neu geschrieben und vermessen werden, denn es ist davon auszugehen, dass praktisch sämtliche Hobby-Messgeräte, die in der Anti-Mobilfunk-Szene gehandhabt und herumgereicht werden, an DAB scheitern.

Wirklich?

Nein, denn z.B. mit dem "EME Guard XS" gibt es durchaus ein Exposimeter, das auch DAB messen kann, und das mit knapp 800 Euro zwar nicht billig ist, aber auch nicht unerschwinglich teuer. Und der bayerische Platzhirsch für Elektrosmog-Hobbymesstechnik hat ebenfalls rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt, nachgelegt und bietet ab etwa 750 Euro (Modell HFE35C) seine Knatterboxen mit nach unten auf 27 MHz ausgedehntem Messbereich an. Wer sich für "elektrosensibel" hält hat also durchaus Möglichkeiten, sich mit DAB-tauglicher Messtechnik einzudecken.

Verdienst von Reto Capeder ist es, ob nun beabsichtigt oder nicht, die Nachfrage nach derartigen Messgeräten anzukurbeln.

Hintergrund
Das unterscheidet DAB+ von DAB
100 Jahre Elektrosmog-Panikmache

[Admin: Postingtitel geändert am 29.10.18, 9:35 Uhr]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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