Lennart Hardell vs. ICNIRP (Allgemein)
Dass Lennart Hardell kein Freund der ICNIRP ist weiß jeder. Die Intensität der Vorwürfe hat in den vergangenen zwölf Monaten jedoch deutlich zugenommen und erreichte in Hardells Rückblick World Health Organization, radiofrequency radiation and health - a hard nut to crack einen Höhepunkt. Hardell ist Teil einer Gruppe von Mobilfunkgegnern, die der ICNIRP Industrienähe vorwirft und deshalb zwischen WHO und ICNIRP einen Keil treiben möchte. Bislang hält sich die WHO in ihrer Haltung zu biologischen Risiken elektromagnetischer Felder eng an die Empfehlungen der ICNIRP.
In seinem online im Juni 2017 erschienenen Beitrag wiederholt Hardell einen Vorwurf, der erstmals im Dezember 2016 an die Öffentlichkeit drang:
It should be noted that the Ethical Board at the Karolinska Institute in Stockholm, Sweden concluded already in 2008 that being a member of ICNIRP may be a conflict of interest that should be stated officially whenever a member from ICNIRP makes opinions on health risks from EMF (Karolinska Institute diary number: 3753-2008-609). No statement of such conflict of interest can be found in the WHO draft of the Monograph on RF radiation.
Frei übersetzt: Die Ethik-Kommission des Karolinska-Instituts (Schweden) erkannte schon 2008, die Mitgliedschaft bei ICNIRP könne einen Interessenkonflikt bedeuten, auf den immer dann offiziell hinzuweisen ist, wenn sich ein ICNIRP-Mitglied zu Gesundheitsrisiken elektromagnetischer Felder äußert (Karolinska Institute diary number: 3753-2008-609). Ein solcher Hinweis fehlt in dem Entwurf der WHO-Bewertung zu HF-Immissionen.
Starker Tobak. Doch was sagt ICNIRP zu der angeblichen Ächtung durch das Karolinska-Institut (medizinische Universität, die auch den Nobelpreis in Medizin vergibt)?
Das IZgMF hat bei Dr. Gunde Ziegelberger nachgefragt. Der wissenschaftlichen Sekretärin der ICNIRP waren Hardells Zitat und die angebliche Äußerung des Karolinska-Instituts neu. In ihrer Amtszeit als wissenschaftliche Sekretärin (seit 2004) habe ICNIRP kein Schreiben mit einem derartigen Betreff vom Karolinska-Institut erhalten. Was Hardell über den Inhalt des Karolinska-Papiers berichtet, stößt bei Ziegelberger auf Unverständnis. Denn ICNIRP veröffentliche die DoI (Declaration of personal Interests; Erklärung zu Interessenkonflikten) seiner Kommissionsmitglieder, wie auch der Mitglieder der "Scientific Expert Group" auf der Homepage der Kommission. Halte ein ICNIRP-Kommissionsmitglied irgendwo einen Vortrag, sei zudem stets angegeben, ob die Person als ICNIRP-Repräsentant spricht und somit ICNIRP-Meinung vertritt, ob sie als Vertreter ihrer Forschungsinstitution/Behörde auftrete oder als unabhängiger Experte. Diese Transparenz sei in der Wissenschaftsgemeinde allgemein üblich und nicht etwa spezifisch für ICNIRP.
Meine Fragen an Frau Ziegelberger stellte ich in Deutsch. Deshalb sind ihre Auskünfte eine persönliche Mitteilung und keine offizielle Stellungnahme von ICNIRP. Wer es offiziell haben möchte, muss in Englisch anfragen und bekommt Antwort in Englisch. Nur so seien Informationsaustausch und die Abstimmung auf einen gemeinsamen Nenner innerhalb ICNIRP möglich.
Nächster Schritt: Bislang existiert das Karolinska-Papier nur vom Hörensagen, Lennart Hardell hat es öffentlich nicht vorgelegt und auf der Karolinska-Website ist es nicht auffindbar. Also wird die nächste Anlaufstelle wohl die Ethik-Kommission der schwedischen Uni sein.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –