Anke Vetter misst im Hessischen Landtag bis zu 2 mW/m² (Allgemein)
Die Vorträge aller Anzuhörenden sowie deren Antworten auf Fragen der Abgeordneten lassen sich in diesem Dokument nachlesen (PDF, 36 Seiten).
Die "Elektrosensible" Anke Vetter beglückte während der Anhörung die Anwesenden mit Binsenweisheiten:
[...] Zu den Frequenzen oder Leistungsflussdichten möchte ich kurz ergänzen. Ich habe mir im Januar die erste Lesung der Gesetzentwürfe angehört. Jemand hat gesagt, er möchte auch im Wald, wenn er mit dem Fahrrad unterwegs ist, die Möglichkeit haben, einen Notruf abzusetzen, wenn er stürzt. Das kann ich sehr gut nachvollziehen; denn ich bin selbst leidenschaftliche Radfahrerin. Ich kann Sie aber beruhigen. Die normale Telefonfunktion eines Handys ist bereits bei 0,001 Mikrowatt pro Quadratmeter vorhanden. Zur Information: Hier im Raum habe ich vorhin aufgrund von WLAN und Geräten, die gerade Daten transferierten, zwischen 200 und 2.000 Mikrowatt gemessen. Es ist beeindruckend, wie wenig Strahlung eigentlich gebraucht wird. Damit ist nicht das Streamen eines YouTube-Videos im Wald gemeint. Aber die fundamentalsten Dinge sind auch dort möglich. [...]
Frau Vetter tritt selbstgewiss auf, doch schon der Unterschied zwischen Emission und Immission ist ihr nicht klar. So ist es keineswegs beeindruckend, "wie wenig Strahlung eigentlich gebraucht wird". Was Vetter im Landtag gemessen hat sind Immissionen und sie sitzt anscheinend dem naiven Trugschluss auf, Funkquellen könnten mit entsprechend niedrigen Sendeleistungen betrieben werden, um ihr Versorgungsgebiet weiterhin abzudecken. Ergo könnte man die vermeintlich unnötig hohen EMF-Grenzwerte doch völlig problemlos deutlich reduzieren. Wirklich? Nein, selbstverständlich nicht. Vielleicht hilft der "Elektrosensiblen" auf der Suche nach dem Grund eine Analogie weiter: Ja, bei Vollmond und wolkenlosem Himmel reicht das Mondlicht (etwa 0,5 W/m²), um auf der Erde eine Zeitung lesen zu können. Das wäre die Immission. Damit das funktioniert, muss die Sonne allerdings mit knackigen 3,84 x 10^26 W "Sendeleistung" strahlen. Das wäre dann die Emission. Da Sonnenlicht und Funkwellen sich nicht verlustlos ausbreiten, sondern auf ihrem Weg von der Quelle zum Ziel auf Erden gedämpft werden, muss eine Quelle zweckgebunden so stark strahlen, damit am Ziel noch ausreichend Leistung für den gewünschten Zweck ankommt (Sonnenbräune, Mobiltelefonat). Zwangsläufig herrschen deshalb an jedem Punkt der Strecke zwischen Quelle und Ziel höhere Immissionen als am Ziel. Die Physik fasst diese Erkenntnis kurzerhand in dem Begriff Abstandsgesetz zusammen. Comprende?
Mit ihrer Elektrosmogmessung reiht sich auch Vetter in die Schar aller öffentlich wahrgenommenen "Elektrosensiblen" ein, die ihrer angeblichen Strahlenfühligkeit selbst nicht über den Weg trauen, und sich deshalb technischer Hilfsmittel bedienen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Kein überzeugter "Elektrosensibler" ohne Elektrosmog-Detektor. Die Verkaufsbranche freut's diebisch.
Vetter weiter:
[...] Meine Damen und Herren, die elektromagnetische Hypersensitivität, die bei mir übrigens anhand der Leitlinie der Europäischen Umweltakademie diagnostiziert wurde, ist eine real existierende, ernst zu nehmende Multisystemerkrankung. [...]
Klingt nur für Laien gut. Aber: EMF-Profis halten die skandalumwitterte "Leitlinie der Europäischen Umweltakademie" für ein wertloses Papier.
Wie schon in dieser schrägen PR-Veranstaltung trat Anke Vetter im Hessischen Landtag nicht unsympathisch auf. Als Betroffene unterliegt sie jedoch derart starken kognitiven Verzerrungen ihrer Wahrnehmung von Elektrosmog, dass sie als Auskunftsperson wertlos ist. Für Studenten der Psychologie ist sie hingegen ein wertvolles Anschauungsbeispiel, wie unbeirrbare Überzeugung jemanden gegen jede noch so schlüssige evidenzbasierte Sachargumentation immunisieren kann. Doch die Zeit heilt alle Wunden. Es ist deshalb ziemlich unwahrscheinlich, dass Frau Vetter in zehn Jahren noch immer glaubt, ihre Beschwerden würden durch HF-EMF verursacht (siehe Traini et al. 2022). Die Studie hat zwar Schwächen, etliche lautstarke "Elektrosensible", die seit 2002 meinen Weg kreuzten, sind im Laufe der Jahre jedoch tatsächlich verschwunden. Geblieben sind mehrheitlich die, die mit ihren Auftritten materiellen oder immateriellen Profit einheimsen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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