Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 00:15 (vor 565 Tagen)

Ein Augenarzt in Ulm ist der Ansicht, die intensive Langzeitnutzung von Mobiltelefonen könnte Grauen Star (Linsentrübung) zur Folge haben. Er begründet seine Ansicht mit einer Idee, die er bei der retrospektiven Auswertung der Daten von 16 Patienten mit Grauem Star bestätigt sieht. Der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk verbreitet die Darstellung des Arztes, als wäre diese eine zweifelsfrei erwiesene Tatsache. Doch was ist wirklich dran an der Story?

Im Teil I des Faktenchecks geht es zuerst einmal darum, den Sachverhalt kurz darzustellen.

Quellen

Der Augenarzt Dr. med. Hans-Walter Roth hat den Praxisbericht mit den Ergebnissen seiner privaten Forschung im April 2023 in der Zeitschrift "Der Augenspiegel" unter dem Titel "Unilaterale Katarakt nach exzessiver Handynutzung" veröffentlicht. Eigenen Angaben zufolge erscheint die Zeitschrift im 68. Jahrgang und ihre Berichterstattung zu Themen aus dem gesamten Spektrum der Augenheilkunde hat vornehmlich das Ziel, den Leser praxisnah über die gegenwärtigen Entwicklungen, Diskussionen und Herausforderungen in der Augenheilkunde zu informieren.

Diagnose-Funk verbreitet den Artikel von Roth einschließlich einer ergänzenden Interpretation der Ergebnisse auf dieser Webseite.

Roths Praxisbericht ist auch für Laien leicht verständlich.

Hans-Walter Roths Idee

Die Idee, die den Augenarzt zu seiner Veröffentlichung inspirierte, ist schnell erzählt. Roth geht davon aus, dass beim Telefonieren mit einem Mobiltelefon ein Auge stets deutlich stärker befeldet wird als das andere, je nachdem, ob die Person Rechts- oder Linkshänder ist. Roth beruft sich auf eine physikalischen Formel, die besage, die Intensität einer Strahlung nehme mit dem Quadrat der Entfernung zur Strahlenquelle ab. Draus folge, dass das von der Strahlenquelle abgewandte Auge nur von einem Viertel der Strahlenmenge im Vergleich zum anderen Auges getroffen werde. Roth schließt daraus, Grauer Star müsse bei dem der Strahlenquelle zugewandten Auge mindestens viermal früher (schneller) nachweisbar sein. Der Unterschied im Schadensausmaß dürfte sogar noch höher ausfallen, würde zusätzlich der Intensitätsverlust der Strahlung beim Durchdringen des Schädelknochens oder des Hirngewebes mit einkalkuliert. Kurz gefasst lautet die Idee des Augenarztes: Sollten Mobiltelefone zu Grauem Star führen, dann müsste bei Linkshändern das linke Auge stärker betroffen sein als das rechte, bei Rechtshändern müsste es genau umgekehrt sein. Ein Vergleich der Sehschärfe beider Augen erlaube es, diesen Schaden exakt zu definieren.

Von der Idee zur Tat

Ausgehend von dieser Idee suchte Roth in einer ihm zugänglichen Patientendatenbank nach Patienten, die vor einer OP wegen Grauem Star standen, bei denen die Linsentrübung der beiden Augen unterschiedlich stark ausfiel (genauer ist dies im Original beschrieben) und die zehn Jahre zuvor noch keine nennenswerten Anzeichen von Grauem Star oder einer anderen Augenerkrankung zeigten. Dies traf gemäß Roth auf 16 Patienten zu.

Diese Patienten wurden befragt, wie viele Stunden durchschnittlich sie täglich ihr Mobiltelefon nutzten und über wie viele Jahre hinweg sie dies taten. Gefragt wurde auch, ob sie das Telefon mehrheitlich an das rechte oder linke Ohr hielten. Alle gaben an, über acht bis zwölf Jahre hinweg ihr Mobiltelefon täglich mindestens vier bis maximal sechs Stunden genutzt zu haben. Die starke Nutzung der Mobiltelefone erklärt Roth damit, die Mehrheit der Patienten stamme aus beratenden Berufsgruppen (Makler, Anlageberater, Anwälte) die beruflich häufig telefonieren müssten.

Ergebnisse

Die Auswertung der so erhobenen Daten ergab: Grauer Star ist bei allen 16 Patienten auf dem Auge, das dem Mobiltelefon näher war, eindeutig stärker ausgeprägt als auf dem anderen Auge. Roth sieht darin seinen Anfangsverdacht bestätigt, die Einwirkung von Funkfeldern, erstrangig die von Mobiltelefonen, begünstige die Bildung von Grauem Star. Dabei spielten Intensität und Einwirkdauer der Strahlung eine Schüsselrolle für die Linsentrübung. Da die Intensität von der Wellenlänge abhänge, stellten aus Sicht des Arztes vor allem die kurzwelligeren Strahlen das höhere Risiko dar.

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Handy, Linsentrübung, Grauer Star, Smartphone, Faktencheck, Katarakt, Roth, Augenspiegel

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

hikchr, Freitag, 21.04.2023, 09:21 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Wenn die Auswahl der Patienten so erfolgt ist wie es in dem Papier steht, dann wundert mich das Ergebnis nicht.

"Bewertet wurden nur solche Patienten, deren Sehschärfe auf dem Auge, das zur operativen Versorgung mit einer Kunstlinse anstand, im Landolttest nur noch 0.7 und weniger für die Ferne betrug, das dem Handy abgewandte Partnerauge aber noch immer eine Sehschärfe von mindestens 0.8 bis 1.0 erreichte."

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 10:26 (vor 564 Tagen) @ hikchr

Wenn die Auswahl der Patienten so erfolgt ist wie es in dem Papier steht, dann wundert mich das Ergebnis nicht.

"Bewertet wurden nur solche Patienten, deren Sehschärfe auf dem Auge, das zur operativen Versorgung mit einer Kunstlinse anstand, im Landolttest nur noch 0.7 und weniger für die Ferne betrug, das dem Handy abgewandte Partnerauge aber noch immer eine Sehschärfe von mindestens 0.8 bis 1.0 erreichte."

Sie meinen die Differenz von mindestens 0,1 sei so klein, dass sich mühelos Patienten finden lassen, auf die dies zutrifft und zufällig (oder auch nicht :lookaround:) der Zusammenhang zwischen Handyposition und dem schlechteren Auge gegeben ist?

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Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

hikchr, Freitag, 21.04.2023, 13:05 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Nein, ich hab den Text so verstanden, das schon bei der Auswahl nur Personen in frage kamen bei denen das vom Handy abgewandte Auge das bessere ist.:confused:

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 15:02 (vor 564 Tagen) @ hikchr

Nein, ich hab den Text so verstanden, das schon bei der Auswahl nur Personen in frage kamen bei denen das vom Handy abgewandte Auge das bessere ist.:confused:

Ja klar, das war ja Roths Anfangsverdacht, dass, wenn Grauer Star von Handys verursacht wird, das vom Handy abgewandte Auge das bessere sein muss. Also hat er in seiner Datenbank gezielt diejenigen Star-Patienten rausgefischt, bei denen ein Auge merklich mehr Linsentrübung zeigte als das andere. Und dann hat er diese 16 Patienten befragt, an welches Ohr sie ihr Handy halten. Wie durch ein Wunder passten alle Antworten perfekt zu Roths Anfangsverdacht, bei Linkshändern war stets das linke Auge schlechter, bei Rechtshändern das rechte. Roth hat damit einen Zusammenhang gefunden. Bingo! Das aber ist in Zeiten von "Big Data" nicht schwer, wie folgendes Beispiel zeigt: Der Zusammenhang zwischen dem Alter einer Miss America und der Anzahl der Morde mit heißen Dämpfen im Zeitraum von 1999 bis 2009 ist nicht wegzudiskutieren ...

[image]

Mehr kuriose Zusammenhänge auf Spurious Correlations.

Da Roth mit seinen Angaben zum Sachverhalt ziemlich sparsam ist und Voreingenommenheit erkennen lässt, muss er sich den Verdacht gefallen lassen, er habe auf eine Bretterwand geschossen und nachträglich ums Einschußloch die Ringe einer Zielscheibe gemalt. Forumteilnehmer "Schutti2" hat dies einmal HARKing genannt: Hypothesis After Results Known :-).

Zusammenhänge finden ist nicht schwer, Kausalzusammenhänge finden dagegen sehr.

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Tags:
Linsentrübung, Kausalzusammenhang, Hypothese, Katarakt, Roth

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

hikchr, Freitag, 21.04.2023, 16:32 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Ich wöllte eigentlich auf den wörtwörtlichen Widerspruch (Fehler?) der Textpassage aus der Puplikation hinaus.
Zitat:

Bewertet wurden nur solche Patienten, deren Sehschärfe auf dem Auge, das zur operativen Versorgung mit einer Kunstlinse anstand, im Landolttest nur noch 0.7 und weniger für die Ferne betrug, das dem Handy abgewandte Partnerauge aber noch immer eine Sehschärfe von mindestens 0.8 bis 1.0 erreichte.
Dies traf auf insgesamt 16 Patienten zu.

Wenn in diesem Text schon steht "das dem Handy abgewandte Partnerauge", dann muss ich die Patienten doch eigentlich nicht mehr befragen mit welchem Ohr sie telefoniert haben.
Wenn nur Patienten in frage kommen die auf dem Handy abgewandten Partnerauge besser sehen steht das Ergebniss der Auswertung schon allein durch die Auswahl fest.:confused:

Es kann sich dabei narürlich um einen Schreibfehler handeln, dann müsste es eigentlich heissen:

Bewertet wurden nur solche Patienten, deren Sehschärfe auf dem Auge, das zur operativen Versorgung mit einer Kunstlinse anstand, im Landolttest nur noch 0.7 und weniger für die Ferne betrug, das Partnerauge aber noch immer eine Sehschärfe von mindestens 0.8 bis 1.0 erreichte.

Nur ohne die Worte "das dem Handy abgewandte" würde eine nachträgliche Befragung mit welchem Ohr sie telefoniert haben einnen Sinn ergeben.

Wie die Ergebnisse nun wirklich zustande gekommen sind?

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

Schutti2, Freitag, 21.04.2023, 17:13 (vor 564 Tagen) @ hikchr

Wenn in diesem Text schon steht "das dem Handy abgewandte Partnerauge", dann muss ich die Patienten doch eigentlich nicht mehr befragen mit welchem Ohr sie telefoniert haben.
Wenn nur Patienten in frage kommen die auf dem Handy abgewandten Partnerauge besser sehen steht das Ergebniss der Auswertung schon allein durch die Auswahl fest.:confused:

Freud'scher Versprecher?
Game over. Next Player.

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 18:46 (vor 564 Tagen) @ hikchr

Nur ohne die Worte "das dem Handy abgewandte" würde eine nachträgliche Befragung mit welchem Ohr sie telefoniert haben einnen Sinn ergeben.

Danke, jetzt habe sogar ich begriffen, was Sie meinen :clap:

Wie die Ergebnisse nun wirklich zustande gekommen sind?

Das werden wir wohl nie erfahren. Herrn Roth brauchen wir aus naheliegenden Gründen dazu nicht befragen. Beim Lesen des Praxisberichts hatte ich unabhängig von Ihrer Entdeckung mehrfach den Eindruck, der Autor habe die 16 Patienten auch nach nicht benannten Kriterien ausgewählt. Es passt einfach alles zu glatt zusammen, keine Ausnahme bestätigt die Regel.

Andererseits kann man den Patientenbericht auch positiv sehen. Denn er lässt den erfrischenden Schluss zu, dass über acht bis elf Jahre hinweg mehrstündiges (4,5 bis 6,0 Stunden) Telefonieren pro Tag mit einem Mobiltelefon eben doch keinen Hirntumor verursacht, sondern "nur" Grauen Star. Der Italiener Innocente Marcolini hatte vergleichbar heftig telefoniert, allerdings nicht nur mit Handys, sondern auch mit schwächer strahlenden Schnurlostelefonen. Der Hirntumor, den er angeblich davon bekommen hat, wurde gerichtlich seiner Telefonitis zugeschrieben. Diagnose-Funk feierte seinerzeit das Urteil. Jetzt feiern die Stuttgarter den Patientenbericht. Den Widerspruch, der darin steckt, bemerken die nicht. Wollte Roth Geschichte schreiben, müsste er jetzt seine 16 Probanden noch ein paar Jahre im Auge behalten, um abzuwarten, ob sie zum Grauen Star auch noch einen Hirntumor als Zugabe bekommen :-).

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Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

hikchr, Freitag, 21.04.2023, 23:52 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Interessanterweise wird der von mir zitierte Teil der Publikation bei Diagnose Funk gar nicht erwähnt :rotfl:

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I)

Gustav, Freitag, 21.04.2023, 10:39 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Alle gaben an, über acht bis zwölf Jahre hinweg ihr Mobiltelefon täglich mindestens vier bis maximal sechs Stunden genutzt zu haben.

Abgesehen von der Akku Kapazität haben demnach alle Patienten zumindest in früheren Jahren ein kleines Vermögen für Telefongespräche bezahlt.

Aufmerksamkeit um jeden Preis

KlaKla, Freitag, 21.04.2023, 15:11 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Der Augenarzt will alarmieren und dafür hat er ein paar Fakten zusammen getragen. Er ist nicht Ergebniss offen an die Sache herangegangen. Im nächsten Jahr sind in BW Kommunalwahlen. Auch eine Art, sich ins Gespräch zu bringen.

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Meine Meinungsäußerung

Tags:
Wahlkampf, Aufmerksamkeit

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (II)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 17:46 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Der Praxisbericht des Augenarztes zeigt viele Schwächen. So bemüht er sich, einen allgegenwärtigen natürlichen Auslöser von Grauem Star nicht beim Namen zu nennen. Lieber beschreibt er Spezialfälle wie Röntgenstrahlung und Katarakte, die durch unvorsichtiges Hantieren im Nahfeld von Radarantennen entstanden sind. Mit den Radarantennen konditioniert der Autor die Leser behutsam in Richtung künstlich erzeugter Strahlung, zu der Laien auch gerne die Funkfelder des Mobilfunks zählen. Den natürlichen Auslöser UV-Strahlung aber benennt er nicht direkt, sondern nur vage indem er davon spricht eine Exposition mit "energiereichen Strahlen" könne die Linsentrübung auslösen. Die klare Aussage des BfS, übermäßige UV-Bestrahlung sei langfristig einer der auslösenden Faktoren für Grauen Star, verkneift sich der Augenarzt. Sie passt nicht in sein Konzept, schließlich will er den Verdacht auf Mobiltelefone lenken.

Dreh- und Angelpunkt von Roths Praxisbericht ist seine Behauptung:

[...] Bei der Nutzung eines Smartphones trifft ein Anteil der Strahlung direkt auf das nächstgelegene Auge. Aus der physikalischen Formel, die besagt, dass die Intensität einer Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung zur Strahlenquelle abnimmt, folgt, dass das von der Strahlenquelle abgewandte Auge nur ein Viertel der Strahlenmenge im Vergleich zum anderen
Auges trifft. [...]


"Physikalische Formel" mit Fallstricken

Die "physikalische Formel", von der Roth spricht, ist das Abstandsgesetz. Es beschreibt die Abnahme einer physikalischen Größe mit wachsender Entfernung zum Sender und besagt für Energiegrößen, zu denen elektromagnetische Felder zählen (magnetischer und elektrischer Feldvektor), dass deren Leistungsflussdichte mit zunehmendem Abstand (r) tatsächlich quadratische abnimmt (1/r²). Was Roth jedoch sträflich missachtet: Die Formel gilt nur bei ungestörter Feldausbreitung im freien Raum und auch nur im Fernfeld einer Sendeantenne (mindestens zwei Wellenlängen von der Antenne entfernt). Beide Randbedingungen sind bei einem Mobiltelefon, das am Kopf betrieben wird, nicht gegeben. Von Freiraumausbreitung kann keine Rede sein, weil zwischen der Sendeantenne des Telefons und den Augen nicht Luft ist, sondern ein Kopf. Auch die Fernfeldbedingung trifft nicht zu, denn bei 900 MHz wären zwei Wellenlängen 66 Zentimeter bei 2,6 GHz wären es immerhin nur noch 23 Zentimeter.

Wenn aber die "physikalische Formel" im konkreten Fall nicht gilt, was dann? Hier würde die Erörterung zu weit führen, wer möchte kann sich jedoch hier (Abschnitt "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst") schlau machen.

Wir halten fest

Roths Behauptung, das von der Strahlenquelle abgewandte Auge träfe nur ein Viertel der Strahlenmenge im Vergleich zum anderen Auges, trifft nicht zu. Richtig ist, das von der Strahlenquelle abgewandte Auge wird wegen des größeren Abstands zur Strahlenquelle in aller Regel schwächer befeldet. Um wie viel schwächer lässt sich nicht verallgemeinern da die Abschwächung situationsbezogen von vielen Faktoren abhängt, unter anderem von der Antennenbauart, der Trägerfrequenz, der Form des Mobiltelefons, der Kopfform, von Reflexionen und mehr. Die Einschränkung "in aller Regel" gilt hauptsächlich für Innenräume. Denn dort herrscht wegen Signalüberlagerung mit Reflexionen eine chaotische Immissionsverteilung mit vielen Minima und Maxima, bei der es durchaus vorkommen kann, dass das von der Strahlenquelle abgewandte Auge temporär stärker befeldet wird als das zugewandte Auge. Unter diesen Umständen fehlt dem Praxisbericht immissionstechnisch jedoch die Grundlage.

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Grauer Star, Smartphone, Faktencheck, realitätsfern, Abstandsgesetz

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (III)

H. Lamarr @, München, Freitag, 21.04.2023, 20:30 (vor 564 Tagen) @ H. Lamarr

Hans-Walter Roth hat es sich mit seinem Patientenbericht ziemlich leicht gemacht, denn er hat lediglich nach Belegen für seine Hypothese gesucht und sich mit 16 Belegen zufrieden gegeben. Doch was sind schon 16 Fälle, wenn allein in Deutschland jährlich 550'000 Katarakt-Operationen durchgeführt werden (Quelle)? Ob es plausibel ist, dass intensiver Gebrauch von Mobiltelefonen Grauen Star auslöst, darum hat er sich ebenso wenig gekümmert wie um ein Wirkmodell, mit dem er seine Beobachtung hätte stützen können. Fehlanzeige auch, hält man in dem Patientenbericht nach typischen Confoundern (Störgrößen) für Grauen Star Ausschau. Roth fragte seine Patienten nicht nach Diabetes mellitus, nach Nebenwirkungen bestimmter Medikamente wie Kortison oder nach dem Zigarettenkonsum. Hätte er mal tun sollen. Denn wer mindestens 15 Zigaretten täglich raucht, hat Augenärzten zufolge gegenüber lebenslangen Nichtrauchern ein um etwa 40 Prozent höheres Risiko für Grauen Star (Quelle).

Nein, Smartphones können keinen Grauen Star verursachen!

Der Augenarzt greift eine alte Sorge auf, die in der Jungsteinzeit des Massenfunks grassierte und daher schon früh Wissenschaftler beschäftigte. J. A. Elder lieferte 2003 eine Review ab. Auszüge daraus:

[...] Katarakte wurden bei Versuchstieren beobachtet, wenn ein Auge einem lokalisierten, sehr starken HF-Feld ausgesetzt war und das andere Auge als Kontrolle diente. Die Ergebnisse zeigen, dass 2450-MHz-Exposition über mindestens 30 Minuten hinweg ab SAR-Werten von mindestens 150 W/kg (bewirkt Temperaturen von über 41 °C in oder nahe der Linse), Katarakte im Kaninchenauge verursachen. Bei Affenaugen, das ähnlichen Expositionsbedingungen ausgesetzt waren, wurden jedoch keine Katarakte beobachtet, was die unterschiedlichen Verteilungsmuster der Energieabsorption (SAR) widerspiegelt, die auf unterschiedliche Kopfstrukturen der Versuchstiere zurückzuführen sind. Da der Affenkopf eine ähnliche Struktur wie der menschliche Kopf aufweist, hat die Studie gezeigt, dass die Werte der einfallenden Leistungsdichte, die bei Kaninchen und anderen Labortieren Katarakte verursachen, nicht direkt auf Primaten, einschließlich Menschen, übertragen werden können. [...] eine Langzeitexposition von Kaninchen (23 h/Tag, 6 Monate) bei 17 W/kg im Kaninchenkopf führte jedoch nicht zu Katarakten oder anderen Auswirkungen auf die Augen. Eine Langzeituntersuchung (1-4 Jahre) an Affen, die hohen SAR-Werten ausgesetzt waren (20 und 40 W/kg im Gesicht), ergab keine Katarakte oder andere Auswirkungen auf die Augen oder eine Veränderung des Sehvermögens. Die Ergebnisse dieser Langzeitstudien untermauern die Schlussfolgerung, dass klinisch bedeutsame Auswirkungen auf die Augen, einschließlich Katarakte, bei Menschen, die über längere Zeiträume schwacher HF-Energie ausgesetzt sind, nicht bestätigt wurden. [...]

Zum Vergleich: Mobiltelefone dürfen im Kopf eines Benutzers eine Absorption von maximal 2 W/kg bewirken, üblicherweise ist die Absorption deutlich geringer. Die 2 W/kg würden auf die Linse einwirken, drückte sich ein Benutzer sein Mobiltelefon bei voller HF-Leistungsabgabe mit der Rückseite, dort befinden sich meist die Antennen, fest aufs Auge. Da dies nur selten der Fall sein dürfte, darf angenommen werden, dass bei bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Mobiltelefons die Linse wesentlich kleineren SAR-Werten als 2 W/kg ausgesetzt ist. Geizen wir nicht und nehmen 0,5 W/kg an, liegen gemäß Elder zwischen dieser Exposition und dem möglichen Beginn des Gefahrenbereichs riesige Sicherheitsfaktoren von 80 bis 300. Stark sicherheitskritische mechanische Bauteile wie die Seile von Aufzügen begnügen sich mit Sicherheitsfaktor 10.

Aus alledem wird ersichtlich, für verständige Menschen gibt es keinen Grund anzunehmen, Mobiltelefone könnten Grauen Star verursachen. Gegen den Verdacht, lang andauernde schwache Exposition könnte geringe Linsentrübungen über viele Jahre hinweg bis zur gesundheitlichen Relevanz kumulieren, spricht der Hühnerei-Vergleich: Nein, ein Ei wird auch dann nicht hart, lässt man es nur lange genug bei 20 °C Raumtemperatur liegen. So wundert es nicht, dass die Forschung in Bezug auf Grauen Star infolge HF-EMF-Einwirkung seit 2016 zum Erliegen gekommen ist.

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Grauer Star, Faktencheck, Kargo-Kult, Roth

Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (IV)

H. Lamarr @, München, Samstag, 22.04.2023, 16:06 (vor 563 Tagen) @ H. Lamarr

Diagnose-Funk verbreitet den Artikel von Roth einschließlich einer ergänzenden Interpretation der Ergebnisse auf dieser Webseite.

Schauen wir uns abschließend an, wie der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk den Praxisbericht von Dr. med. Hans-Walter Roth verwurstet hat.

Framing: Das Blatt "Der Augenspiegel" bringt Roths Privatstudie wohlweislich unter dem Kolumnentitel "Praxisbericht". Mutmaßlich will die Redaktion damit deutlich machen, dass sie den Artikel nicht als wissenschaftliche Studie wertet. Im Originaltext verwendet der Autor selbst nur auf der letzten Seite für sein Werk zweimal den Begriff "Retrospektivstudie". Diagnose-Funk hingegen versucht mit Framing den Praxisbericht zum wissenschaftlichen Werk eines "Augenarztes und Wissenschaftlers" aufzuwerten. Der Verein bezeichnet in seinem Text die Arbeit von Roth ausnahmslos als "Studie". Darauf aufbauend versucht der Verein wiederholt seine Leser mit dem Framing einzuwickeln, Roths "Studie" habe eine EMF-Schadwirkung "nachgewiesen" oder ein Risiko "bestätigt". Beides ist falsch, die mängelbehaftete Privatstudie eines Augenarztes kann weder das eine noch das andere leisten.

Kolportage: Diagnose-Funk kommt über eine Kolportage von Roths Paxisbericht nicht hinaus, jegliche sach- oder sogar fachkundige Bewertung des Inhalts fehlt. Fälschlich behauptet der Verein, der von Roth berichtete Zusammenhang zwischen Smartphonenutzung und Grauem Star sei ursächlich, also ein Kausalzusammenhang. Für so eine Behauptung hätte Roth jedoch eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) durchführen müssen und keine mängelbehaftete Beobachtungsstudie. Eine einzelne Beobachtungsstudie, selbst wenn sie sorgfältig geplant und durchgeführt wird, kann niemals einen Kausalitätsnachweis erbringen. Offensichtlich ist dem Stuttgarter Verein der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht klar. Dies wiederum ist verständlich, denn für wissenschaftliche Studien ist dort kein Wissenschaftler zuständig, sondern ein gelernter Drucker Ruhestand.

Copy-Paste: Einen Großteil seines Textes bestreitet der Verein mit wortwörtlicher Textübernahme aus Roths Artikel. Die entscheidende Textpassage, in der Roth die Auswahlkriterien für seine Fallgruppe schildert und dabei einen gravierenden Fehler begeht, klammert Diagnose-Funk bei seiner Textübernahme aus.

Schrottflinte: Verirrt sich ein Websurfer auf eine Seite von Diagnose-Funk, versucht der Verein den Besucher mit einer Fülle von "Begleitinformationen" auf seiner Website zu halten. Dies trifft auch für die momentan relevante Seite zu, die von den Stuttgartern über den eigentlichen Sachverhalt hinaus mit Textfragmenten und Links zu "ähnlichen" Sachverhalten aus dem Fundus des Vereins gestreckt wurde (z.B. Ausführungen über den Blaulichtanteil von Handy-Displays). Die Links zu Hässig et al., die in diesem Sammelsurium von Füllstoff zu finden sind, lassen einen indes schmunzeln. Nicht, weil die unbestätigten Studien des Schweizer Veterinärs schlecht gemacht wären, sondern weil sie Grauen Star bei Kälbern von Milchkühen in Zusammenhang mit EMF-Exposition des Muttertiers während der Tragzeit durch Funkmasten belegen wollten. Hätten die ungeborenen Kälber Mobiltelefone benutzt, wäre ein Zusammenhang zu Roths Erkenntnissen nachvollziehbar. So aber sind die Links eher nur spaßig. Michael Hässig hat seine Forschung an Kälbern, die mit Linsentrübung zur Welt kamen, 2015 aufgegeben. Zu seinen Bemühungen inspiriert wurde der Wissenschaftler von dem öffentlichen Getöse, das der Schweizer Landwirt Sturzenegger ab etwa 2006 mit gütiger Unterstützung durch organisierte Mobilfunkgegner veranstaltete. Hässig konnte einen Kausalzusammenhang zwischen schwacher HF-EMF-Exposition und Kälbern mit Grauem Star nicht nachweisen. Frustriert räumte er 2016 ein: "Die Problematik scheint in der Öffentlichkeit grösser zu sein, als sie wirklich ist, möglicherweise deshalb, weil sich in der Vergangenheit einige wenige betroffene Landwirte wirkungsvoll mediales Gehör verschaffen konnten." An der "Gehörverschaffung" war Diagnose-Funk maßgeblich beteiligt, Hinweise auf Hässigs Scheitern sind auf der Website des Stuttgarter Vereins hingegen so häufig wie Eisbären in der Sahara.

Früher wurde bei Diagnose-Funk noch der Name des Autors genannt, der einen Artikel auf der Website des Vereins zu verantworten hatte, häufig war es Peter Hensinger. Da wusste man wenigstens, wer der Täter war und konnte diesem gezielt auf die Finger klopfen. Hat möglicherweise zu weh getan. Diagnose-Funk nennt schon seit vielen Jahren keine Autoren mehr, kommen diese aus den eigenen Reihen.

[Admin: Text im ersten Blickpunkt ergänzt am 23.04.2023]

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Manipulation, Irreführung, Kausalität, Kolportage, Faktencheck, Autor, Korrelation, Framing, Roth, Beobachtungsstudie

Faktencheck Grauer Star: Gesprächsdauer & Leistungsregelung

H. Lamarr @, München, Sonntag, 23.04.2023, 13:38 (vor 562 Tagen) @ H. Lamarr

Alle gaben an, über acht bis zwölf Jahre hinweg ihr Mobiltelefon täglich mindestens vier bis maximal sechs Stunden genutzt zu haben. Die starke Nutzung der Mobiltelefone erklärt Roth damit, die Mehrheit der Patienten stamme aus beratenden Berufsgruppen (Makler, Anlageberater, Anwälte) die beruflich häufig telefonieren müssten.

Mag ja sein, dass diese ungewöhnlich starke Nutzung tatsächlich vorlag, sollte der Augenarzt jedoch nur nach der "Nutzung" gefragt haben, könnte dies zu undifferenziert gewesen sein. Denn schon 2013 erreichte das mit Mobiltelefonen abgewickelte Datenvolumen in Deutschland 267 Mio. GByte. Beim Datenabruf (E-Mail, Internet, Apps ...) wird ein Mobiltelefon nicht an den Kopf, sondern in der Hand gehalten. Gemäß Jahresbericht 2013 der BNetzA gab es seinerzeit 103,35 Mio. Mobilfunkteilnehmer (M2M ist da schon rausgerechnet), die 110 Mrd. Gesprächsminuten abgehenden Verkehr hatten. Dies ergibt im Durchschnitt eine Gesprächsdauer von rd. 3 Minuten täglich. Unter der Annahme, dass ankommender Verkehr gleich stark war, wären wir bei täglich durchschnittlich 6 Minuten. Roths Patienten wollen hingegen 240 Minuten bis 600 Minuten täglich telefoniert haben. Ausschließen kann ich das nicht, wahrscheinlicher ist mMn jedoch, dass in diesen Zeitspannen von ihnen auch Datenverkehr abgewickelt wurde und die Gesprächsminuten mit dem Mobiltelefon am Kopf weniger waren.

Was Roths Praxisbericht wirklich wertlos macht

Einflussreicher ist der Aspekt der Leistungsregelung, die bereits bei GSM-Mobiltelefonen ab 1992 gegeben ist. In unserem Linienbusprojekt konnten wir zeigen, dass Mobiltelefone im GSM900-Modus je nach Verbindungsqualität mit Peak-Sendeleistungen zwischen 20 mW bei guten Verbindungen und 2000 mW bei schlechten Verbindung arbeiteten. Diese Variation um Faktor 100 macht deutlich, dass allein aus der Gesprächsdauer kein valider Rückschluss auf die Immission der Augen möglich ist. Anschauungsbeispiel: Wer 500 Minuten mit 20 mW telefoniert hat denselben Energieeintrag in die Augen wie einer, der 5 Minuten mit 2000 mW telefoniert. Roths Zeitangaben suggerieren lediglich eine starke EMF-Immission der Augen, tatsächlich kann es wegen der Leistungsregelung situationsabhängig jedoch völlig anders gewesen sein. Auch aus diesem Grund ist sein Praxisbericht faktisch wertlos, da er eine maßgebliche Variable der Immission nicht berücksichtigt.

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