Journalistisches Handwerk in Theorie und Praxis ▼ (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 22.10.2009, 19:43 (vor 5407 Tagen) @ Realist

Warum so aggressiv und autoritär? (geben Sie jedem gleich den „Laufpass“, der Ihnen ein bisschen Contra gibt?).

Keineswegs. Sie hätten von mir den Laufpass gekriegt, weil ich es respektlos finde, sich zu einem Thema zu äußern, sich aber nicht der Mühe zu unterziehen, den Stein des Anstoßes wenigstens mal anzusehen. Ich begrüße es, dass Sie dieses Versäumnis inzwischen nachgeholt haben.

Versuchen Sie zunächst Mal, Ihre emotionale Empörung über den Beitrag zu trennen von einer journalistischen Bewertung.

Woraus schließen Sie auf eine emotionale Empörung bei mir über den Beitrag? Studenten dürfen Fehler machen. Was mich zur Programmbeschwerde mobilisierte war allein das Schönreden der Fehler und der damit einher gehende "Maulkorb", das Schöngerede unter der Decke zu behalten.

Sie meinen ja, sich mit Journalismus auszukennen, also wissen Sie vielleicht, dass es ein Handwerk mit klaren Regeln ist.

Sie sagen es!

Mit einer Programmbeschwerde kommen Sie nur weiter, wenn Sie nachweisen können, dass journalistische Grundsätze verletzt wurden. Das wird Ihnen in diesem Fall nicht gelingen.

Okay. Mal unter uns, könnten Sie mir auch die 6 Richtigen vom kommenden Samstag verraten?

Dieser Film ist kein Nachrichtenfilm. Er bezieht Position, die Autoren haben eine Haltung, einen Blickwinkel. Das ist in einer Doku und einigen anderen längeren journalistischen Formaten üblich.

Üblich heißt noch lange nicht regelkonform. Ihrer Darstellung zufolge dürfen Autoren einer TV-Dokumentation ihre Sicht der Dinge ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt zum besten geben, z.B. über den IQ farbiger Mitbürger, über die Eisfestung der Nazis an einem der Pole oder über den geplanten Einmarsch russischer Truppen in Buxtehude. Ein paar gewitzte Leute, die vor der Kamera ihr Bestes geben, dazu noch der passende Blickwinkel der Autoren, und fertig ist die Doku. Wenn es tatsächlich so ist, erklärt dies einiges in unserer Fernsehlandschaft - oder reden Sie vielleicht vom Werbefernsehn? Lassen wir mal den formellen Quark über Doku hin oder her beiseite und wenden wir uns den Tatsachen zu. Ein Betrachter der sogenannten Doku kann Fakt von Meinung nicht unterscheiden weil ihm die Autoren diese Entscheidungsfreiheit vorenthalten, indem sie ihm eine Emulsion aus beidem servieren. Die Schadwirkung dieses Vorgehens dürfte ebenfalls ziemlich unstrittig sein, diese Sendung schürt unbegründete Ängste vor EMF in der Bevölkerung - und Sie wollen dies allen Ernstes mit dem Hinweis auf "übliche" Verfahrensweisen für rechtens erklären?

Am Untertitel des Films ist das auch ganz klar erkennbar: „Der schwere Alltag elektrosensibler Personen“.

Ihre Vorstellungen von ganz klar decken sich nicht mit den meinen. Den Untertitel habe ich bewusst nicht einmal wahrgenommen.

Deshalb kann man nicht von „Zuschauerverarschung“ reden.

Klar, ich kann das. Und ich bin nicht der einzige, der in dieser sogenannten Doku eine „Zuschauerverarschung“ sieht - egal ob dies bei Ihnen nun üblich ist oder nicht. Selbstverständlich gibt es auch die üblichen Begeisterten, woher die kommen, muss ich ja wohl nicht weiter erklären. Soweit ich dies mitgekriegt habe wurde sogar gezielt Begeisterung für diese sogenannte Doku von einschlägig bekannter Seite inszeniert. Wie wir in Bayern sagen: Hau di hera, san ma mehra!

Für ihre Haltung haben die Autoren eine ganze Reihe Belege gesammelt.
Nicht einer, sondern vier Betroffene kommen zu Wort. Z.T. solche, die selbst in der Branche tätig waren. Auch die Gegenseite kann sich äußern ( O2, izmf etc.).

Reicht es Ihnen wirklich schon, festzustellen, auch die Gegenseite habe sich äußern können? Ist damit Ihrer Einschätzung nach Ausgewogenheit gewährleistet? Mitnichten, Sie betreiben Augenwischerei. Die Position der "Gegenseite" vertreten in der sogenannten Doku Lerchl und mit viel gutem Willen auch noch Pauli. Beide zusammen kommen für exakt 2 Minuten zu Wort, das sind noch nicht mal 7 % der sogenannten Doku für die "Gegenseite" und 93 % für die Elektrosensiblen. Anstelle von Pauli dürfen Sie auch gerne die spurlosen 40 Sekunden für O2 und IZMF zusammen einsetzen, es kommt aufs selbe raus, von Ausgewogenheit ist diese sogenannte Doku so weit weg wie Sigmar Gabriel von der Kanzlerschaft des Bundes.

Mir sind ein paar handwerkliche Dinge aufgefallen – ein paar schlechte Schnitte, die Tonqualität eines O-Tons, der z.T. unmotivierte Einsatz von Musik. Das sehr deutlich zu sehende Y-Shield-Label. Das ist aber sicher noch keine Schleichwerbung.

Wieso sollte dies noch keine Schleichwerbung sein? Anscheinend sind Sie sich da selber nicht ganz sicher. Keine klare Regel zur Hand?

Den „Service-Teil“ über Baubiologen finde ich nicht unbedingt in den Film passend. Aber es wird hier auch deutlich eine Grenze gezogen und auf sinnlose Produkte hingewiesen.

Sie kommen mir vor wie ein Autotester, der im Handschuhfach des Testwagens einen Scheck vorgefunden hat und sich dann im Test über den ungemütlichen Farbton der Innenbeleuchtung des ansonsten perfekten Fahrzeugs auslässt, nur um mit belangloser Kritik den Schein zu wahren. Das, was Sie monieren, war mir in meiner Programmbeschwerde keine Silbe wert.

Ich habe in den gesamten 30 Minuten eine einzige Formulierung gefunden, die tatsächlich journalistisch nicht sauber ist und zu beanstanden wäre.

Da bin ich aber froh, dass Ihnen allein nicht die Deutungshoheit darüber zukommt, was journalistisch sauber ist und was nicht.

Troll-Wiese: http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=34916

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Schadwirkung, Deutungshoheit


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