Funkmastbewilligung: Bombe oder Knallfrosch hochgegangen? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 22.09.2023, 19:57 (vor 233 Tagen)

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern begeistert gegenwärtig eine handvoll Schweizer Mobilfunkgegner mit einem Urteil. In dem Ort Büren soll die Bewilligungsbehörde einem Mobilfunknetzbetreiber die Umrüstung eines Funkmasten auf adaptive 5G-Antennen im Schnellverfahren (Bagatellverfahren) zu Unrecht erlaubt haben. Wenn organisierte Mobilfunkgegner auffallend laut jubeln, hat die Sache jedoch meist einen Pferdefuß. Mit ziemlicher Sicherheit trifft dies auch diesmal zu.

Am 28. August 2023 frohlockte Gigaherz-Präsident Jakob "5G: Die Bombe ist geplatzt". Mit Urteil 100.2021.300U habe das Verwaltungsgericht des Kantons Bern einen Entscheid aufgehoben, der die Ausstattung einer Mobilfunksendeanlage in Büren mit adaptiven 5G-Antennen als "Bagatelländerung" einstufte und deshalb genehmigte, ohne dass der Netzbetreiber ein Baugesuch einreichen musste. Die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz (Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern, BVD) zurück verwiesen worden. Jakob erkennt darin Signalwirkung auf den ganzen Kanton und auf die ganze Schweiz. Das darf aus guten Gründen bezweifelt werden.

Wäre das Urteil so spektakulär, wie Jakob es glauben machen möchte, die Presse der Schweiz hätte sich die Story nicht entgehen lassen. Doch die Presse ignorierte geschlossen das Platzen der vermeintlichen Bombe. Außer Gigaherz griff lediglich der Schweizer Verein "Wir" das Urteil auf, was wiederum das Ergebnis einer neuen Seilschaft in der eidgenössischen Anti-Mobilfunk-Szene ist. Denn der Beitrag auf der Gigaherz-Website ist nicht auf dem Mist von Jakob gewachsen, sondern auf dem eines gewissen Daniel Laubscher, was Jakob am Ende des Beitrags auch einräumt.

Laubscher ist der jüngste Komet am Himmel der Schweizer Anti-Mobilfunk-Szene. Wie alle mir bekannten überzeugten Mobilfunkgegner mit Drang in die Öffentlichkeit ist auch er nicht vom Fach, sondern ein Quereinsteiger mit Sendungsbewusstsein. Dieser Quelle zufolge hat der 54-Jährige Erfahrung als Architekt, Bauinspektor, Raum- und Städteplaner und als Bauverwalter. Gemäß Jakob ist Laubscher der Beschwerdeführer in dem Verfahren mit dem "bombigen" Urteil gewesen. Erstmals wurde ich auf ihn aufmerksam, als der Präsident der Schwarzenburger Hochbau- und Planungskommission (HRK) berichtete, Laubscher habe dieses Jahr der Bewilligungsbehörde auf deren Einladung hin seine Argumente gegen Funkmasten vortragen dürfen. Welchen Mehrwert die Anhörung eines mobilfunktechnischen Laien, der sich sein Wissen im www zusammengoogeln muss, gehabt haben soll, mir wollte es sich nicht erschließen.

Präsident des Vereins "Wir" ist gegenwärtig Christian Oesch, ein Paradiesvogel, der hier im Forum als Mobilfunkgegner mit kommerziellen Interessen identifiziert wurde. Seit 2022 treten Oesch und Laubscher gemeinsam auf sogenannten 5G-Informationsveranstaltungen auf (Beispiel 1, Beispiel 2), auf denen sie irrationale Ängste gegenüber 5G schüren. Und offensichtlich fühlt sich der Mann aus Büren mehr zu dem Verein "Wir" hingezogen als zu Gigaherz. So war es Oeschs Verein, der das von Laubscher erstrittene Urteil Ende August 2023 mit TamTam in die Medien brachte, wenn auch nur in wenige, vorwiegend zweit- und drittklassige:

Medienmitteilung des Vereins "Wir"
5G: Kanton Bern trickst Anwohner von Antennen aus
5G: Berner Verwaltungsgericht pfeift Regierungsrat zurück
Schweiz: Laut Gerichtsurteil wurden tausende 5G Antennen illegal montiert
Streit um Mobilfunkantenne auf dem Landi-Silo: Wenn die Technologie die Rechtspflege überrundet

Alle Medienberichte stützen sich auf die sogenannte Medienmitteilung von "Wir". Und es gibt noch einen gemeinsamen Nenner: Keiner verlinkt auf das Original des Urteils, auch "Wir" nicht. Das ist anrüchig, denn auf diese Weise lässt sich durch irreführende Interpretation eines Urteils ungestört Desinformation verbreiten wie dieser Vorfall eindrucksvoll belegt. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hält sich mit einer Veröffentlichung des fraglichen Urteils überraschenderweise ebenfalls zurück und begünstigt damit die möglicherweise verzerrte Darstellung durch organisierte Mobilfunkgegner.

Mein Misstrauen hat einen konkreten Grund, denn am 31. Januar 2023 urteilte das Verwaltungsgericht Bern in einem sehr ähnlichen Verfahren ganz anders und wies die Beschwerde des Beschwerdeführers ab. Ort des Geschehens ist Zollikofen, der Netzbetreiber ist Swisscom und der Beschwerdeführer beauftragte einen Verein, mutmaßlich den Verein "Wir", seine Interessen zu vertreten. Streitgegenstand war auch hier die Baubewilligungspflicht bei der Änderung einer Mobilfunkanlage. Wie im Fall Laubscher erfolgte eine Nachrüstung adaptiver 5G-Antennen, welche nach dem Bagatellverfahren von der Bewilligungsbehörde genehmigt wurde. Der Fall sieht ganz nach einem Zwilling des Falls Laubscher aus, mit einem Unterschied:

► Laubscher berichtet, in seinem Fall sei die Sendeleistung der Antennen nach der Umrüstung erhöht worden. Er vermeidet jedoch sorgsam jegliche Quantifizierung der Erhöhung und lässt offen, ob diese gering und damit belanglos war oder aber erschreckend hoch. Die Umstände, wie er seine Story öffentlich verwurstet, deuten auf eine belanglos geringe Erhöhung hin.
► Im Fall Zollikofen lässt sich im Urteil nachlesen, die Sendeleistung sei nach der Umrüstung nicht erhöht worden, sie blieb gleich und wurde teilweise sogar reduziert, weshalb das Gericht die Beschwerde als unbegründet abwies. Im Gegensatz zum Urteil im Fall Laubscher ist das Urteil im Fall Zollikofen online für jeden unter der Dossiernummer 100.2020.305 einsehbar. Auf der Website des Vereins "Wir" findet sich zu diesem Fall allerdings kein Wort :-).

Da Mobilfunkgegner meiner Erfahrung zufolge einen unbändigen Drang zur Dramatisierung von Bagatellen haben, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass im Fall Laubscher die Sendeleistung nur geringfügig erhöht wurde und keinerlei Gefährdung der Bevölkerung bewirkt. Aber: Selbst wenn die Erhöhung noch so gering ausfiel und faktisch nur einem Formfehler gleichkommt, blieb dem Gericht nichts anderes übrig, als der Beschwerde von Laubscher stattzugeben. Sollte das Laubscher-Urteil doch noch irgendwann irgendwo veröffentlich werden, lässt es sich dahingehend prüfen. Und selbst wenn die Sendeleistung nennenswert aufgedreht wurde, was dann? Dann reicht der Netzbetreiber ein neues Baugesuch ein und bekommt dieses bewilligt. Der Erfolg der Mobilfunkgegner besteht dann darin, den Verwaltungsaufwand bei Netzbetreibern und Bewilligungsbehörden hochgeschraubt zu haben. Die Netzbetreiber holen sich das über ihre Tarife wieder herein, die Behörden schauen in die Röhre. Grandioser Erfolg.

Hintergrund
Schweiz: Antennen-Updates auf 5G ohne Baugesuche

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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