Bundesgericht stützt Rechtsauffassung der Mobilfunkgegner (Allgemein)
Der Entscheid der Bau- und Verkehrsdirektion ist noch nicht rechtskräftig und kann angefochten werden.
Seit der Kehrtwende der BVD im Dezember 2023 ist es ziemlich ruhig um die vermeintliche "Bombe" geworden. Dies könnte daran liegen, dass der Entscheid der BVD angefochten wurde und die Angelegenheit wieder beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern schmort. Denn im Januar 2024 berichtete Bärn Today:
[...] Mit diesem Entscheid [der BVD; Anm. Postingautor] wird der Ball wieder an die Gemeinde zurückgespielt. Sie müsste nachträglich ein Baugesuch einfordern. Doch nun schaltet sich auch Sunrise ein – der Mobilfunkanbieter will den Entscheid nämlich nicht akzeptieren und ihn an die nächst höhere Instanz weiterziehen. Und das wäre wiederum das Verwaltungsgericht. [...]
So weit, so gut.
Sunrise ist mit der "Ordnung" verbündet
Sunrise hat den Gesetzgeber auf seiner Seite, denn Anhang 1 Ziffer 62 Absatz 5bis der NISV legt fest, dass die nachträgliche Anwendung eines Korrekturfaktors bei bestehenden adaptiven Antennen, die mittels einer «worst case»-Betrachtung bewilligt wurden, nicht als Änderung einer Anlage gilt.
Warum nicht? Darüber gaben bereits im Dezember 2021 die Erläuterungen zur Änderung der NISV Auskunft. Dort heißt es auszugsweise:
[...] Mit dem «worst case»-Szenario wird die tatsächliche Strahlung in der Umgebung der Anlage insgesamt also zu hoch eingeschätzt. Der Korrekturfaktor trägt diesem Umstand Rechnung. Die Prognose stimmt nur dort, wo die Anlage mit maximaler Sendeleistung hin strahlt und nur für den Zeitraum, in dem sie das tut. In der Realität ist die Anzahl Fälle, in denen dies vorkommen kann, im Vergleich zu konventionellen Antennen aber tiefer. Konventionelle Antennen senden mit einer immer gleichen räumlichen Verteilung der Strahlung, sobald sie Daten für einen Nutzer senden. Mit dem «worst case»-Szenario ist die Beurteilung für die betroffenen Anwohner auf der sicheren Seite.
Wird bei im «worst case»-Szenario bewilligten adaptiven Antennen nachträglich ein Korrekturfaktor angewendet, führt dies im massgebenden Betriebszustand nicht zu einer Erhöhung der Strahlungsexposition. Zudem verfügt die beurteilte adaptive Antenne über eine Bewilligung, die ihr erlauben würde, wie eine konventionelle Antenne mit der maximal möglichen Sendeleistung in alle Richtungen gleichzeitig zu strahlen. Auch wenn die adaptive Antenne mit Anwendung des Korrekturfaktors in eine einzelne Senderichtung für kurze Zeiträume mehr Leistung abstrahlen kann als mit der erteilten Bewilligung, wird die Langzeitbelastung in der Funkzelle insgesamt nach wie vor tief gehalten und eine Sicherheitsmarge gegenüber den wissenschaftlich konsistent nachgewiesenen Gesundheitsauswirkungen besteht in vergleichbarem Umfang wie bei konventionellen Antennen. [...]
Laubscher hat das "Recht" auf seiner Seite
Der beschwerdeführende Mobilfunkgegner Daniel Laubscher hat jedoch das Schweizer Bundesgericht auf seiner Seite. Denn in einem anderen Verfahren (1C_45/2022) erwog das Bundesgericht in seinem Urteil vom 9. Oktober 2023 am Rande:
[...] Soweit die Beschwerdeführenden befürchten, die Beschwerdegegnerin werde - wie angekündigt - ohne neuerliches Bewilligungsverfahren den Korrekturfaktor zur Anwendung bringen, ist Folgendes festzuhalten: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Rechtsauffassung, wonach eine solche Abänderung in einem Baubewilligungsverfahren mit Einsprachemöglichkeiten geprüft werden müsse, nicht zu beanstanden (Urteile 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023 E. 6.3.2 in fine; 1C_527/2021 vom 13. Juli 2023 E. 3.7). Folglich wird gegebenenfalls in einem späteren Baubewilligungsverfahren zu klären sein, ob für die streitbetroffene Anlage die Anwendung eines Korrekturfaktors gemäss Ziff. 63 Abs. 2 und 3 Anhang 1 NISV zugelassen werden darf. Diese Frage liegt ausserhalb des Streitgegenstands des vorliegenden Verfahrens, weshalb die Vorinstanz offen lassen durfte, ob mit der Anwendung eines solchen Faktors bzw. der damit verbundenen Mittelung der Sendeleistung über 6 Minuten die Grenzwerte der NISV umgangen würden.
Wenn ich die Erwägung des Bundesgerichts richtig verstehe, kann das festgefahrene Verfahren um die Bewilligung des strittigen Funkmasts in Büren an der Aare nicht vom Verwaltungsgericht wieder flott gemacht werden, sondern nur von der Bewilligungsbehörde der Gemeinde. Indem diese einem neuen Bauantrag von Sunrise entweder zustimmt oder diesen ablehnt. Das ist auch nachvollziehbar, wie sollen denn Verwaltungsrichter darüber befinden, ob der von Wissenschaftlern ersonnene komplexe technisch-mathematische Sachverhalt hinter den Korrekturfaktoren korrekt ist oder den Anlagegrenzwert unerlaubt aushöhlt? Die Frage, ob die Bewillingungsbehörde einer Gemeinde die knifflige Angelegenheit kompetent beurteilen kann, will ich gar nicht erst stellen.
Mutmaßlich geht es Laubscher nämlich gar nicht um einen schlüssigen Beweis für die Richtigkeit der Korrekturfaktoren, der auch sein technisch-mathematisches Verständnis überfordern würde. Sondern darum, Anhang.1 Ziffer 62 Absatz 5bis der NISV zu kippen und für alle davon betroffenen adaptiven 5G-Antennen Baubewilligungsverfahren mit Einsprachemöglichkeit durchzusetzen. Denn dann sind organisierte Mobilfunkgegner in ihrem vertrauten Element, sind wieder mittendrin, statt außen vor.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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